Zur Passbeschaffungspflicht bei laufendem Asylverfahren:
"§ 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG [, wonach die freiwillige Unterstellung unter den Schutz des Herkunftsstaates zum Erlöschen der Schutzberechtigung führt,] steht der Aufforderung zur Beschaffung eines Pass- bzw. Passersatzpapiers an einen vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerber, dessen Asylstreitverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, nicht entgegen.
Die allgemeine Mitwirkungspflicht des § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, die auch die Beschaffung von Pass- bzw. Passersatzpapieren umfasst, findet neben der besonderen Passbeschaffungspflicht des § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG Anwendung. Sie wird durch § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG [, wonach die Passbeschaffungspflicht nicht ab der Stellung eines Asylantrags gilt,] nicht ausgeschlossen."
(Amtliche Leitsätze; siehe auch die gesonderte Themenseite zu Passbeschaffung und Ersatzpapieren)
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5 Die angefochtene Verfügung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sie die Rechtsposition des Antragstellers in dem noch beim Verwaltungsgericht anhängigen Asylstreitverfahren verschlechterte. Allerdings sieht § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG das Erlöschen der Anerkennung als Asylberechtigter und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor, wenn der Ausländer sich freiwillig durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses oder durch sonstige Handlungen erneut dem Schutz des Staates unterstellt, dessen Staatsangehörigkeit er hat. Derartiges erlegt die angefochtene Verfügung dem Antragsteller jedoch nicht auf. Er ist lediglich aufgefordert, sich in der Botschaft seines Heimatlandes ein Passersatzpapier oder Laissez Passer ausstellen zu lassen. Die mit einer Zwangsgeldandrohung versehene Verfügung vom 11. Juni 2020 schließt es aus, die Annahme eines derartigen der Durchführung der Abschiebung des Antragstellers dienenden Dokuments als Indiz für dessen freiwillige Unterstellung unter den Schutz seines Heimatlandes anzusehen (vgl. Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 72 AsylG Rn. 14, 17). Die Befolgung dieser durch die angefochtene Verfügung begründeten Verpflichtung kann damit auch im laufenden Asylstreitverfahren nicht zu Lasten des Antragstellers gewertet werden.
6 Die angefochtene Verfügung ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil den Antragsteller nicht die vom Antragsgegner angenommene besondere Passbeschaffungspflicht des § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG trifft, sondern die - insoweit inhaltsgleiche - allgemeine Mitwirkungspflicht des § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (vgl. zum Inhalt dieser Pflicht im Einzelnen: Senatsurt. v. 8.2.2018 - 13 LB 45/17 -, juris Rn. 41 m.w.N.).
7 § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG schreibt eine "besondere Passbeschaffungspflicht" (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, BT-Drs. 19/10047, S. 38) fest. Besitzt der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, ist er nach dieser Bestimmung unbeschadet des § 3 AufenthG verpflichtet, alle ihm unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes selbst vorzunehmen. Diese besondere Passbeschaffungspflicht gilt gemäß § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG indes nicht für Ausländer ab der Stellung eines Asylantrags (§ 13 AsylG) oder eines Asylgesuchs (§ 18 AsylG) bis zur rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrages sowie für Ausländer, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt, es sei denn, das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG beruht allein auf gesundheitlichen Gründen. Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 60b Abs. 2 Satz 2 AufenthG sind hier erfüllt, da die Ablehnung des vom Antragsteller gestellten Asylantrags noch nicht rechtskräftig ist. Die gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30. August 2018 erhobene Klage ist noch bei dem Verwaltungsgericht Stade - 4 A 1956/18 - anhängig.
8 Die Anwendbarkeit der allgemeinen Bestimmung des § 48 Abs. 3 AufenthG ist aber nicht durch § 60b Abs. 2 AufenthG als speziellere Bestimmung ausgeschlossen. Mit der durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294) neu in das Aufenthaltsgesetz eingefügten Bestimmung des § 60b AufenthG zielt der Gesetzgeber auf eine Verdeutlichung und stärkere Erfüllung der Rechtspflichten vollziehbarer Ausländer bei der Passbeschaffung ab und schafft für den Fall der Nichterfüllung mit der "Duldung für Personen mit ungeklärter Identität" eine besondere Sanktionsmöglichkeit [...]. Dieser gesetzgeberischen Zielsetzung widerspräche es, im Anwendungsbereich des § 60b Abs. 2 AufenthG die allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten als suspendiert zu betrachten. Vielmehr bleiben die allgemeine Passpflicht nach § 3 AufenthG und auch die allgemeine Mitwirkungspflicht des § 48 Abs. 3 AufenthG neben den besonderen Pflichten nach § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestehen (so ausdrücklich: Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, BT-Drs. 19/10047, S. 38; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AufenthG, § 60b Rn. 13). [...]