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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 31.07.2002 - 1 C 7.02 - asyl.net: M3074
https://www.asyl.net/rsdb/M3074
Leitsatz:

Die (Teil-) Rechtskraft eines Urteils, in dem das Verwaltungsgericht die Androhung der Abschiebung in den Heimatstaat (hier: Äthiopien) wegen der gleichzeitigen Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG aufgehoben hat, steht dem erneuten Erlass einer Abschiebungsandrohung ausnahmsweise dann nicht entgegen, wenn das Oberverwaltungsgericht der Berufung, die es nur zu § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG zugelassen hat, stattgibt und die Klage insoweit abweist. (amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Berufung, Zulässigkeit, Berufungsbegründung, Rechtsmittelbelehrung, Fristen, Jahresfrist, Verwaltungsgericht, Urteil, Rechtskraft, Bindungswirkung, Erneute Abschiebungsandrohung, Änderung der Sach- und Rechtslage
Normen: AsylVfG § 34 Abs. 1 ; AuslG § 50; VwGO § 121
Auszüge:

Die (Teil-) Rechtskraft eines Urteils, in dem das Verwaltungsgericht die Androhung der Abschiebung in den Heimatstaat (hier: Äthiopien) wegen der gleichzeitigen Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG aufgehoben hat, steht dem erneuten Erlass einer Abschiebungsandrohung ausnahmsweise dann nicht entgegen, wenn das Oberverwaltungsgericht der Berufung, die es nur zu § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG zugelassen hat, stattgibt und die Klage insoweit abweist. (amtlicher Leitsatz)

Gemäß § 34 Abs. 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt nach den §§ 50 und 51 Abs. 4 des Ausländergesetzes die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird und keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt. Eine solche Abschiebungsandrohung hatte das Bundesamt bereits in seinem ursprünglichen Ablehnungsbescheid vom 25. August 1993

erlassen. Nachdem das Verwaltungsgericht diese Abschiebungsandrohung teilweise - hinsichtlich Äthiopiens - aufgehoben hatte, durfte das Bundesamt dem Kläger erneut die Abschiebung

nach Äthiopien androhen und konnte sich hierzu nach wie vor auf § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG stützen. Denn diese Bestimmung verpflichtet das Bundesamt zum Erlass einer

Abschiebungsandrohung nach erfolglosem Asylverfahren. Wird - wie hier im Zuge eines Verwaltungsstreitverfahrens zwischenzeitlich die Abschiebungsandrohung aufgehoben, entspricht es Sinn und Zweck des § 34 Abs. 1 AsylVfG, nach rechtskräftigem Abschluss des

Asylverfahrens dem nicht bleibeberechtigten, abgelehnten Asylbewerber erneut die Abschiebung in sein Heimatland anzudrohen, sofern dem nicht eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung entgegensteht. Für eine Zuständigkeitsverlagerung vom Bundesamt auf die Ausländerbehörde in diesem Fall bietet das Gesetz keinen Anhalt und besteht auch keine Veranlassung.

Das Vorliegen der inhaltlichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (§ 34 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG) für die erneute Androhung der Abschiebung des Klägers nach Äthiopien hat das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht bejaht. Insbesondere folgt aus dem rechtskräftigen Urteil vom 13. Dezember 1996, dass der Abschiebung keine zwingenden Abschiebungshindernisse entgegenstehen.

Das Bundesamt war auch nicht durch die rechtskräftig gewordene Teilaufhebung der ursprünglichen Abschiebungsandrohung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. Oktober 1994 daran gehindert, dem Kläger erneut die Abschiebung nach Äthiopien anzudrohen. Allerdings steht - wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt hat - nach § 121 VwGO die Rechtskraft des auf eine erfolgreiche Anfechtungsklage ergangenen Urteils bei unveränderter Sach- oder Rechtslage dem erneuten Erlass eines gleich lautenden Verwaltungsakts aus den vom Gericht missbilligten Gründen entgegen (Urteil vom 8. Dezember 1992 - 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256 258 m.w.N.> vgl. ferner Urteil 18. September 2001 - BVerwG - 1 C 4.01 - DVBl 2002, 340).

