VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2002 - 13 S 810/02 - asyl.net: M3571
https://www.asyl.net/rsdb/M3571
Leitsatz:

1. Ist es dem Einbürgerungsbewerber subjektiv unzumutbar oder objektiv unmöglich, zur Vervollständigung des Entlassungsantrags erforderliche Dokumente (hier: Geburtsurkunde und Staatsangehörigkeitsausweis) beizubringen, auf deren Vorlage der Herkunftsstaat trotz ernsthafter und nachhaltiger Bemühungen nicht verzichtet hat, ist die Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach der 2. Alternative des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AuslG zu prüfen.

2. Es entspricht Sinn und Zweck dieser Vorschrift, unter Bedingungen auch Entlassungsvoraussetzungen zu verstehen, deren Erfüllung dem Einbürgerungsbewerber objektiv unmöglich oder subjektiv unzumutbar ist.

3. Objektive Unmöglichkeit der Erfüllung von Entlassungsvoraussetzungen ist auch dann anzunehmen, wenn die zuständigen Behörden des Heimatstaates aus nicht nachvollziehbaren Gründen untätig geblieben sind und mit einer Ausstellung der vom Einbürgerungsbewerber beantragten und für die Entlassung erforderlichen Urkunden zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.

4. Die (noch) zumutbare Dauer der Untätigkeit kann dabei nicht schematisch bestimmt werden, sie beurteilt sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls (hier: Unzumutbarkeit bejaht, nachdem seit einem Jahr und 10 Monaten über den Antrag auf Ausstellung einer Geburtsurkunde und eines Staatsangehörigkeitsausweises nicht entschieden wurde und auch keine Entscheidung absehbar ist).(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: D (A), Jugoslawen, Kosovo, Albaner, Einbürgerung, Mehrstaatigkeit, Entlassung, Staatsangehörigkeit, Zumutbarkeit, Unmöglichkeit, Vorlage von Dokumenten, Entlassungsgebühren
Normen: AuslG § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 3; AuslG § 85 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

 

§ 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AuslG regelt drei selbstständig nebeneinander stehende Fallgruppen der vom Einbürgerungsbewerber nicht zu vertretenden Nichtentlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit: Die Versagung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat (1. Alternative), die Koppelung der Entlassung an unzumutbare Bedingungen (2. Alternative) und die Nichtbescheidung eines Entlassungsantrages in angemessener Zeit (Untätigkeit, 3. Alternative). Während nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AuslG a.F. die Versagung der Entlassung durch den Heimatstaat des Einbürgerungsbewerbers willkürlich sein musste, reicht es nunmehr aus, dass der ausländische Staat die Entlassung aus Gründen versagt hat, die der Ausländer nicht zu vertreten hat. Damit sind über die Fälle der willkürlichen Versagung der Entlassung aus der Staatsangehörigkeit hinaus alle Fälle erfasst, in denen es einem Ausländer nicht gelingt, trotz Erfüllung zumutbar und sachlich gerechtfertigter Anforderungen aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden (Hailbronner, in: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Auf!., § 87 RdNr. 13).

Die Versagung der Entlassung setzt grundsätzlich eine einen Entlassungsantrag ablehnende schriftliche Entscheidung voraus (vgl. Nr. 87.1.2.3.1 StAR-VwV; zu § 87 AuslG a.F. vgl. auch Senatsurteil vom 20.3.1997, a.a.O. S. 319). Darüber hinaus liegt eine Versagung der Entlassung auch dann vor, wenn eine Antragstellung auf eine Entlassung trotz mehrerer ernsthafter und nachhaltiger Bemühungen des Einbürgerungsbewerbers und trotz amtlicher Begleitung, soweit sie sinnvoll und durchführbar ist, über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten hinweg nicht ermöglicht wird; dies gilt bei mehrstufigen Entlassungsverfahren auch für die Einleitung der nächsten Stufen (vgl. Nr. 87.1.2.3.1 StAR-VwV).

