OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.06.2020 - 13 A 11315/19 - asyl.net: M28597
https://www.asyl.net/rsdb/M28597
Leitsatz:

Pflicht zur Mitteilung der Adressänderung gegenüber dem BAMF innerhalb einer Woche:

"1. Der Zusatz, dass die Klage "in deutscher Sprache abgefasst" sein muss, macht eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO (wie BVerwG, Urteile vom 29. August 2018 - 1 C 6.18 - und vom 26. Februar 2019 - 1 C 39.18 -, juris) (Rn.25).

2. Dem Ausländer steht zur unverzüglichen Anzeige einer Adressänderung nach § 10 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG (juris: AsylVfG 1992) beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge regelmäßig eine Frist von einer Woche zur Verfügung (Rn.40)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Asylverfahren, Klagefrist, Rechtsmittelbelehrung, Adressänderung, Anschriftenwechsel, Mitwirkungspflicht, Zustellung, Unverzüglichkeit,
Normen: AsylG § 10 Abs. 1
Auszüge:

[...]

40 [...] Nach Auffassung des Senats stand den Klägern, ohne dass im vorliegenden Fall zu ihren Gunsten wirkende individuelle Besonderheiten vorgelegen hätten, eine Woche für die Mitteilung der Adressänderung zur Verfügung, um diese dem Bundesamt zur Kenntnis zu bringen. Bei schriftlichen Mitteilungen muss sie regelmäßig innerhalb dieses Zeitraums beim Bundesamt eingegangen sein.

41 Das Bundesverwaltungsgericht führt zur Auslegung des Begriffs "unverzüglich" im Zusammenhang mit einem Antrag auf Familienasyl nach § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG wie folgt aus (Urteil vom 13. Mai 1997 – 9 C 35.96 –, BVerwGE 104, 362, juris Rn. 10):

42 "Der Antrag der Beigeladenen auf Familienasyl ist jedoch nicht unverzüglich nach ihrer Geburt gestellt worden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die am 29. Juli 1994 geborene Beigeladene erst am 12. Juli 1995 Asyl beantragt. Ein über elf Monate nach der Geburt gestellter Antrag ist aber in aller Regel nicht mehr unverzüglich gestellt. Unverzüglich bedeutet entsprechend der Legaldefinition in § 121 BGB ohne schuldhaftes Zögern (vgl. VGH Mannheim, AuAS 1997, 32 <33>; Kanein/Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl., § 26 AsylVfG Rn. 9; Koisser/Nicolaus, ZAR 1991, 31 <33>). Der Antrag muß danach zwar nicht sofort, aber - unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände der Eltern - alsbald gestellt werden. Dabei ist einerseits den Eltern eine angemessene Überlegungsfrist zuzubilligen, andererseits aber auch das von § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG als Ordnungsvorschrift verfolgte öffentliche Interesse, möglichst rasch Rechtsklarheit zu schaffen, zur Geltung zu bringen. Im Hinblick auf die im gesamten Asylverfahrensrecht verkürzten Fristen (vgl. §§ 74 Abs. 1, 78 Abs. 4 AsylVfG) hält der Senat eine Frist von zwei Wochen in der Regel für angemessen und ausreichend. Ein späterer Antrag ist folglich regelmäßig nur dann rechtzeitig, wenn sich aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ergibt, daß der Antrag nicht früher gestellt werden konnte. Von einem gewissenhaften Asylsuchenden, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet vorläufig und nur zur Durchführung seines Asylverfahrens gestattet ist (§ 55 Abs. 1 AsylVfG), ist zu erwarten, daß er sich nach der Geburt eines Kindes über dessen Rechtsstellung, ggf. durch Einholung von Rechtsrat Klarheit verschafft und den erforderlichen Antrag nach § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG stellt. Das haben die Eltern der Beigeladenen nicht getan. Auch sonst sind keine besonderen Umstände vorgetragen oder ersichtlich, die sie in entschuldbarer Weise daran gehindert haben könnten, den Asylantrag für die Beigeladene bereits früher als geschehen zu stellen."

43 Auf den vorliegenden Fall der Anzeige der Anschriftenänderung übertragen ist der Senat in Anbetracht der vorzitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Auffassung, dass auch hier eine angemessene und ausreichende Frist festgelegt werden soll, innerhalb der – soweit keine besonderen Umstände vorliegen – eine Mitteilung tatsächlich beim Bundesamt eingegangen sein muss, um die Folgen des § 10 Abs. 2 AsylG hindern zu können. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 13. Mai 1997 – 9 C 35.96 –, a.a.O) hat deutlich auf die im Asylrecht verkürzten Fristen hingewiesen, die gerade auch bei der Erfüllung von Mitwirkungspflichten für die Beurteilung zu berücksichtigen sind.

44 Im Falle der Mitteilung eines Anschriftenwechsels bei einem durch den Ausländer selbst veranlassten und organisierten Wohnungswechsels ist ein besonderes Informationsbedürfnis und die Einholung eines rechtlichen Rates – wie dies vom Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 13. Mai 1997 – 9 C 35.96 –, a.a.O.) bei der Stellung eines Antrags auf Familienasyl in Rechnung gestellt wird – im Hinblick auf die nach § 10 Abs. 7 AsylG den Klägern nachweislich vom Bundesamt erteilten Hinweise nicht erkennbar. Auch die Frage der (unbedingten) Verpflichtung zur Meldung unterliegt in diesem Falle keinen Zweifeln, so dass auch eine besondere Überlegungsfrist nicht angezeigt ist. Rechnet man für die Einholung von Rat und die Überlegung im Falle des Familienasyls einen Zeitraum von einer Woche, der hier nicht gewährt zu werden braucht, so bleibt für die Umsetzung der Verpflichtung zur Meldung noch eine Woche, die sich nach Auffassung des Senats unter Einbeziehung der regelmäßigen Postlaufzeit und der Gewährung eines kurzen zeitlichen Puffers auch im vorliegenden Fall als sachgerecht erweist.