Unter den besonderen prozessualen Gegebenheiten des vorliegenden Falls steht jedoch die (Teil-) Rechtskraft des gerichtlichen Urteils vom 19. Oktober 1994, durch das die Abschiebungsandrohung aufgehoben wurde, dem Erlass der erneuten Abschiebungsandrohung aus später gebilligten Gründen gleichwohl nicht entgegen.

Die Besonderheit des Verfahrensablaufs besteht hier darin, dass in demselben Verwaltungsstreitverfahren, in dessen Verlauf die Aufhebung der Abschiebungsandrohung durch das Verwaltungsgericht in Teilrechtskraft erwachsen ist, in zweiter Instanz zwischen denselben Beteiligten die für die Aufhebung der Abschiebungsandrohung maßgebliche Vorfrage der Rückkehrgefährdung des Klägers Gegenstand der später rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Berufungsgerichts gewesen ist. Die tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts für die Aufhebung der Abschiebungsandrohung, dass dem Kläger bei der Rückkehr nach Äthiopien wegen seiner exilpolitischen Betätigung Verfolgung und damit auch Abschiebungshindernisse begründende Gefahren drohen, ist der späteren Entscheidung des Berufungsgerichts zufolge unzutreffend. Die gegenüber denselben Verfahrensbeteiligten wirkende Rechtskraft der Entscheidung des Berufungsgerichts steht der Rechtskraftbindung des vorangegangenen Urteils entgegen. Denn dort waren die Fragen, ob dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach

Äthiopien politische Verfolgung droht oder Abschiebungshindernisse begründende Gefahren bestehen, lediglich Vorfragen für die Teilaufhebung der Abschiebungsandrohung und hatten deshalb als "vom Gericht missbilligte Gründe" an der erweiterten Rechtskraftbindung des § 121 VwGO teil, wohingegen sie im anschließenden Berufungsverfahren Gegenstand der zu § 51 Abs. 1 und nicht

§ 53 AuslG geltend gemachten prozessualen Ansprüche waren und so die Entscheidung hierüber in Rechtskraft erwachsen ist. Der Zweck der Rechtskraft, im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens wie auch zur Wahrung der Autorität der getroffenen Gerichtsentscheidung im Folgeverfahren unterschiedliche Ergebnisse zu der aus einem festgestellten Tatbestand hergeleiteten Rechtsfolge zu vermeiden (Urteil vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 4.01 - a.a.O.), kann dem erneuten Erlass der Abschiebungsandrohung deshalb hier nicht entgegengehalten werden. Die aus dem Urteil des Berufungsgerichts vom 13. Dezember 1996 erwachsene Rechtskraft überwindet die aus der Teilrechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 19. Oktober 1994 folgende Bindungswirkung nach § 121 VwGO, die ansonsten dem erneuten Erlass der Abschiebungsandrohung entgegengestanden hätte, und trägt so die im Einklang mit ihr stehende erneute Abschiebungsandrohung.

Zur Vermeidung von Missverständnissen bemerkt der Senat, dass die Rechtskraftprobleme, die durch das Auseinanderfallen der Anfechtung der Abschiebungsandrohung und des Streits um die Feststellung von Abschiebungsschutz und Abschiebungshindernissen hier entstanden sind, in dieser Form bei richtiger Sachbehandlung durch das Berufungsgericht nicht auftreten können. Denn das Berufungsbegehren des Bundesbeauftragten oder ein entsprechender Antrag des Bundesamts, mit dem sie sich gegen die Gewährung von Abschiebungsschutz oder Abschiebungshindernissen durch das Verwaltungsgericht erster Instanz wenden, erfasst nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats grundsätzlich auch die Aufhebung der Abschiebungsandrohung durch das Verwaltungsgericht, selbst wenn dies in den Anträgen nicht ausdrücklich erwähnt wird (vgl. Urteil vom 28. April 1998 - BVerwG 9 C 2.98 - <juris> Beschluss 9. Februar 2000 - BVerwG 9 B 31.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 29). Die gerichtliche Entscheidung über die beiden prozessualen Ansprüche kann danach regelmäßig nicht auseinander fallen.