VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 16.02.2021 - 10 K 1527/20.A - asyl.net: M29441
https://www.asyl.net/rsdb/M29441
Leitsatz:

Flüchtlingsschutz für Eritreerin wegen Mitgliedschaft in einer Freikirche und der Oppositionspartei ENSF:

1. Mitglieder freikirchlicher Gemeinschaften (hier: evangelikale Christen, Mennoniten) und oppositioneller Exilparteien (hier: ENSF) sind in Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatlicher Verfolgung ausgesetzt. 

2. Die Möglichkeit, den Diasporastatus zu beantragen, bietet keine zumutbare Schutzalternative. Das Verfahren ist höchst intransparent und willkürlich. Auch die Reueerklärung schützt weder vor Bestrafung noch vor einer Verfolgung aufgrund politischer Betätigung.

3. Eritreischen Staatsangehörigen, die aus Drittstaaten in den Sudan einreisen, droht die Abschiebung nach Eritrea und dort Inhaftierung und Folter. Der Sudan verstößt bei Abschiebungen nach Eritrea gegen das Non-Refoulement-Gebot aus Art. 33 GFK. Zudem ist eine Rückkehr in den Sudan aufgrund der dort herrschenden schlechten wirtschaftlichen und humanitären Lebensumstände, die sich durch die Covid-19-Pandemie nochmals verschlechtert haben, unzumutbar.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: ENSF, ENSF-HDRI, Eritrea, religiöse Verfolgung, Freikirche, Evangelikale, Eritrean National Salvation Front, Mennoniten, Exilpolitik, politische Verfolgung, Sudan, Eritrea, Frauen,
Normen: AsylG § 3, GFK Art. 33,
Auszüge:

[...]

Der Asylantrag der Klägerin – deren eritreische Staatsangehörigkeit weder zwischen Beteiligten in Streit noch für das Gericht in Zweifel steht - ist zulässig (a) und als evangelikale Christin (c) und Angehörige einer oppositionellen Exilpartei (d) ist sie in Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht (b). Eine innerstaatliche Schutzalternative besteht für die Klägerin in Eritrea nicht (e) und der Äthiopien oder der Sudan stellen für sie keinen sicheren Drittstaat im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 4, § 27 AsylG dar (f).

a. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, die trotz der positiven Zulässigkeitsprüfung des Bundesamts zu überprüfen sind - vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Januar 2019 - 1 C 15.18 -, juris Rn. 40 und vom 25. April 2019 - 1 C 28.18 -, juris Rn. 13 -, sind gegeben. [...]

b. Die Mitglieder freikirchlicher Gemeinschaften und oppositioneller Exilparteien sind in Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatlicher Verfolgung ausgesetzt. In Eritrea besteht ein Ein-Parteien-Regime, das von einer autoritären Präsidialdiktatur regiert wird. Militär, Geheimdienst und Polizei sowie ein landesweites System von Haftanstalten bilden die organisatorischen Säulen des Machtapparats. Die Staatsideologie ist maoistisch, mehr aber noch durch die Erfahrungen der Staatsführung im bis 1991 andauernden Befreiungskrieg und dem eritreisch-äthiopischen Grenzkrieg von 1998 bis 2000 geprägt (vgl. Mekonnen, Gutachten für das VG Minden, 19. August 2020, S. 5; Hirt, Gutachten für das VG Minden 2019, S. 1 f.; McMullen, Assessment of Isaias Afewerki, 5. März 2009, abgedruckt in: Plaunt, Understanding Eritrea, 2019, S. 233 ff.; vgl. United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2019, S. 1). [...]

Die Regierungspartei überwacht auch die Exilopposition kontinuierlich, um deren Arbeit zu behindern, eine Vereinigung der Splitterorganisationen zu verhindern und deren Rückkehr nach Eritrea zu unterbinden. Gegen herausgehobene Persönlichkeiten und Veranstaltungen der Opposition kommt es auch im Ausland zu Repressionen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea: EDYU ENSF-Hidri - Überwachung der Diaspora, 30. September 2020, S. 8; Human Rights Council, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (A/HRC/29/CRP.1) vom 5. Juni 2015, S. 133).

Die eritreische Regierung hat im Ausland seit langem auf Botschaftsmitarbeiter und Sympathisanten beruhende Strukturen zur Überwachung der dortigen Opposition aufgebaut. Eine gezielte Überwachung erfolgt zwar wohl nur bei hochrangigen Oppositionsmitgliedern. Nicht ganz unerhebliche politische Betätigungen von Exileritreern nimmt die eritreische Regierung jedoch - wenn auch nicht lückenlos - zur Kenntnis. Die entsprechenden Personen werden auf Listen in einer Datenbank geführt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea: EDYU ENSF-Hidri - Überwachung der Diaspora, 30. September 2020, S. 9; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Sigmaringen vom 31. August 2018; ders., Auskunft an das VG Magdeburg vom 30. Juni 2004; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 09. Dezember 2020, S. 24; Schröder, Stellungnahme vom 30. Oktober 2006).

