SG Stade

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Zitieren als:
SG Stade, Urteil vom 11.04.2019 - S 19 AY 5/19 - Asylmagazin 8/2019, S. 324 f. - asyl.net: M27244
https://www.asyl.net/rsdb/M27244
Leitsatz:

Kein pauschaler Abzug von Nebenkosten bei Unterbringung in Gemeinschaftsunterkunft:

Ist nicht feststellbar, in welchem Umfang Energie- und Wohnungsinstandhaltungskosten in den pauschalen Nebenkosten bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft enthalten sind, können die Leistungen nicht um einen pauschalen Betrag gekürzt werden. Hierfür fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Gemeinschaftsunterkunft, Aufnahmeeinrichtung, Abzug, pauschale Nebenkosten, Nebenkostenpauschale, Sozialrecht, Anpassung, Erhöhung, Leistungsberechnung, Regelbedarf,
Normen: AsylbLG § 3, AsylbLG § 3 Abs. 2 S. 2, AsylbLG § 3 Abs. 1 S. 8, AsylbLG § 3 Abs. 1, AsylbLG § 3 Abs. 2, AsylbLG 3 Abs. 4, SGB XII § 28a, SGB XII § 40 S. 1 Nr. 1, AsylbLG § 3 Abs. 4 S. 3, AsylbLG § 3 Abs. 4 S. 1, AsylbLG § 3 Abs. 4 S. 2, AsylbLG § 3 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger haben gemäß § 44 Abs. 1 SGB X gegenüber dem Beklagten einen Anspruch darauf, dass dieser den bestandskräftig gewordenen Bewilligungsbescheid vom M.2018 dahingehend abändert, dass den Klägern insgesamt weitere 351,00 EUR bewilligt wird. [...]

Der Beklagte hat bei seiner Leistungsberechnung zu Unrecht ein Pauschalbetrag von 50,00 EUR mtl. pro Person abgezogen. Zwar hat der Beklagte nur die tatsächlichen Kosten der Unterkunft ohne Energie- und Wohnungsinstandhaltungskosten zu übernehmen, da diese Werte im Regelbedarf vorhanden sind. Vorliegend kann die Kammer jedoch nicht feststellen, in welchem Umfang in den pauschalen Nebenkosten diese Beträge enthalten sind. Es bleibt unklar, welcher Anteil davon für die Wohnungsinstandhaltung und Energiekosten, insbesondere Stromkosten aufgewandt wird. Nach Überzeugung der Kammer ist der Beklagte daher nicht dazu berechtigt, die Leistungen an die Kläger um einen pauschalen Betrag abzusenken. Da unklar bleibt, ob und in welchem Umfang überhaupt Stromkosten in den Nebenkosten enthalten sind, ist auch ein Rückgriff auf die entsprechenden Verbrauchsanteile im Regelbedarf nach der EVS 2008 oder 2013 nicht möglich.

Die Kläger haben auch einen höheren Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AsylbLG. Ein höherer Anspruch ergibt sich im hier streitigen Zeitraum noch nicht aus § 2 Abs. 1 AsylbLG, da sich die Kläger noch nicht 15 Monate ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufgehalten haben. Sie haben jedoch aus § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AsylbLG einen um 17,00 EUR monatlich höheren Anspruch als vom Beklagten festgesetzt worden ist.

Der Beklagte hätte die durch das Gesetz vorgesehene Leistungsanpassung nach § 3 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 AsylbLG bei der Leistungsberechnung berücksichtigen müssen. Danach werden zum 1. Januar eines Jahres die Leistungen entsprechend der Veränderungsrate nach dem SGB XII angepasst. Die sich dabei ergebenden Beträge sind zu runden. Zum 1. Januar 2018 ist es zu einer Erhöhung der Regelbedarfe nach dem SGB XII gekommen. Wie sich aus der oben dargestellten Proberechnung eines anderen Landkreises korrekt ergibt, führt eine entsprechende Anwendung der Veränderungsrate auf die Leistungen nach § 3 AsyIbLG zu einem monatlichen Leistungsanspruch der Klägerin von 364 EUR und beim Kläger von 249 EUR. Da der Beklagte bei der Leistungsberechnung nur von 354 EUR und 242 EUR ausgegangen ist, haben die Kläger einen weiteren Anspruch auf 17 E mtl. (364 EUR - 354 EUR = 10 EUR; 249 EUR - 242 EUR = 7 EUR; 10 + 7 EUR = 17 EUR).

Diese Erhöhung des Leistungsanspruchs ergibt sich direkt aus dem Gesetz. Dass laut Widerspruchsbescheid dies die Bundesregierung ablehnt, ist für das Gericht nach Art. 97 Abs. 1 GG nicht bindend. [...] Der Leistungsbezieher hat daher einen einklagbaren Anspruch darauf, dass ihm die Leistungen auch in angepasster Höhe bewilligt werden. Eine vorherige Entscheidung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber ist dagegen nicht notwendig, da die Norm die Berechnung zur Erhöhung vorgibt und somit eine wesentliche Entscheidung nicht zu erfolgen hat.

Auch aus § 3 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG folgt nicht, dass vor der Anpassung der Leistungshöhe noch eine Entscheidung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erfolgen muss. Danach hat das Ministerium nur die Höhe der Bedarfe im Bundesgesetzblatt bekanntzugeben. Die unterlassene Bekanntgabe durch das Ministerium führt jedoch nicht dazu, dass die durch das Gesetz vorgeschriebene Anpassung zu unterbleiben hat. Die Bekanntgabe ist nicht die notwendige Voraussetzung für die Anhebung der Leistungen, sondern soll nur dafür sorgen, dass alle Leistungsträger durch das Ministerium über die neue Höhe rechtzeitig informiert werden, damit diese nicht selbst die notwendigen Berechnungsschritte vornehmen müssen (so auch Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 3 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 179).

Soweit § 3 Abs. 5 AsylbLG vorschreibt, dass bei einer neuen bundesweiten Einkommens- und Verbrauchsprobe die notwendigen persönlichen Bedarfe und die Höhe des notwendigen Bedarfs neu festgesetzt wird, führt dies entgegen der im Widerspruchsbescheid wiedergegebenen Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht dazu, dass bei einer Unterlassung dieser Neufestsetzung keine Erhöhung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG mehr zu erfolgen hat. Bis zu einer tatsächlichen Neufestsetzung durch den Gesetzgeber ist weiterhin die gesetzliche vorgeschriebene Erhöhung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG durchzuführen (entgegen Birk in: LPK-SGB XII/Bieritz-Harder/Conradis/Thie, 11. Aufl. 2018, AsylbLG § 3 Rn. 26). Durch eine gescheiterte gesetzliche Neuregelung wird die dynamische Anpassungsregelung gerade nicht außer Kraft gesetzt, sondern bleibt bestehen. [...]