VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 03.03.2020 - 7 A 3293/17 - asyl.net: M28687
https://www.asyl.net/rsdb/M28687
Leitsatz:

Kein internationaler Schutz für Familienangehörige, wenn der Referenzperson selbst Familienschutz gewährt wurde:

"1. Die Zuerkennung von Familien-Flüchtlingsschutz aufgrund der Flüchtlingseigenschaft der "Ehefrau" scheidet aus, wenn die Eheschließung nach dem Recht des Herkunftsstaates (hier: Afghanistan) unwirksam ist.

2. Die Zuerkennung von Familien-Flüchtlingsschutz aufgrund der Flüchtlingseigenschaft des minderjährigen Sohnes scheidet aus, wenn dieser seinerseits den Flüchtlingsschutz nur von seiner Mutter ableiten konnte (keine Kettenableitung; wie Nds.OVG, Beschluss vom 29.10.2019 - 4 LA 217/19 - juris Rdnr. 6)."

(Amtliche Leitsätze; entgegen VG Köln, Urteil vom 30.09.2019 - 11 K 4384/19.A - asyl.net: M28303)

Schlagwörter: Afghanistan, Familienschutz, wirksame Eheschließung, Stammberechtigter, Abschiebungsverbot, Familieneinheit, Ableitungskette, Kettenableitung, Kind, minderjähriges Kind,
Normen: AsylG § 26 Abs. 5 Satz 1, AsylG § 26 Abs. 4 Satz 2,
Auszüge:

[...]

22 Das Gericht hat zwar die Beklagte mit noch nicht rechtskräftigem Urteil vom gleichen Tage verpflichtet, der ... die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Kläger hat jedoch selbst bei Unanfechtbarkeit dieses Urteils keinen Anspruch nach § 26 Abs. 5 Sätze 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 AsylG auf Zuerkennung von Familien-Flüchtlingsschutz, weil er bereits nicht Ehegatte der ... ist. § 26 Abs. 1 Satz 2 AsylG stellt klar, dass sich die Frage, ob Familien-Flüchtlingsschutz zu gewähren ist, allein danach richtet, ob nach dem Recht des Herkunftslandes (hier: Afghanistan) eine wirksame Ehe geschlossen ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. [...]

24 2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung von Familien-Flüchtlingsschutz nach seinem minderjährigen Sohn ....

25 Das Gericht hat zwar die Beklagte mit noch nicht rechtskräftigem Urteil vom gleichen Tage verpflichtet, auch dem 8-jährigen ... die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Kläger hat jedoch selbst bei Unanfechtbarkeit dieses Urteils keinen Anspruch nach § 26 Abs. 5 Sätze 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 AsylG auf Zuerkennung von Familien-Flüchtlingsschutz nach seinem stammberechtigten Sohn, weil dieser selbst nur von seiner Mutter gemäß § 26 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 2 AsylG abgeleiteten Flüchtlingsschutz zuerkannt erhalten hat. Die entsprechende Anwendung des § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG schließt eine Ableitungskette auf den Kindesvater aus. Dem Wortlaut des § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG nach gilt der Ausschlussgrund zwar nur für die Kinder eines Ausländers, der selbst nach § 26 Abs. 2 oder Abs. 3 (ggf. i.V.m. Abs. 5) AsylG als Flüchtling anerkannt worden ist. Das Kind eines Stammberechtigten, der selbst nicht aufgrund einer überprüften eigenen Verfolgung, sondern nur aufgrund der Zuerkennung eines wiederum abgeleiteten Anspruchs auf Familienflüchtlingsschutz die eigene Berechtigung zuerkannt bekommen hat, soll seinerseits nicht abgeleitet von der schon abgeleiteten Zuerkennung des Asylstatus ein eigener Asylstatus zuerkannt werden können (sog. Ableitungskette). Der Wortlaut dieses Ausschlussgrundes erfasst zwar nicht die Rechtsposition des Klägers, der einen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz nicht als Kind, sondern als Elternteil eines stammberechtigten Kindes auf § 26 Abs. 3 AsylG stützen möchte. Das Gericht wendet den Ausschlussgrund des § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG jedoch über den Wortlaut hinaus entsprechend dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck, der Vermeidung von Ableitungsketten (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 21) auch auf die Ableitung von Familienflüchtlingsschutz für Eltern von stammberechtigten Kindern im Sinne des § 26 Abs. 3 AsylG an (so auch: Nds. OVG, Beschluss vom 29.10.2019 – 4 LA 217/19 – juris Rdnr. 6 AuAS 2020, S. 8 = InfAuslR 2020, S. 41; BayVGH, Urteil vom 26.4.2018 - 20 B 18.30332 - juris, Rdnrn. 27ff; OVG Saarland, Urteil vom 21.3.2019 - 2 A 7/18 - S. 8; VG Düsseldorf, Urteil vom 13.3.2019 - 17 K 7515/18.A - juris Rdnrn. 128ff; Hailbronner, AuslR, Stand. Januar 2019 § 26 AsylG Rdnrn. 38ff; VG Aachen, Urteil vom 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris; ebenso bereits zur früheren Rechtslage: BVerwG, Urteil vom 16.8.1993 – 9 C 7.93 – u.a. NVwZ 1994, S. 504; a.A. VG Dresden, Urteil vom 26.7.2019 - 11 K 3416/17.A - juris, Rdnrn. 29ff. unter Hinweis auf den Wortlaut). Ausweislich der Gesetzesmaterialien zu § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG soll dieser Ableitungsketten ausschließen. Dieser Gesetzeszweck gilt gleichermaßen für die Gewährung des hier in Rede stehenden Familienflüchtlingsschutzes an Eltern minderjähriger stammberechtigter Kinder. Es spricht viel dafür, dass der Gesetzgeber, der durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU – QRL - erstmals in § 26 Abs. 3 AsylG die Möglichkeit eröffnet hat, auch den Eltern oder minderjährigen ledigen Geschwistern eines anerkannten Flüchtlings einen abgeleiteten Schutzstatus zu gewähren, die Anpassung des unverändert übernommenen Ausschlussgrundes des § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG an diese Erweiterung übersehen hat. Dafür spricht auch der weitere Wortlaut der Vorschrift, die in § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG jeweils an den Staat anknüpft, in dem der Flüchtling oder Asylberechtigte bzw. i.V.m. § 26 Abs. 5 AsylG der international Schutzberechtigte politisch verfolgt wird. Politisch verfolgt ist aber nur der Stammberechtigte, nicht (immer auch) der seinerseits nur nach § 26 AsylG Berechtigte (VG Aachen, a.a.O.). [...]