VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Beschluss vom 14.01.2020 - 11 L 5029/19.TR - asyl.net: M28091
https://www.asyl.net/rsdb/M28091
Leitsatz:

Zur Übergangsregelung und Abschiebungsvorbereitungsmaßnahmen bei der Ausbildungsduldung:

1. Für die Übergangsregelung nach § 104 Abs. 17 AufenthG, wonach die dreimonatige Vorduldungszeit bei Einreise bis zum 31.12.2016 und Ausbildungsaufnahme vor dem 2.10.2020 nicht erforderlich ist, kommt es auf die letzte Einreise nach Deutschland an; frühere Einreisen sind nicht zu berücksichtigen. Auch die Rücküberstellung an Deutschland ist als Einreise i.S.d. AufenthG zu verstehen.

2. Die Ausschreibung zur Festnahme und fortlaufend aktualisierte Planung der Abschiebung für den Fall der Festnahme stellt eine konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahme i.S.d. § 60c Abs. 2 Nr. 5 Bst. c und d AufenthG dar, die der Erteilung der Ausbildungsduldung entgegensteht.

3. Auch wenn sich die abzuschiebende Person im Kirchenasyl befindet, ist die Abschiebung nicht ausgeschlossen, so dass die Vorbereitungsmaßnahmen nach § 60c Abs. 2 Nr. 5 Bst. d AufenthG der Erteilung der Duldung entgegenstehen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Abwendung wesentlicher Nachteile, Regelungsanordnung, Abschiebung, Übergangsregelung, Aufenthaltsbeendigung, Kirchenasyl, Einreise, Transportmittelbuchung, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Vorduldungszeit, Rücküberstellung, Ingewahrsamnahme, Ausschreibung zur Festnahme,
Normen: AufenthG § 60c Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 60c Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3, AufenthG § 60c Abs. 2 Nr. 5 Bst. c, AufenthG § 60c Abs. 2 Nr. 5 Bst. d, AufenthG § 62 Abs. 3, AufenthG § 104 Abs. 17,
Auszüge:

[...]

5 1. Zum vorliegend maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ist kein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Duldung nach § 60c i.v.m. § 60a Abs. 2 AufenthG (sog. Ausbildungsduldung) ersichtlich.

6 a. Der Antragsteller erfüllt schon nicht den persönlichen Anwendungsbereich der Norm. Ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung kommt nach § 60c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AufenthG nur dann in Betracht, wenn ein Ausländer entweder bereits als Asylbewerber eine in § 60c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) oder 1 b) AufenthG genannte Ausbildung aufgenommen hat oder er im Status der Duldung nach § 60a AufenthG eine Berufsausbildung aufnehmen möchte. Dies ist hinsichtlich des Antragstellers beides nicht der Fall.

7 Der Antragsteller befindet sich nicht mehr in einem laufenden Asylverfahren. [...]

8 Weiterhin wird der Antragsteller derzeit auch nicht nach § 60a AufenthG in der Bundesrepublik Deutschland geduldet. Zwar gilt das Erfordernis einer vorangegangenen Duldung gemäß der Übergangsregelung des § 104 Abs. 17 AufenthG nicht für Ausländer, die bis zum 31. Dezember 2016 das Bundesgebiet eingereist sind. Der Antragsteller erfüllt diesen Ausnahmetatbestand jedoch nicht. Nach eigenen Angaben reiste er erstmals am 15. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nachfolgend ist er allerdings, nachdem er im Juli 2018 untergetaucht war und sich nach Frankreich abgesetzt hatte, von den französischen Behörden am 12. September 2018 wieder an die Bundesrepublik rücküberstellt worden. Auch die Rücküberstellung des Antragstellers ist als Einreise im Sinne des Aufenthaltsgesetzes zu qualifizieren.

9 Unter Einreise im Sinne des Aufenthaltsgesetzes ist jedes tatsächliche Überschreiten der Grenze bzw. Betreten des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland zu verstehen. Die Frage, ob diese erlaubt erfolgt, ist hiervon unabhängig. Der Zeitpunkt der Einreise ist jedoch für die strafrechtliche wie ausländerrechtliche Beurteilung der Erlaubtheit des tatsächlichen Überquerens der bundesdeutschen Grenze maßgeblich. Bei Schengenbinnengrenzen ist eine Einreise bereits mit Überschreiten, Überqueren oder Überfliegen, ohne weiteres Zutun der Person vollendet (vgl. Winkelmann in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 13 AufenthG, Rn. 2, 4).