Jegliche oppositionelle Aktivität im Ausland wird von der Regierung als Loyalitätsbruch angesehen. Personen, die solcher Aktivitäten im Ausland verdächtigt werden, droht bei einer Rückkehr nach Eritrea Repression in Form von Folter und Inhaftierung (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea: EDYU ENSF-Hidri - Überwachung der Diaspora, 30. September 2020, S. 9; Schröder, Stellungnahme vom 08. Juli 2005, S. 3 f.).

Die Religionsausübung unterliegt in Eritrea vergleichbaren Restriktionen. Eritrea ist ein säkularer Staat (Proklamation 73/1995); de jure besteht Religionsfreiheit. Öffentlich darf dies nicht in Frage gestellt werden. Seit 2002 gilt jedoch für alle Glaubensgemeinschaften eine Registrierungspflicht, so dass seither nur noch die offiziell anerkannten Glaubensgemeinschaften ihren Glauben tatsächlich praktizieren dürfen. Anerkannte Glaubensgemeinschaften sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche, die eritreisch-orthodoxe Tewahedo-Kirche sowie der sunnitische Islam. Mehrere Freikirchen haben seither die Registrierung beantragt, bisher allerdings keine Antwort auf ihr Ersuchen erhalten (vgl. EASO, EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen: Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 48; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea: evangelikale und pentekostale Kirchen, 9. Februar 2011, S. 1 f.; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Eritrea: Religious groups, Februar 2018, S. 4; Bundesamt für Migration, Factsheet Eritrea - Grundlageninformationen, 10. September 2013, S. 18; Institut für Afrikakunde, Auskunft an das VG Arnsberg vom 03. November 2005, S. 2; Hirt, Menschenrechte in Eritrea: Ort der Menschheitsverbrechen oder verkanntes Musterland? 2018, S. 14 ff.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Eritrea, 26. Februar 2019, S. 19 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 27. Januar 2020, S. 12; United States - Department of State, International Religious Freedom Report for 2019, et al.).

Während der Ableistung des Nationaldienstes wird die Ausübung von Religion sowie der Besitz religiöser Bücher in der Regel nicht toleriert und häufig bestraft (vgl. EASO, EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen: Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 49; Institut für Afrikakunde, Auskunft an das VG Arnsberg vom 03. November 2005, S. 3).

Bereits registrierte Religionsgemeinschaften sind massiven Eingriffen in ihre innere Angelegenheiten seitens der Regierung ausgesetzt und es wird erheblicher Druck auf diese ausgeübt. [...]

Nicht registrierten Religionsgemeinschaften ist die Religionsausübung de facto verboten. Zwar sieht das derzeit geltende eritreische Strafgesetzbuch keinen dementsprechenden Straftatbestand vor (vgl. Bundesamt für Migration, Factsheet Eritrea - Grundlageninformationen, 10. September 2013, S. 19; UK Home office, Country Policy and Information Note - Eritrea: Religious groups, Februar 2018, S. 5; zur Rechtslage insb.: United States - Department of State, International Religious Freedom Report for 2019, S. 3) auf Zusammenkünfte von Angehörigen nicht registrierter Religionsgemeinschaften wird jedoch der Straftatbestand des unerlaubten Versammelns angewandt, welcher bei Zusammenkünften ab fünf Personen greift. Einige Häftlinge sollen auch noch aufgrund vormaliger Strafbestimmung hinsichtlich der Registrierungspflicht inhaftiert sein. [...]

Letztlich erfolgen Verhaftung und Inhaftierung in Eritrea aber regelmäßig willkürlich und unterliegen keiner gerichtlichen Kontrolle.

Angehörige nicht registrierter Religionsgemeinschaften haben grundsätzlich bei öffentlich wie auch im Privaten praktizierter Religionsausübung Verfolgung zu erwarten. Bereits ein gemeinsames Gebet zu Hause, eine Hochzeit oder eine Beerdigung kann zu Verhaftungen führen. Die glaubensbedingte Weigerung, am Nationaldienst oder der Volksarmee teilzunehmen, führt regelmäßig zur Verhaftung (vgl. EASO, EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen: Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 48; UK Home office, Country Policy and Information Note - Eritrea: Religious groups, Februar 2018, S. 5; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea: evangelikale und pentekostale Kirchen, 9. Februar 2011, S. 2; Bundesamt für Migration, Factsheet Eritrea - Grundlageninformationen, 10. September 2013, S. 19; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 27. Januar 2020, S. 13; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Arnsberg vom 09. August 2005, S. 1).

