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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 18.12.2019 - 1 C 34.18 - Asylmagazin 4/2020, S. 131 ff. - asyl.net: M28100
https://www.asyl.net/rsdb/M28100
Leitsatz:

Zu den Voraufenthaltszeiten beim Bleiberecht bei nachhaltiger Integration:

1. Bei Erteilung eines Aufenthaltstitels bei nachhaltiger Integration gemäß § 25b AufenthG ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder die Entscheidung in der Tatsacheninstanz für das Vorliegen der Voraussetzungen maßgeblich. Dies gilt sowohl für die Frage, ob die betroffene Person zum Erteilungszeitpunkt über eine Duldung verfügt als auch ob die erforderlichen Voraufenthaltszeiten erfüllt sind.

2. Eine Duldung im Sinne dieser Vorschrift liegt bei Erteilung einer rechtswirksamen Duldung oder bei Rechtsanspruch auf eine Duldung vor (unter Bezug auf BVerwG, Urteil vom 21.03.2000 - BVerwG 1 C 23.99 - asyl.net: R4845). Dies gilt auch für Duldungszeiten, bei denen der Duldungsgrund objektiv nicht mehr bestand (hier: Duldung wegen fehlender Reisedokumente bei späterer Vorlage eines Reisepasses). Zudem sind auch Verfahrensduldungen umfasst.

3. Bei den Voraufenthaltszeiten kann der geforderte Mindestaufenthalt durch die drei Alternativen "geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis" gleichermaßen erfüllt werden. Es braucht keine "Mindestduldungszeit". Dies ergibt sich aus Wortlaut und Sinn und Zweck der Vorschrift, die nachhaltige Integrationsleistungen trotz fehlenden rechtmäßigen Aufenthalts honorieren soll.

4. Insofern sind alle Voraufenthaltszeiten anrechenbar, die von einem aufenthaltsregelnden Verwaltungsakt gedeckt waren oder in denen eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unzulässig war. Hierunter fallen auch Zeiträume der fiktiven Fortgeltung abgelaufener Aufenthaltserlaubnisse nach § 81 Abs. 4 AufenthG, selbst wenn die Verlängerung der Erlaubnis später abgelehnt wird. Gleiches gilt für Zeiträume, in denen Betroffenen vorläufiger Rechtsschutz in Hinblick auf die Verlängerung einer vorigen Aufenthaltserlaubnis gewährt wurde, da auch dann die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht gehemmt ist.

5. Kurzzeitige Lücken in den Voraufenthaltszeiten können wegen ihres Bagatellcharakters unschädlich sein (hier: vier Tage) oder durch das Vorliegen weiterer unbenannter Integrationskriterien kompensiert werden (hier: bessere Deutschkenntnisse als laut Gesetz erforderlich).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Bleiberecht, Integration, Beurteilungszeitpunkt, Aufenthaltsdauer, Duldung, anrechnungsfähige Aufenthaltszeit, Mitwirkungspflicht, Passbeschaffung, Voraufenthalt, Voraufenthaltszeit, Aufenthaltsgestattung, Fiktionswirkung, nachhaltige Integration,
Normen: AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 5 Abs. 3 S. 2, AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 25b, AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 81 Abs. 5, AufenthG § 84 Abs. 2 S. 2, AufenthG § 60a, AufenthG § 60b,
Auszüge:

[...]

Normzweck und -struktur erfordern jedenfalls nicht zwingend, dass die Duldung bzw. der Duldungsgrund schon bei Antragstellung vorliegen muss, mit der Folge, dass es unmöglich wäre, in den persönlichen Anwendungsbereich des § 25b AufenthG "hineinzuwachsen" (vgl. Röder, in: Decker/ Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 2. Edition, Stand 1. Oktober 2019, AufenthG § 25b Rn. 7; a.A. etwa OVG Münster, Beschluss vom 19. Oktober 2017 - 18 B 1197/17 - juris Rn. 2).