10 Für die Beurteilung der Frage, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der Übergangsregelung des § 104 Abs. 17 AufenthG vorliegen kommt es auf die zuletzt verwirklichte Einreise in das Bundesgebiet an. Ob der betreffende Ausländer bereits vorher in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, ist hierbei nicht zu berücksichtigen. Dies ergibt sich sowohl unter Beachtung des Wortlautes der Vorschrift als auch nach dem Willen des Gesetzgebers. Die Vorschrift selbst und auch die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucksache 19/8286, S. 14, 19) benennen allein den Zeitpunkt der Einreise in das Bundesgebiet als maßgeblichen Zeitpunkt hinsichtlich der Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung des § 104 Abs. 17 AufenthG. Dieser ist vorliegend nach den dargestellten allgemeinen Grundsätzen des Aufenthaltsgesetzes zu bemessen. Eine andere rechtliche Beurteilung ist nicht geboten, da weder der Vorschrift zu entnehmen, noch aus der Gesetzesbegründung abzuleiten ist, dass der Gesetzgeber eine von den dargestellten Grundätzen abweichende Bestimmung des nach § 104 Abs. 17 AufenthG maßgeblichen Zeitpunktes gewollt hat. Insbesondere ergibt sich danach nicht, dass der Zeitpunkt der Ersteinreise des Ausländers entscheidend sein soll. [...]

12 b. Der Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung wäre zudem sowohl nach § 60c Abs. 2 Nr. 5 c) als auch nach Nr. 5 d) AufenthG ausgeschlossen.

13 Die nach § 60c Abs. 2 Nr. 5 c) AufenthG zur Nichterteilung einer Ausbildungsduldung führende Buchung von Transportmitteln für die Abschiebung ist ausweislich der Gesetzesbegründung insbesondere dann eingeleitet, wenn für einen konkret benannten Ausländer ein Flug gebucht wurde oder er in eine Liste für eine bevorstehende Sammelabschiebung aufgenommen wurde (vgl. BT- Drucksache 19/8286, S. 16). Dies ist vorliegend hinsichtlich des Antragstellers der Fall. Nach den Ausführungen des Antragsgegners im Erwiderungsschriftsatz vom 17. Dezember 2019 sowie der weiteren Angaben des Antragsgegners im Laufe des gerichtlichen Verfahrens wurden nicht nur bereits mehrere Flüge (Charterflüge) für den Antragsteller gebucht. Weiterhin werden diese Planungen immer wieder fortlaufend für den Fall aktualisiert, dass der zur Festnahme ausgeschriebene Antragsteller mit entsprechender Unterstützung der Berliner Behörden ergriffen werden kann. Der Antragsteller befindet sich zudem auf einer Liste priorisiert abzuschiebender afghanischer Ausländer, wodurch ein jederzeitiger und sofortiger Vollzug der Abschiebemaßnahme mit dem nächstverfügbaren Flug sichergestellt wird. [...]

14 Nach § 60c Abs. 2 Nr. 5 d) AufenthG wird eine Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahmen zur Abschiebung des Ausländers eingeleitet wurden, es sei denn, es ist von vornherein absehbar, dass diese nicht zum Erfolg führen. Nach der Gesetzesbegründung sind solche weiteren konkreten Vorbereitungsmaßnahmen beispielsweise in der Beantragung auf Anordnung der Sicherungshaft (§ 62 Abs. 3 AufenthG) oder des Ausreisegewahrsams (§ 62b AufenthG) zu sehen (vgl. BT-Drucksache 19/8286, S. 16). Mithin ist auch hiernach die Erteilung einer Ausbildungsduldung an den Antragsteller ausgeschlossen. [...]

15 Es ist auch nicht von vornherein ersichtlich, dass diese konkreten Vorbereitungsmaßnahmen zur Abschiebung des Antragstellers nicht zum Erfolg führen würden. Dies gilt selbst für den Fall, dass der Antragsteller sich derzeit tatsächlich noch im Kirchenasyl bei der ...-Kirchengemeinde in Berlin befindet. In Anlehnung an die Dublin-Rechtsprechung zum Kirchenasyl (vgl. bspw. VG Trier, Beschluss vom 16. Oktober 2018 - 7 L 5184/18.TR -, juris) betont auch die Kammer nochmals, dass der Staat beim Kirchenasyl weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert ist, die vollziehbare Abschiebemaßnahme durchzuführen. Es existiert kein Sonderrecht der Kirchen, aufgrund dessen die Behörden bei Aufnahme einer Person in das Kirchenasyl gehindert wären, eine Abschiebung durchzuführen und hierzu gegebenenfalls unmittelbaren Zwang anzuwenden. Der Umstand, dass die für die Aufenthaltsbeendigung zuständigen bzw. zur konkreten Durchführung der Abschiebemaßnahme hinzuzuziehenden Behörden davor zurückschrecken, die ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten bei Personen im Kirchenasyl auszuschöpfen, also insbesondere auch unmittelbaren Zwang in kirchlichen Räumen anzuwenden, macht die Abschiebemaßnahme nicht unmöglich bzw. es ist hierdurch auch nicht von vornherein ersichtlich, dass diese nicht zum Erfolg führen würde. [...]