Allerdings besteht hinsichtlich nicht registrierter Religionsgemeinschaften auch eine unsichere Praxis der Tolerierung. Die Behörden gehen diesbezüglich nicht immer gleich vor (vgl. United States - Department of State, International Religious Freedom Report for 2019, S. 1 f., 8).

Die Größe der Gemeinschaft, das Potential, mit der Staatsideologie in Konflikt zu geraten, die Identität der Religionsgemeinschaft mit einer Volksgruppe sowie etwaige Kritik an der Regierungspolitik sind neben Beziehungen ins Ausland und teilweise der Konkurrenz zur eritreisch-orthodoxen Kirche Faktoren, welche die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehren. Die Religionsausübung der jüdischen, griechisch-orthodoxen und zum Teil der anglikanischen Religionsgemeinschaften sowie der Bahai werden daher durchaus geduldet, obwohl diese Gemeinschaften nicht erlaubt sind (vgl. United States - Department of State, International Religious Freedom Report for 2019, et al.; Open Doors Deutschland e.V., Weltverfolgungsindex: Eritrea, Berichtszeitraum: 1. November 2018 – 31. Oktober 2019).

Evangelikale Kirchen, die Pfingstbewegung, Adventisten des Siebenten Tages, Zeugen Jehovas und wahhabitischen Muslime werden dagegen tendenziell eher verfolgt. Die PFDJ-Ideologie, welche das Märtyrertum für den Staat über spirituelle Werte stellt, lehnt diese Religionen ab. Insbesondere evangelikale Kirchen werden als Teil ausländischer Kampagnen gegen den eritreischen Staat angesehen und der Verbreitung von Lehren bezichtigt, die mit den traditionellen eritreischen Werten in Konflikt stehen (vgl. EASO, EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen: Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 48; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Eritrea: Religious groups, Februar 2018, S. 14; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 27. Januar 2020, S. 13; International Crisis Group, Eritrea: The Siege State, 21. September 2010, S. 11).

Die Verfolgung insbesondere der Mitglieder von Freikirchen hat in letzter Zeit zugenommen, so dass nunmehr auch vulnerable Personen hiervon betroffen sind. Ausnahmen für Minderjährige und Schwangere von Verfolgung und Inhaftierung erfolgen nicht mehr durchgängig (vgl. Finnish Immigration Service, Eritrea: Fact-Finding Mission to Ethiopia in May 2019, 20. November 2019, S. 11 f.; Institut für Afrikakunde, Auskunft an das VG Arnsberg vom 03. November 2005, S. 2). [...]

Der eritreische Staat unterscheidet zwischen zwei Arten von Inhaftierten: ordentliche und politische Inhaftierte. Inhaftierte aus religiösen Gründen sind tendenziell der Gruppe der aus politischen Gründen inhaftierten Personen zuzurechnen. [...]

Die Haftbedingungen in Geheimgefängnissen sind schlechter und brutaler (Unterbringung in unterirdischen Bunkern und Schiffscontainern) als in den allgemeinen Gefängnissen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea - Update vom Februar 2010, 8. Februar 2010, S. 9; Human Rights Watch, Service for Life - State Repression and Indefinite Conscription in Eritrea, 16. April 2009, S. 34; Tronvoll/Mekonnen, The African Garrison State, 2017, S. 98).

Incommunicadohaft erfolgt bei politischen Gefangenen sowie Gefangenen aus religiösen Gründen systematisch (vgl. Human Rights Council, Report of the detailed findings of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (A/HRC/29/CRP.1) vom 5. Juni 2015, S. 244 ff. insb. Rn. 885; Human Rights Council, Human rights situation in Eritrea (A/HRC/44/23) vom 11. Mai 2020, Rn. 26 ff.; United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2017 - Eritrea, S. 4; United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2018 - Eritrea, S. 4; Tronvoll/Mekonnen, The African Garrison State, 2017, S. 94; Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. August 2017 - D-2311/2016 -, S. 31).

