VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.04.2002 - 11 S 119/02 - asyl.net: M3104
https://www.asyl.net/rsdb/M3104
Leitsatz:

1. Auch nach einer Klagerücknahme ist die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe möglich.

2. Voraussetzung ist, dass der Bewilligungsantrag im Verfahren gestellt aber nicht beschieden worden ist und der Antragsteller alles Erforderliche für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe getan hat. Eine ausnahmsweise Versagung kommt in derartigen Fällen dann in Betracht, wenn der Klagerücknahme keine billigenswerten Motive zugrunde liegen.(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Prozesskostenhilfe, Entscheidungsreife, Klagerücknahme, Erfolgsaussichten
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114
Auszüge:

1. Auch nach einer Klagerücknahme ist die rückwirkende Bewilligung von

Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe gebieten es, dass das Gericht über ein bescheidungsfähiges Prozesskostenhilfegesuch alsbald entscheidet (OVG Hamburg, Beschl. v. 9.4.2001 - 4 Fo 18/01 -; VGH München, Beschl. v. 27.01.2000 - 10 C 99.3695 -, NVwZ 2000, 693). Dieser Zeitpunkt - alsbald nach eingetretener Entscheidungsreife - ist auch der maßgebliche Zeitpunkt, bezogen auf den die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung gegeben sein müssen. Nachträgliche Änderungen stehen einer Bewilligung nur entgegen, wenn sich aus ihnen ergibt, dass hinreichende Erfolgsaussichten schon zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht bestanden haben (OVG Thüringen a.a.O.).

Vorliegend war das Ergebnis des Rechtsstreits im danach maßgeblichen Zeitpunkt nach dem Vortrag der Beteiligten und dem Inhalt der Behördenakten zumindest als offen anzusehen, was für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gem. § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO ausreichend ist. Bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.09.2000 (- 1 C 19/99 - , NVwZ 2001, 210) war der Rechtscharakter von Anordnungen der obersten Landesbehörde nach § 32 AuslG umstritten. Das Vorbringen der Kläger, ihnen stehe eine Aufenthaltsbefugnis nach der Anordnung des Innenministeriums nach § 32 AuslG über die Härtefallregelung für ausländische Familien mit langjährigem Aufenthalt vom 12.01.2000 zu, da sie die Voraussetzungen des zugrunde liegenden Beschlusses der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 18./19.11.1999 erfüllten (vgl. Ziffer B 11. 3. der Anordnung vom 12.01.2000), war nicht ohne Erfolgsaussicht.

Die Kläger hatten zu diesem Zeitpunkt alles für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Erforderliche getan. Mit ihrer dreimaligen Bitte, über die beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorab, alsbald und beschleunigt zu entscheiden, haben sie auch alles ihnen Zumutbare getan, um eine Entscheidung des Gerichts über ihren Prozesskostenhilfeantrag zu erwirken (vgl. OVG Thüringen a.a.O.). Ein weiteres - viertes - Insistieren konnte von den Klägern zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erwartet werden, nachdem das Verwaltungsgericht mit Antwortschreiben vom 28.11.2001 erklärt hatte, entgegen der gesetzlichen Pflicht zur alsbaldigen Entscheidung, erst im Zusammenhang mit einer für das nächste Jahr ins Auge gefassten Ladung zur mündlichen Verhandlung über die beantragte Prozesskostenhilfe entscheiden zu wollen.

Nachdem sich die Beteiligten außergerichtlich darüber verständigt hatten, dass die Beklagte den Klägern die begehrten Aufenthaltsbefugnisse für den Fall einer Klagerücknahme erteilt, konnten die Kläger am 21.3.2001 die Klage zurücknehmen, ohne damit ihren Anspruch auf "rückwirkende" Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe zu verlieren. Es sind keine besonderen Umstände etwa dafür erkennbar, dass die Klagerücknahme ohne ein legitimes Ziel erfolgt wäre, was es rechtfertigen könnte, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe trotz zuvor eingetretener Bewilligungsreife nunmehr zu versagen. Vielmehr hat die Beklagte mit ihrer außergerichtlichen Zusage, die begehrten Aufenthaltsbefugnisse nach erfolgter Klagerücknahme zu erteilen, die Ursache dafür gesetzt, dass die Kläger unmittelbar diese Klagerücknahme erklärten, um ihren Aufenthaltsstatus alsbald zu legalisieren.

Sie waren nicht gehalten, diese Klagerücknahme und damit die Erlangung ihrer

Aufenthaltsbefugnisse bis zur - verspäteten - Entscheidung des Verwaltungsgerichts über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückzustellen und damit den Zustand nur geduldeten Aufenthalts aufrecht zu erhalten.