b) Geduldet ist ein Ausländer, wenn ihm eine rechtswirksame Duldung erteilt worden ist (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 - 1 C 40.07 - BVerwGE 133, 72 Rn. 14) oder wenn er einen Rechtsanspruch auf Duldung hat. Ein Rechtsanspruch auf Duldung ist jedenfalls dann ohne weiteres ausreichend, wenn die Abschiebung im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Da die Behörde bei Vorliegen dieser Voraussetzungen verpflichtet ist, dem Ausländer eine Duldung von Amts wegen zu erteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 1 C 23.99 - BVerwGE 111, 62 <66>), kann es diesem nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie dieser Pflicht im Einzelfall trotz Vorliegens der Voraussetzungen nicht nachkommt und den Aufenthalt lediglich faktisch duldet (so auch Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 2019, § 25b AufenthG Rn. 10). Umgekehrt bedarf es im Falle einer ausdrücklich erteilten Duldung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zusätzlich eines materiellen Duldungsanspruchs. Eine Duldung entfaltet als Verwaltungsakt Bindungs- und Tatbestandswirkung und ist damit auch im Falle ihrer Rechtswidrigkeit zu beachten, solange sie weder nichtig noch zurückgenommen oder nach § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG widerrufen worden ist (§ 43 Abs. 2 und 3 LVwVfG).

c) Im Einklang mit diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht die Klägerin als im Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung geduldete Ausländerin angesehen, weil sie weiterhin im Besitz einer wirksamen Duldung war, die ihr wegen fehlender Reisedokumente nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erteilt worden war. Der Umstand, dass dieser Duldungsgrund im Mai 2018 objektiv nicht mehr bestand, weil die Klägerin bereits im Juni 2017 einen neuen, gültigen Reisepass der Volksrepublik China vorgelegt hatte, führt nicht zur Nichtigkeit der erteilten Duldung. [...]

Zum anderen ist auch ein Ausländer, der sich (lediglich) im Besitz einer sogenannten Verfahrensduldung befindet, im Sinne von § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG "geduldet". Die verbreitete Gegenauffassung (vgl. etwa OVG Münster, Beschlüsse vom 17. August 2016 - 18 B 696/16 - und vom 19. Oktober 2017 - 18 B 1197/17 - beide juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Januar 2018 - OVG 11 S 98.17 - juris Rn. 8; OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. Mai 2018 - 8 ME 31/18 - juris Rn. 4) findet keine hinreichende Anknüpfung im Gesetz. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG verlangt lediglich das Vorliegen einer Duldung (oder einen Anspruch auf eine solche), ohne dabei nach verschiedenen Duldungsgründen zu differenzieren. Für eine teleologische Reduktion der Vorschrift dahingehend, dass eine Verfahrensduldung grundsätzlich nicht ausreicht, um die Eigenschaft als "geduldeter Ausländer" im Sinne von § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu  begründen, fehlt es bereits an einer klaren, ungewollten Überschreitung der inhaltlichen Regelungsabsicht durch den Normtext und besteht weder ein zwingender Grund noch ein unabweisbares Bedürfnis. [...]

1.2.1 Die Klägerin erfüllt die Anforderungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG an den Voraufenthalt. Sie hat sich - wie von der Vorschrift regelmäßig verlangt - seit mindestens acht Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten. Dem steht nicht entgegen, dass sie zu Beginn ihres Aufenthalts in Deutschland bereits einmal für längere Zeit über eine Aufenthaltserlaubnis verfügte (a). Geduldet, gestattet oder von einer Aufenthaltserlaubnis gedeckt ist jedenfalls jeder Voraufenthalt, während dessen eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unzulässig war (b). Ausgehend davon ist die Klägerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts bereits seit jedenfalls mehr als elf Jahren (nahezu) ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufhältig gewesen (c). Die vom Verwaltungsgerichtshof zutreffend angenommene Lücke von wenigen Tagen, in denen der Aufenthalt der Klägerin weder geduldet noch gestattet noch von einer Aufenthaltserlaubnis gedeckt war, sowie eine mögliche weitere Lücke vergleichbarer Dauer sind hier als lediglich minimale Unterbrechungen schon wegen ihres Bagatellcharakters als unschädlich anzusehen; sie begründen keine anspruchsschädliche Unterbrechung, ohne dass es insoweit - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - einer behördlichen Ermessensentscheidung analog § 85 AufenthG bedürfte (d).