c. Der Klägerin droht als evangelikaler Christin in Eritrea Verfolgung der vorstehend dargelegten Art. Bei einer Rückkehr nach Eritrea hätte die Klägerin zumindest bei öffentlicher oder gemeinschaftlicher Ausübung ihres Glaubens früher oder später mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit schwerwiegende Verletzungen grundlegender Menschenrechte durch unverhältnismäßige und willkürliche Inhaftierung sowie körperliche Gewalt zu erwarten. Hierbei kann dahinstehen, ob der Klägerin bereits aufgrund ihres Glaubens oder erst durch dessen Ausübung Verfolgung droht. Von der Klägerin kann nicht verlangt werden, ihren Glauben nur für sich und im Geheimen auszuüben, weil zumindest die in Eritrea nicht mögliche öffentliche oder gemeinschaftliche Ausübung des Glaubens zentrale und unverzichtbare Elemente ihrer religiösen Identität sind. [...]

c. Aufgrund der vorgelegten Mitgliedsbescheinigung der "ENSF-HIDRI" - an deren Echtheit und inhaltlichen Richtigkeit kein Zweifel besteht - sowie der überzeugenden Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) fest, dass diese ein aktives Mitglied einer oppositionellen Exilpartei bzw. -bewegung ist. [...]

Als aktivem Mitglied einer oppositionellen Exilpartei droht der Klägerin bei einer Rückkehr nach Eritrea Verfolgung der vorstehend dargelegten Art durch Inhaftierung und Folter. Die Klägerin weist ein besonderes Risikoprofil auf, da sie nicht nur aktives Mitglied der eritreischen Exilpartei ENSF-HIDRI ist, sondern auch Angehörige einer in Eritrea verbotenen Freikirche. Bei der ENSF-HIDRI (Eritrean National Salvation Front) handelt es sich um eine oppositionelle Exilpartei, die eine von mehreren Nachfolgeparteien der Befreiungsbewegung ELF (Eritrean Liberation Front) ist (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Sigmaringen vom 31. August 2018; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea: EDYU ENSF-Hidri - Überwachung der Diaspora, 30. September 2020, S. 6).

Die ELF war die Vorgängerpartei und wichtigste innerpolitische Opposition zur heutigen Regierungspartei Eritreas - der EPLF/PFDJ -, deren Anhänger bereits während des Befreiungskampfes in den 80er Jahren aus Eritrea vertrieben wurden (vgl. EASO, EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen: Länderfokus Eritrea, Mai 2015, S. 29; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea, März 2007, S. 6; Schröder, Stellungnahme vom 20. Mai 2005, et al.).

Daher wird die eritreische Regierung die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Eritrea als politische Opponentin ansehen und mit den vorstehend unter II. 2. a. benannten Repressionen belegen.

e. Der Klägerin steht in Eritrea weder eine innerstaatliche Schutzalternative im Sinne von § 3e AsylG offen noch gibt es dort einen Akteur, der ihr Schutz im Sinne von § 3d AsylG bieten kann. Sämtliche Regionen Eritreas unterstehen der Kontrolle der Regierung (vgl. auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 22. März 2019 (Stand: Februar 2019), S. 17; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Eritrea: Religious groups, Februar 2018, S. 5), so dass die Klägerin landesweit mit einer Verfolgung durch staatliche Stellen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer politischen Partei und ihrer freikirchlichen Konfession rechnen muss.

Die Möglichkeit, den Diasporastatus zu beantragen, bietet keine der Klägerin zumutbare Schutzalternative. Trotz Diasporastatus besteht für freiwillige Rückkehrer keine Rechtssicherheit, da es für den Diasporastatus keine rechtliche Grundlage gibt (vgl. Amnesty International, Stellungnahme zum Umgang mit Rückkehrern und Kriegsdienstverweigerern in Eritrea, 28. Juli 2017, S. 1 f.; Amnesty International, Stellungnahme 2018, S. 8; U.K. Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber, Entscheidung vom 07. Oktober 2016 - UKUT 00443 (IAC), MST and Others Eritrea CG [2016] -, Rn. 334; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 10. Oktober 2017, S. 3).

Auch erhält nicht jeder, der die Diasporasteuer bezahlt und den Reuebrief (Form 4/4.2 "Taesa") unterzeichnet, den Diasporastatus. Das Erteilungsverfahren ist höchst intransparent und willkürlich. Wer nach 2002 ausreiste und Wehrdienstverweigerer ist, hat kaum Möglichkeiten den Status zu erlangen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea: Reflexverfolgung, Rückkehr und "Diaspora-Steuer", 30. September 2018, S. 10). Entscheidend ist jedoch, dass die Reueerklärung weder vor Bestrafung, noch vor einer Verfolgung aufgrund politischer Betätigung schützt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Schleswig vom 14. April 2020, S. 2; Mekonnen, Gutachten für das VG Minden, 19. August ?2020, S. 16; Schweizerisches Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Januar 2017 - D-7898/2015 -, S. 37; U.K. Upper Tribunal - Immigration and Asylum Chamber, Entscheidung vom 20. Juni 2016 - MST and Others Eritrea CG [2016] UKUT 00443 (IAC), MST and Others Eritrea CG [2016] -, Rn. 333).

f. Äthiopien und der Sudan stellen für die Klägerin keinen sicheren Drittstaat im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 4, § 27 AsylG dar. [...]

aa. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass hinsichtlich der Klägerin eine Aufnahmebereitschaft des Sudan besteht. [...]

