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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 06.10.2020 - XIII ZB 31/20 - asyl.net: M29013
https://www.asyl.net/rsdb/M29013
Leitsatz:

Kein Einvernehmen der Staatsanwaltschaft bei Einstellung nach § 154 StPO:

"Im Hinblick auf Ermittlungsverfahren, die nach § 154 StPO eingestellt sind, bedarf es für die Abschiebung keines staatsanwaltschaftlichen Einvernehmens."

(Amtlicher Leitsatz, unter Bezugnahme auf BGH, Beschluss vom 12.02.2020 - XIII ZB 15/19 - asyl.net: M28364)

Schlagwörter: Abschiebung, Abschiebungshaft, Einvernehmen der Staatsanwaltschaft zur Abschiebung, Ermittlungsverfahren, Einstellung,
Normen: StPO § 154, AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1, FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5,
Auszüge:

[...]

12 (aa) Nach einer von der Rechtsbeschwerde geteilten Auffassung besteht das Beteiligungserfordernis nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG allerdings bezüglich sämtlicher nur vorläufig eingestellter Ermittlungsverfahren in gleicher Weise wie bei laufenden Ermittlungsverfahren (vgl. Kaniess, Abschiebungshaft, Rn. 152; HK-AuslR/Hofmann, 2. Aufl., § 72 AufenthG Rn. 34 mit Fn. 61).

13 (bb) Nach der Gegenmeinung löst ein nach § 154 StPO vorläufig eingestelltes Ermittlungsverfahren das Beteiligungserfordernis des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG hingegen nicht aus (vgl. VGH München, Beschluss vom 25. Oktober 2006 - 19 CS 06.2240, juris Rn. 21; VGH Mannheim, Urteil vom 6. November 2012 - 11 S 2307/11, juris Rn. 19 und 62 [insoweit in DVBl. 2013, 189 nicht abgedruckt]; LG Bielefeld, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 23 T 265/13, juris Rn. 19).

14 (cc) Der Senat tritt der letztgenannten Auffassung bei.

15 Die Beteiligung der Staatsanwaltschaft dient allein der Wahrung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 15/19, InfAuslR 2020, 242 Rn. 17, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 11.15, juris Rn. 24). § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG will sicherstellen, dass die Staatsanwaltschaft Strafverfahren abschließen kann, bei denen das öffentliche Strafverfolgungsinteresse das Interesse an der sofortigen Abschiebung überwiegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146 Rn. 22, und vom 12. März 2015 - V ZB 197/14, FGPrax 2015, 181 Rn. 5). Hat die Staatsanwaltschaft jedoch ein Ermittlungsverfahren nach § 154 StPO eingestellt und nicht wiederaufgenommen, so hat sie selbst zum Ausdruck gebracht, dass aus ihrer Sicht insoweit kein öffentliches Strafverfolgungsinteresse besteht.

16 Dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf ein gemäß § 154f StPO vorläufig eingestelltes Ermittlungsverfahren vor einer Abschiebung das Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft einzuholen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2018 - V ZB 231/17, FGPrax 2019.43 Rn. 5), steht dieser Einschätzung nicht entgegen. Zwar handelt es sich auch bei einer Einstellung nach § 154 StPO um eine vorläufige Einstellung. Ein durch Gerichtsbeschluss nach § 154 Abs. 2 StPO eingestelltes Verfahren kann nämlich unter den Voraussetzungen des § 154 Abs. 3 und 4 StPO wiederaufgenommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 - 1 StR 438/05, NStZ-RR 2007, 20) und bei einer Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO genügt für eine Wiederaufnahme bereits das Vorliegen eines sachlich einleuchtenden Grundes (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 1990 - 3 StR 252/88, BGHSt 37, 10, 13, und Beschluss vom 30. April 2009 - 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1, 7, jeweils mwN). Die materiellen Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung nach den genannten Normen und der dahinterstehende Gesetzeszweck unterscheiden sich jedoch in erheblicher Weise. Während eine Einstellung nach § 154f StPO an die temporäre objektive Unmöglichkeit der Strafverfolgung anknüpft, indem sie voraussetzt, dass der Eröffnung oder Durchführung des Hauptverfahrens für längere Zeit die Abwesenheit des Beschuldigten oder ein anderes in seiner Person liegendes Hindernis entgegensteht, dient die vorläufige Verfahrenseinstellung nach § 154 StPO allein der Verfahrensökonomie. Hier wäre die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Weiteres möglich, da der Beschuldigte greifbar ist; der Ermittlungsbehörde wird jedoch aus Gründen der Effizienz die Möglichkeit eingeräumt, die Durchsetzung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses zurückzustellen (vgl. dazu Mavany in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl. § 154 Rn. 1; MüKoStPO, Teßmer, § 154 Rn. 2, jeweils mwN). [...]