Zeitlicher Bezugspunkt des Erfordernisses eines Voraufenthalts bestimmter Qualität "seit acht Jahren" ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts. Der geduldete, gestattete oder von einer Aufenthaltserlaubnis gedeckte Voraufenthalt muss sich auf mindestens acht Jahre belaufen und grundsätzlich ununterbrochen bis hin zum maßgeblichen Zeitpunkt fortdauern.

a) Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der geforderte Mindestaufenthalt durch alle drei Alternativen ("geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis") in gleicher Weise erfüllt werden kann und es keiner "Mindestduldungszeit" bedarf, steht im Einklang mit Bundesrecht. Ohne Erfolg wendet die Revision hiergegen ein, § 25b AufenthG solle nur denjenigen Ausländern zugutekommen, die sich langjährig mit ungesichertem Aufenthaltsstatus in Deutschland aufgehalten hätten, nicht aber denjenigen, die in der Vergangenheit bereits für einen nicht unerheblichen Zeitraum legal aufhältig gewesen seien (so auch die Allgemeinen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zur Einfügung des § 25b Aufenthaltsgesetz durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015, S. 4 f.).

Dass die Bleiberechtsregelung grundsätzlich auch Personen zugutekommt, die in der Vergangenheit bereits über einen Aufenthaltstitel verfügt haben, ergibt sich schon aus dem eindeutigen und insoweit nicht weiter auslegungsfähigen Wortlaut des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG. Anders als bei der stichtagsbezogenen Altfallregelung des § 104a AufenthG sind hier ausdrücklich auch Zeiten anzurechnen, in denen der Ausländer im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus anderen als humanitären Gründen war. Für eine Einschränkung dahingehend, dass die auf Grundlage einer Duldung zurückgelegten Zeiten zumindest überwogen haben müssen, ist dem Wortlaut ebenfalls nichts zu entnehmen.

Der aus den Gesetzesmaterialien ersichtliche Sinn und Zweck der mit § 25b AufenthG geschaffenen Bleiberechtsregelung für gut integrierte, gegenwärtig geduldete Ausländer gebietet ebenfalls keine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Personen, die während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet überwiegend oder gar ausschließlich geduldet waren. [...]

Mit der Gesetz gewordenen Fassung der Regelung wollte der Gesetzgeber nicht mehr ausschließlich dem Problem der Kettenduldungen begegnen. Im Vordergrund stand vielmehr die Anerkennung der durch einen aktuell Geduldeten in der Vergangenheit erbrachten Integrationsleistungen, unabhängig davon, auf welcher aufenthaltsrechtlichen Grundlage diese beruhten. [...]

b) Bei der näheren Konkretisierung der aufenthaltsrechtlichen Anforderungen an den Voraufenthalt ist hinsichtlich der drei ausdrücklich benannten aufenthaltsrechtlichen Grundlagen (geduldet, gestattet, mit Aufenthaltserlaubnis) eine an der (potentiellen) Integrationswirkung anknüpfende Auslegung angezeigt. Aus der weiten Fassung dieser anrechenbaren Voraufenthalte, die auch den unrechtmäßigen, aber geduldeten sowie den asylverfahrensbezogenen, gestatteten Aufenthalt einbezieht, folgt, dass der Gesetzgeber alle Voraufenthaltszeiten angerechnet wissen will, die von einem aufenthaltsregelnden Verwaltungsakt gedeckt waren oder in denen eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unzulässig war. [...]

Hiernach sind insbesondere Zeiten anrechnungsfähig, in denen eine abgelaufene Aufenthaltserlaubnis nach rechtzeitiger Stellung eines Verlängerungsantrags für die Dauer des behördlichen Verfahrens gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG fiktiv fortgilt. Das gilt gerade auch dann, wenn ein Verlängerungsanspruch nicht besteht und der Antrag daher am Ende des Verfahrens ohne Erfolg geblieben ist. Der Ausländer ist für die Dauer der Fortgeltungswirkung rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig und darf deshalb während ihrer Geltung nicht abgeschoben werden; daran kann sich durch die spätere Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis nichts mehr ändern. [...]

Aus ähnlichen Gründen sind ferner Aufenthaltszeiten anzurechnen, in denen der Ausländer - nach Beendigung der Fortgeltungsfiktion - beim Verwaltungsgericht um die Verlängerung einer zuvor innegehabten Aufenthaltserlaubnis streitet, soweit ihm vorläufiger Rechtsschutz gewährt worden ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage führt zwar nicht zu einem rechtmäßigen Aufenthalt, hemmt aber die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) mit der Folge, dass eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts unzulässig ist. [...]