Ferner droht Eritreern, die aus Drittstaaten in den Sudan einreisen, die Abschiebung nach Eritrea und dort Inhaftierung und Folter. Der Sudan hat in den letzten Jahren gegen das Refoulement-Verbot aus Art. 33 GFK verstoßen und Personen nach Eritrea überstellt. [...]

Dieses Vorgehen wurde erst 2018 auf internationalen Druck hineingestellt. Dass diese Praxis nicht erneut aufgenommen wird, ist angesichts der volatilen politischen und wirtschaftlichen Lage im Sudan nicht hinreichend gesichert (vgl. Danish Immigration Service, Eritrea - National Service, exit and entry, Januar 2020, S. 39).

Aufgrund der sudanesischen Rechtslage ist eine Abschiebung nach Eritrea für eritreische Migranten, die aus Drittstaaten in den Sudan einreisen und nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, aber auch nach wie vor möglich und beachtlich wahrscheinlich (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Sudan: Situation eritreischer Flüchtlinge im Sudan in Hinblick auf Asylverfahren und Aufenthaltsstatus 26. Mai 2020).

Schließlich ist der Klägerin eine Rückkehr in den Sudan aufgrund der dort derzeit herrschenden schlechten wirtschaftlichen und humanitären Lebensumstände unzumutbar. Der Sudan verfolgt eine zwiegespaltene Flüchtlingspolitik, die zum einen auf einer Politik der offenen Grenzen und zum anderen auf einer rigiden "encampment policy" fußt. Für anerkannte Flüchtlinge besteht daher Residenzpflicht in dem zugewiesenen Flüchtlingslager. Die Lage der äthiopischen und eritreischen Flüchtlinge in den sudanesischen Flüchtlingslagern ist prekär und wird sich infolge der bereits bisher 60.000 aus der äthiopischen Region Tigray neu eingetroffenen Flüchtlinge weiter verschlechtern. 70 % aller Flüchtlinge leben daher außerhalb der für sie vorgesehenen und überfüllten 21 Camps. Obwohl toleriert wird, dass sie sich im Land bewegen und im informellen Sektor beschäftigt sind, verbleiben sie in einem illegalen Status und sind daher vulnerabel. Flüchtlinge dürfen auch in den Camps nur mit Genehmigung arbeiten. Ausbeutung und Missbrauch durch Arbeitgeber bzw. Belästigung und Einschüchterung durch Polizisten sind keine Seltenheit. Mitte Dezember 2019 kam es in Khartum zu einer Verhaftungswelle, bei der eritreische Staatsangehörige unter Androhung von Gewalt und Haft hohe Gebühren zahlen mussten. Einzelne Verhaftungen von Flüchtlingen außerhalb der Camps sind nicht unüblich (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan, 28. Juni 2020, S. 24 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Sudan, 04. September 2018, S. 23. United States Department of State, Sudan 2019 - Human rights report, S. 27 ff.; U.K. Home office, Report of a fact-finding mission to Khartoum, November 2018, S. 166).

Darüber hinaus ist die Versorgungslage in großen Teilen des Sudans derzeit kritisch. Seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie hat sich die Lage zunehmend verschärft. Insbesondere Tagelöhner, zu denen überwiegend auch die sich illegal im Land aufhaltenden Migranten gehören, finden nur noch schwer Arbeit. Zwar existiert in der Hauptstadt Khartum im Gegensatz zum Umland noch ein umfassendes Warenangebot und auch Nahrungsmittel sind ausreichend verfügbar, für den Großteil der Bevölkerung ist das für ein Überleben Notwendige jedoch nicht mehr bezahlbar. Mehr als die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung kann mangels Kaufkraft ihren täglichen Kalorienbedarf daher nicht mehr aus eigener Kraft decken (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Sudan, 28. Juni 2020, S. 25).

Wesentlich außerhalb Khartums oder der Flüchtlingslager an der Grenze zu Eritrea und Äthiopien werden sich die Klägerin und ihre Familie mit zwei Kleinkindern aufgrund der weiterhin bestehenden bewaffneten Konflikte im Sudan nicht niederlassen können. [...]