45 Dabei geht der Senat davon aus, dass auf der Grundlage der gesetzlichen Formulierung des § 10 Abs. 1 AsylG – anders als das Verwaltungsgericht andeutet – eine vorzeitige Information vor dem Umzug nicht gefordert werden kann, etwa um sicherzustellen, dass es keinerlei zeitliche "Lücken" für eine förmliche Zustellung geben soll. Jedenfalls steht der Gesetzeswortlaut aber einer aus Sicherheits- oder Bequemlichkeitsgründen bereits vorab erfolgten Mitteilung des Umzugstermins auch nicht im Wege. Zudem ist die Mitteilung nicht formgebunden und kann auch durch einen Bevollmächtigten vorgenommen werden (vgl. Preisner in: Klutz/Heusch, Beck-Onlinekommentar Ausländerrecht, 25. Edition, Stand 1. März 2020, § 10 Rn. 11), so dass auch kein Zeitrahmen für die Verfassung und Absendung der Mitteilung einzurechnen wäre, wie etwa das Aufsuchen einer Person, die eine Schreibmaschine bzw. einen Computer mit Drucker besitzt, sowie die Beschaffung von Postwertzeichen und das Einwerfen des Briefes in einen Briefkasten.

46 Auch die Kommentarliteratur geht von einem besonderen Beschleunigungsbedürfnis im Asylverfahren aus, so dass überwiegend ebenfalls als Regelfrist eine Woche für die Anzeige der Adressänderung angenommen wird (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2019, § 10 AsylG Rn. 7; Hailbronner, Loseblatt-Kommentar zum Ausländerrecht, 109. Aktualisierung April 2019, § 10 AsylVfG Rn. 32; Funke- Kaiser, Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG II A, 116. Lfg. Juni 2018, § 10 Rn. 230; Bruns in: Hofmann, Kommentar zum Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 10 AsylVfG Rn. 7; Preisner in: Kluth/ Heusch, Beck- Onlinekommentar Ausländerrecht, 25. Edition, Stand 1. März 2020, § 10 Rn. 11). Soweit eine Monatsfrist für angemessen gehalten wird (so Marx, Kommentar zum AsylG, 10. Aufl. 2019, § 10 Rn. 40, unter Berufung auf Schütze, in: GK-AsylG, Loseblatt, § 10 Rn. 16), kann dem nicht gefolgt werden. Sie müsste zur Vermeidung einer einmonatigen Nichterreichbarkeit des Asylbewerbers mit der (zusätzlichen) Pflicht zur vorsorglichen Stellung eines Nachsendeantrags bei der Deutschen Post verbunden werden (eine der bei Marx, a.a.O., aufgeführten "dem Asylsuchenden allgemein auferlegten Vorsorgemaßnahmen") und würde damit zu einer Verlagerung und Verdoppelung der Pflichten führen. Einer solchen Verdoppelung und Verlagerung der Pflichten tritt der Senat im Hinblick auf die in § 10 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG erfolgte ausdrückliche Erwähnung der Pflicht, jeden Wechsel der Anschrift unverzüglich anzuzeigen, nicht bei. Sie wäre im Hinblick auf die bisher nach § 10 Abs. 7 AsylG durch das Bundesamt erfolgten Hinweise (vgl. Bl. 10 ff, insbesondere Bl. 12 der Asylakte) wohl auch überraschend und so nicht für jeden Asylbewerber vorhersehbar. Vielmehr ist der Senat der Auffassung, dass bei Einhaltung der oben für angemessen erachteten Frist von (regelmäßig) einer Woche für die Mitteilungspflicht durch den Asylbewerber die Adressmitteilung bewirkt, dass die Beklagte zwischenzeitlich erfolgte Mitteilungen und Zustellungen unter der neuen Adresse wiederholen muss, damit diese rechtliche Wirkungen erzielen können. Von dem Asylbewerber werden danach keine über die üblichen Anforderungen hinausgehenden Anstrengungen hinsichtlich der neuen Wohnung (eigener Briefkasten mit Namensangabe, etc.) gefordert, wie sie etwa andere Einwohner bei einem Umzug unternehmen würden. Im Übrigen hätten die Kläger bei Anwendung der Kommentierung von Marx (a.a.O.) zwar nicht gegen die Frist zur rechtzeitigen Mitteilung der Adressänderung verstoßen, jedoch gegen die Pflicht zur rechtzeitigen Stellung eines Nachsendeantrags, welcher vorliegend ausweislich der vom Bundesamt entsprechend angekreuzten Anweisung in der Postzustellungsurkunde zur Nachsendung des Bescheides im Inland und voraussichtlich einer erfolgreichen (Ersatz-)Zustellung an der neuen Anschrift bereits in der ersten Märzhälfte des Jahres 2017 geführt hätte. Auch in diesem Falle wäre danach die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 1 und 4 AsylG mit der Aufgabe des Bescheides zur Post am 6. März 2017 eingetreten. [...]