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Zitieren als:
Landesbehörden, Erlass/Behördliche Mitteilung vom 19.08.2020 - IV 225 - asyl.net: M28935
https://www.asyl.net/rsdb/M28935
Leitsatz:

Hinweise zur Durchführung von Abschiebungshaft:

Das Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein hat den lokalen Kommunen und Ausländerbehörden Hinweise zur Durchführung der Abschiebungshaft bekanntgegeben. 

In dem Schreiben wird differenziert nach den verschiedenen Haftformen aufgeführt, wie die konkreten Rechtsgrundlagen zu verstehen und in der Praxis umzusetzen sind. Die Informationen dienen somit den vollziehenden Behörden als Leitfaden und sollen sowohl die einheitliche Rechtsanwendung fördern als auch die Rechtmäßigkeit des behördlichen Handelns in diesem grundrechtlich sensiblen Bereich absichern.

(Zusammenfassung der Redaktion)

Schlagwörter: Schleswig-Holstein, Abschiebungshaft, Anwendungshinweise, Innenministerium,
Normen: GG Art. 2 Abs. 2 S. 2, GG Art. 104 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 62,
Auszüge:

[...]

Abschiebungshaft, Überstellungshaft und Ausreisegewahrsam stellen als Freiheitsentziehung einen schwerwiegenden hoheitlichen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht nach Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG dar. Sie sind daher stets die letzten Mittel (ultima ratio) zur Durchsetzung einer Ausreiseverpflichtung und unterliegen dem Richtervorbehalt des Artikels 104 Absatz 2 Satz 1 GG. In diesem Zusammenhang gebe ich Ihnen folgende Hinweise mit der Bitte um Beachtung:

1. Allgemeines zur Abschiebungshaft

Die Beantragung von Abschiebungshaft ist nach § 62 AufenthG sowohl zur Vorbereitung einer Ausweisung oder einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG (Vorbereitungshaft) als auch zur Sicherung der Abschiebung (Sicherungshaft) möglich. Eine weitere Form der Abschiebungshaft stellt die durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (Geordnete-Rückkehr-Gesetz) eingeführte Mitwirkungshaft dar. Die Mitwirkungshaft dient der Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 AufenthG zum Zwecke der Abschiebung. In jedem Fall darf Abschiebungshaft nur dann beantragt und angeordnet werden, wenn die Abschiebung ohne die Inhaftierung wesentlich erschwert oder vereitelt würde. Die Abschiebungshaft hat weder Strafcharakter, noch handelt es sich bei ihr um eine Beugemaßnahme.

2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Absehen von der Abschiebungshaft

2.1 Vorrang milderer Mittel

Abschiebungshaft muss verhältnismäßig sein. Sie darf nur angeordnet werden, wenn und solange sie für die Durchführung des Zwecks der Abschiebung erforderlich ist. Gemäß § 62 Absatz 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebungshaft unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann.

Mildere Mittel zur Vermeidung von Abschiebungshaft sind insbesondere Meldeauflagen, räumliche Aufenthaltsbeschränkungen, Garantien durch Vertrauenspersonen (Bürgen) so-wie die Vereinbarung von Sicherheitsleistungen, mit denen gewährleistet wird, dass die ausreisepflichtige Person zum Zeitpunkt der Abschiebung zur Verfügung steht und die Maßnahme nicht durch ein Untertauchen zum Scheitern bringt. Auch die Unterbringung in der Landesunterkunft für Ausreisepflichtige kann ein milderes Mittel darstellen. Mildere Mittel, die auf Grund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls erkennbar untauglich sind, dieses Ziel zu erreichen, scheiden demgegenüber aus. Ich rege an, im Haftantrag darzulegen, ob und ggf. welche Haftalternativen bestehen und aus welchem Grunde diese in dem betreffenden Fall nicht zum Tragen kommen.

2.2 Schutz von Minderjährigen und Familien mit Minderjährigen

§ 62 Absatz 1 Satz 3 AufenthG gilt für alle Formen der Abschiebungshaft (Vorbereitungshaft, Sicherungshaft, Mitwirkungshaft). Nach dieser Vorschrift dürfen Minderjährige und Familien mit Minderjährigen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. In Anbetracht dessen bitte ich, bei Familien mit minderjährigen Kindern eine Inhaftnahme des gesamten Familienverbands zu vermeiden. Soweit eine Abschiebungshaft bei Familien mit minderjährigen Kindern unerlässlich ist, soll Haft nur für einen Elternteil beantragt werden. Dies gilt nicht nur bei Eltern, die eine förmliche Ehe geschlossen haben, sondern auch für faktische Lebensgemeinschaften.

Des Weiteren bitte ich, in folgenden Fällen von einem Antrag auf Abschiebungshaft grundsätzlich abzusehen:

- bei Minderjährigen

- bei Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern

- bei Schwangeren und Müttern innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzfristen sowie bei stillenden Frauen

Falls wegen einer besonderen Sachlage in diesen Fällen eine Abschiebungshaft ausnahmsweise zwingend erforderlich ist, ist das Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung vor der Beantragung der Abschiebungshaft hierüber zu unterrichten. Bei der Anforderung eines Haftplatzes ist gegenüber dem Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge zu bestätigen, dass das Ministerium für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung entsprechend informiert worden ist. In den betreffenden Verfahren soll die Haft eine Dauer von fünf Tagen nicht überschreiten.

Wenn im Einzelfall eine Inhaftierung von Minderjährigen unvermeidbar ist, hat die Ausländerbehörde die sorgeberechtigten Personen bzw. das zuständige Jugendamt sowie das Jugendamt am Haftort unverzüglich zu benachrichtigen.

2.3 Berücksichtigung gesundheitlicher Gesichtspunkte

Haftunfähigkeit ist ein Hafthindernis. Fehlende Haftfähigkeit steht einem Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft deshalb entgegen. Bei Zweifeln an der Haftfähigkeit auf Grund einer körperlichen oder psychischen Erkrankung des Ausländers hat die zuständige Ausländerbehörde die Haftfähigkeit durch ärztliches Personal mit entsprechender Qualifikation prüfen zu lassen.

Im Übrigen muss beachtlichen Vorträgen von gesundheitlichen Beeinträchtigungen in jedem Stadium der Abschiebung nachgegangen werden, auch während der Abschiebungshaft. Liegen Hinweise auf gesundheitliche Beeinträchtigungen, insbesondere Traumatisierungen, vor, ohne dass diese zur Haftunfähigkeit oder zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungs- bzw. inlandsbezogenen Vollstreckungshindernis führen, ist die Hafteinrichtung hierüber zu informieren.

Der Situation von Abschiebungsgefangenen mit Behinderung ist beim Vollzug der Abschiebungshaft besondere Aufmerksamkeit zu widmen (vgl. § 62a Absatz 3 Satz 2 AufenthG). Vor der Beantragung von Abschiebungshaft ist daher zu klären, ob behinderungsbedingten Belangen in der Haft Rechnung getragen werden kann. [...]