d) Die vom Verwaltungsgerichtshof zutreffend angenommene Lücke von vier Tagen, in denen der Aufenthalt der Klägerin weder geduldet, noch gestattet, noch von einer Aufenthaltserlaubnis gedeckt war, sowie die für 2011 unterstellte weitere Fehlzeit ähnlich kurzer Dauer begründen hier keine anspruchsschädliche Unterbrechung. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts bedarf es insoweit keiner behördlichen Ermessensentscheidung in analoger Anwendung von § 85 AufenthG.

aa) § 85 AufenthG findet auf Lücken zwischen zwei Duldungszeiten jedenfalls keine unmittelbare Anwendung, weil danach lediglich Unterbrechungen der "Rechtmäßigkeit des Aufenthalts" bis zu einem Jahr außer Betracht bleiben können. Einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift (vgl. in anderem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 - 1 C 24.08 - BVerwGE 135, 225 Rn. 20) auf Duldungslücken bedarf es bei der Anwendung von § 25b AufenthG nicht, weil die Vorschrift keine dies rechtfertigende planwidrige Regelungslücke aufweist. § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG verlangt, dass sich der Ausländer nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat. Dies setzt regelmäßig voraus, dass bestimmte, in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 aufgezählte Integrationsindizien erfüllt sind. Aus dieser Formulierung folgt, dass die aufgezählten Regeltatbestände nicht zwingend sämtlich (vollständig) erfüllt sein müssen, damit eine nachhaltige Integration festgestellt werden kann. Das - abschwächende -  Merkmal "regelmäßig" ermöglicht es dem Rechtsanwender damit, auf bestimmte Mängel bei der Erfüllung der benannten Integrationskriterien flexibel zu reagieren, und (gegebenenfalls im Rahmen einer Gesamtwürdigung) zu entscheiden, ob diese unschädlich sind, weil sie etwa Bagatellcharakter aufweisen oder durch das Vorliegen weiterer, unbenannter Integrationskriterien bzw. durch eine "Übererfüllung" von ausdrücklich genannten Kriterien  kompensiert werden. Diese Entscheidung ist - anders als eine Ermessensentscheidung nach § 85 AufenthG - voll gerichtlich überprüfbar. [...]

bb) Nach diesem Maßstab sind die hier allenfalls vorliegenden beiden Duldungslücken von jeweils wenigen Tagen schon wegen ihres Bagatellcharakters als unschädlich zu bewerten, ohne dass es auf deren nähere Umstände ankommt. Der geforderte geduldete, gestattete oder von einer Aufenthaltserlaubnis gedeckte Voraufenthalt von mindestens acht Jahren soll nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift als Grundlage für eine gelungene Integration dienen. Diese Eignung wird bei einer Ausländerin, die sich wie die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt (im Übrigen) bereits seit (jedenfalls) mehr als elf Jahren geduldet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufgehalten hat, durch zwei Unterbrechungen von  wenigen Tagen offensichtlich nicht in Frage gestellt. Dies folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und gewährleistet einen am Gesetzeszweck orientierten, einzelfalladäquaten Gesetzesvollzug. [...]

2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass zwingende Versagungsgründe im Sinne von § 25b Abs. 2 AufenthG der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegenstehen. [...]

§ 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG setzt ein aktuelles Fehlverhalten des Ausländers voraus. Dies folgt schon aus der im Wortlaut der Regelung verwendeten Präsensform ("verhindert oder verzögert"). Es entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, denn nach der Begründung des Gesetzentwurfs knüpft die Regelung "nur an aktuelle Mitwirkungsleistungen des Ausländers" an (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 44). Zwar soll mit der Regelung "keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren" (ebd.) verbunden sein. Dies ändert aber nichts an der vorstehenden Auslegung des zwingenden Versagungsgrundes, sondern verweist der Sache nach darauf, dass Mitwirkungspflichtverletzungen oder Täuschungshandlungen, die nicht mehr fortwirken, unter Umständen ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllen (dazu unten 3.); möglicherweise können sie auch einen Ausnahmefall begründen, der die regelmäßig vorgegebene Rechtsfolge ("soll erteilt werden") zu einer Ermessensregelung herabstuft (vgl. etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 19. Mai 2017 - 1 Bs 207/16 - juris Rn. 30 ff.). Dies zugrunde gelegt, scheitert der Anspruch der Klägerin schon deshalb nicht an diesem Versagungsgrund, weil die Klägerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts seit längerem wieder im Besitz eines gültigen Passes war und diesen der Ausländerbehörde vorgelegt hatte. Für ein qualifiziertes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG bestehen keine Anhaltspunkte. [...]