VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 06.05.2019 - 31 L 208.19 A - asyl.net: M27414
https://www.asyl.net/rsdb/m27414
Leitsatz:

Keine Ablehnung als offensichtlich unbegründet bei Minderjährigkeit:

Nach Art. 25 Abs. 6 Asylverfahrensrichtlinie kann der Asylantrag eines zum Zeitpunkt der Asylantragstellung minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings nicht als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden, wenn er nicht aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt, keinen Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt hat und keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Asylverfahren, Unionsrecht, unbegleitete Minderjährige, Minderjährigenschutz, offensichtlich unbegründet, Beurteilungszeitpunkt, minderjährig,
Normen: AsylG § 30 Abs. 1, AsylG § 30 Abs. 2, RL 2013/32/EU Art. 25 Abs. 6, RL 2013/32/EU Art. 31 Abs. 8
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist auch begründet. Im Fall einer durch das Bundesamt verfügten Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet ordnet das Gericht gemäß § 36 Abs. 1, 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die sofort vollziehbare (vgl. § 36, § 75 AsylG) Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylbewerbers, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Die Aussetzung der Abschiebung darf dabei gemäß § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Solche ernstlichen Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme - die der sofortigen Aufenthaltsbeendigung zugrunde liegende Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet - einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. So liegt der Fall hier, denn im Hinblick auf die (unstreitige) Minderjährigkeit des Antragstellers im Zeitpunkt seiner Anhörung erweist sich der auf § 30 Abs. 1 AsylG gestützte Offensichtlichkeitsausspruch als rechtswidrig.

Unter die Offensichtlichkeitsgründe des § 30 AsylG können unionsrechtskonform nur die in der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Asylverfahrens-RL 2013/32/EU) genannten Sachverhalte gefasst werden (vgl. Beschlüsse der Kammer vom 15. Oktober 2018 - VG 31 L 542.18 A -, und vom 20. März 2019 - VG 31 L 862.19 A -, je m.w.N.; siehe auch Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Leitfaden zur unmittelbaren innerstaatlichen Anwendung der Richtlinie 2013/32/EU, 20. Juli 2015 - Referat 410 - 410-7406-30/15, S. 6 f.). Nach Art. 25 Abs. 6 S. 2 Asylverfahrens-RL 2013/32/EU ist die Möglichkeit, von unbegleiteten Minderjährigen gestellte Schutzanträge gemäß Art. 31 Abs. 8 i.V.m. Art. 32 Abs. 2 Asylverfahrens-RL 2013/32/EU als offensichtlich unbegründet abzulehnen, auf Fälle beschränkt, in denen der Antragsteller - anders als es vorliegend der Fall ist - aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt, ein Folgeverfahren führt oder eine Gefahr darstellt. Die Anwendung des § 30 Abs. 1 AsylG ist daher vorliegend ausgeschlossen. [...]