VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Urteil vom 17.08.2020 - 1 K 2286/18.A - asyl.net: M28752
https://www.asyl.net/rsdb/M28752
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung von Kurd*innen in der Türkei:

Kurd*innen droht in der Türkei ohne das Hinzutreten individueller Verfolgungsgründe keine Gruppenverfolgung allein wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Türkei, Kurden, Gruppenverfolgung,
Normen: AsylG § 3
Auszüge:

[...]

Kurdische Volkszugehörige zählen etwa 13 Mio. bis 15 Mio. Menschen auf dem Gebiet der Türkei und stellen noch vor Kaukasiern und Roma die größte Minderheit in der Bevölkerung der Türkei (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14. Juni 2019, S. 12 f. – im Folgenden: Lagebericht AA); sie unterliegen demnach aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen. Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen war bis 2012 nicht erlaubt und wurde seither stufenweise bei entsprechender Nachfrage erlaubt; Dörfer im Südosten können ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten (vgl. Lagebericht AA, S. 13). Seit der Verhängung des Notstands aber hat sich die Lage verändert: Zwei Drittel der per Notstandsdekret geschlossenen Medien sind kurdische Zeitungen, Onlineportale, Radio- und Fernsehsender (vgl. Lagebericht AA, ebd.).

Kurdische Volkszugehörige unterliegen damit in Türkei zwar einer gewissen Diskriminierung. Es fehlt aber jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 -, juris Rn. 42 ff.; BVerwG, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 1 B 31.14 -, juris Rn. 6 ff.).

Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel davon aus, dass eine Verfolgung kurdischer türkischer Staatsangehöriger jedenfalls nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte aufweist, die zu einer Gruppenverfolgung und damit der Verfolgung eines jeden Mitglieds führt (im Ergebnis wie hier VG Aachen, Urteil vom 5. März 2018 - 6 K 3554/17.A -, juris Rn. 51 m.w.N.).

Unabhängig davon steht Kurden in der Westtürkei trotz der auch dort problematischen Sicherheitslage und der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen eine inländische Fluchtalternative offen (vgl. SächsOVG, Urteil vom 7. April 2016 - 3 A 557/13.A -, juris Rn. 31).

Sie können den Wohnort innerhalb des Landes wechseln und so insbesondere in Ballungsräumen in der Westtürkei eine in der Südosttürkei auf Grund der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK höhere Gefährdung verringern. Keine Ausweichmöglichkeiten hingegen bestehen, soweit eine Person Ziel behördlicher oder justizieller Maßnahmen wird, da die türkischen Sicherheitskräfte auf das gesamte Staatsgebiet Zugriff haben (Lagebericht AA, S. 20). [...]