Keine Verlängerung der Überstellungsfrist bei offenem Kirchenasyl:
1. Die Frage, "unter welchen Voraussetzungen sich das föderale Bund-Länder-System und der Nichtvollzug durch den Staat bei offenem Kirchenasyl auf die Auslegung des Begriffes 'Flüchtigsein' in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO bzw. auf den Rechtsbegriff Staat im Rahmen der Kausalität auswirkt", ist nicht klärungsbedürftig.
2. Das Verhältnis zwischen Bundes- und Landesbehörden beeinflusst nicht die Auslegung des Begriffs "flüchtig" im Dublinverfahren durch die Rechtsprechung des EuGH.
3. Gemessen an der Rechtsprechung des EuGH ist im Fall eines offenen Kirchenasyls, in dem den Behörden der Aufenthaltsort der betroffenen Person bekannt ist, eine Abschiebung jedoch aus Gründen unterbleibt, die in die Sphäre der Behörden fallen, nicht von "Flüchtigsein" auszugehen.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf EuGH, Urteil vom 19.03.2019 - C-163/17 Jawo gg. Deutschland - Asylmagazin 5/2019, S. 196 ff. - asyl.net: M27096)
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4 Das Berufungsgericht hat ein "Flüchtigsein" der Kläger im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe mit Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 - geklärt, dass ein Antragsteller flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO sei, wenn er sich den für die Überstellung zuständigen nationalen Behörden entziehe, um die Überstellung zu vereiteln. Dies könne angenommen werden, wenn die Überstellung nicht durchgeführt werden könne, weil ein Asylantragsteller die ihm zugewiesene Wohnung verlassen habe, ohne die zuständigen nationalen Behörden über seine Abwesenheit zu informieren, sofern er über die ihm obliegenden Pflichten unterrichtet worden sei. Nach dieser Entscheidung müsse die Flucht kausal für die Nichtdurchführbarkeit der Überstellung sein. Daran fehle es, wenn im offenen Kirchenasyl den Behörden die Adresse des Asylbewerbers bekannt sei. Der Staat sei durch das Kirchenasyl weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert, die Überstellung durchzuführen.
5 In Bezug auf die Klärung des Begriffs des "Flüchtigseins" durch das herangezogene Urteil des EuGH und das Verständnis dieser Entscheidung, die das Berufungsgericht seiner Rechtsanwendung zugrunde gelegt hat, als solches wirft die Beschwerde grundsätzlicher Klärung bedürftige Rechtsfragen nicht auf. Sie hält der Sache nach lediglich für klärungsbedürftig, ob sich daran, dass die rechtliche Möglichkeit einer Überstellung durch "den Staat" einem "Flüchtigsein" des Asylbewerbers im offenen Kirchenasyl entgegensteht, dadurch etwas ändert, dass in einem föderativ strukturierten Mitgliedstaat die behördlichen Zuständigkeiten für die Durchführung des Asyl- bzw. Dublin-Verfahrens einerseits und für die Durchführung der Überstellung andererseits auseinanderfallen und der erstgenannten Behörde bzw. dem Bund als ihrem Rechtsträger nur eingeschränkte Weisungsbefugnisse gegenüber den letztgenannten, den Ländern zu-zurechnenden Behörden zustehen. Damit wird ein grundsätzlicher Klärungsbedarf indes nicht aufgezeigt.
6 Es liegt auf der Hand und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass die Besonderheiten der deutschen Verwaltungsorganisation im Bereich des Dublin-Verfahrens die Auslegung des unionsrechtlichen Rechtsbegriffs "flüchtig" i.S.v. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-O nicht beeinflussen können. In der Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass es im vorliegenden Zusammenhang auf die für die Durchführung der Überstellung zuständigen Behörden ankommt; ihnen muss sich der Antragsteller gezielt entziehen, um die Überstellung (durch sie) zu vereiteln (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 [ECLI:EU:C:2019:218] - Rn. 70). Verzichten diese (Landes)Behörden auf eine Überstellung von Personen im Kirchenasyl, obwohl sie an einer Überstellung rechtlich nicht gehindert wären, ist die Überstellung rechtlich nicht unmöglich. Das gilt auch dann, wenn das für die Durchführung des Dublin-Verfahrens zuständige Bundesamt eine zwangsweise Durchsetzung der Überstellung aus dem Kirchenasyl befürwortet (was mit der Beschwerde im Übrigen nicht einmal ausdrücklich vorgetragen wird) und dies lediglich nicht durchsetzen kann.
7 Mit Art. 29 Dublin III-VO, der den Zuständigkeitsübergang auf den ersuchten Mitgliedstaat nach Ablauf bestimmter Fristen regelt, sollen die Interessen des Asylbewerbers und des zuständigen Mitgliedstaats an einer raschen endgültigen Zuständigkeitsbestimmung einerseits und das Interesse des ersuchenden Mitgliedstaats an einem hinreichenden Zeitraum für die praktische Durchführung der - rechtlich und tatsächlich möglichen - Überstellung andererseits austariert werden. Der ersuchende Mitgliedstaat wird dabei nur als solcher in den Blick genommen; auf seine aus einem föderalen Staatsaufbau folgende Verwaltungsbinnenorganisation kommt es aus der Sicht der - einheitlich auszulegenden - unionsrechtlichen Regelungen nicht an. Das Verhalten der für die Durchführung der Überstellung zuständigen Landesbehörden fällt deshalb in diesem Zusammenhang offensichtlich nicht in die Verantwortungssphäre des Asylbewerbers oder des zuständigen Mitgliedstaats, sondern in die der staatlich verfassten öffentlichen Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt und ist damit auch der Beklagten zuzurechnen. [...]