Zu vertreten hat der Einbürgerungsbewerber die Versagung der Entlassung, wenn er die Hindernisse für die Entlassung aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit durch Nichterfüllung zumutbarer Pflichten gegenüber seinem Heimatstaat selbst verursacht hat und die Entlassungsverweigerung darauf beruht, wie etwa im Fall der Nichtrückzahlung von zu Ausbildungszwecken gewährten Stipendien, der Verletzung von Unterhaltspflichten, bei Steuerrückständen oder bei der Einreichung eines nicht vollständigen oder formgerechten Entlassungsantrags (vgl. BT -Drs. 14/533, S. 19; siehe auch Nr. 87.1.2.3.1 StAR- VwV). Ob Bedingungen für die Entlassung unzumutbar sind (2. Alternative), ist objektiv, aber anhand der persönlichen Verhältnisse des Ausländers festzustellen.

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger nicht in der Lage ist, die für die Bearbeitung des Entlassungsantrags erforderlichen Unterlagen beizubringen, er also keinen vollständigen Antrag stellen kann. Dies unterfällt nach deren Wortlaut weder der 1. noch der 3. Alternative des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AuslG. Einer über den Wortlaut hinausgehenden erweiternden Auslegung einer dieser Fallgruppen bedarf es nicht, da der Fall sich unmittelbar der 2. Alternative der genannten Vorschrift zuordnen lässt.

Der Wortlaut der 2. Alternative stellt auf die Unzumutbarkeit der Bedingungen, von denen der ausländische Staat die Entlassung abhängig macht, und nicht auf die Zumutbarkeit von Entlassungsbemühungen ab. Es entspricht Sinn und Zweck der Vorschrift, unter Bedingungen auch Entlassungsvoraussetzungen zu verstehen, da bei Nichterfüllbarkeit von Entlassungsvoraussetzungen die geforderte Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit ebenso wenig zu erlangen ist. Ist es somit dem Entlassungsbewerber objektiv unmöglich oder subjektiv unzumutbar, zur Vervollständigung des Antrags erforderliche Dokumente beizubringen, auf deren Vorlage der Heimatstaat trotz ernsthafter und nachhaltiger Bemühungen nicht verzichtet hat, ist die Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach der 2. Alternative zu prüfen (vgl. Berlit, in GK-StAR, § 87 RdNr. 183). Der allgemeine Gedanke, dass dem Einbürgerungsbewerber die Nichterfüllung unzumutbarer Entlassungsvoraussetzungen nicht anzulasten ist, ist in § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 AuslG ausdrücklich ausgeformt worden (vgl. Berlit, a.a.O., RdNr. 186).

Nach diesem Maßstab wird die Entlassung des Klägers aus der jugoslawischen Staatsangehörigkeit jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt von unzumutbaren Bedingungen abhängig gemacht. Festzuhalten ist allerdings, dass die Entlassungsvoraussetzungen der Bundesrepublik Jugoslawien - Vorlage einer Geburtsurkunde und eines Staatsangehörigkeitsnachweises - als solche nicht unzumutbar sind. Dass die Behörden des Herkunftsstaates den Einbürgerungsbewerber auffordern, zunächst seine pass- oder personenstandsrechtlichen Angelegenheiten zu ordnen, stellt grundsätzlich keine unzumutbare Bedingung dar (vgl. Hailbronner, a.a.O., § 87 AuslG RdNr. 20). Die Unzumutbarkeit ergibt sich vielmehr daraus, dass dem Kläger aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen die Beibringung der erforderlichen Unterlagen in absehbarer Zeit objektiv unmöglich ist. Objektive Unmöglichkeit in diesem Sinn ist in Anlehnung an die zu § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 3 AuslG entwickelten Grundsätze auch dann anzunehmen, wenn die zuständigen Behörden des Heimatstaates aus nicht nachvollziehbaren Gründen untätig geblieben sind und mit einer Ausstellung der beantragten und für die Entlassung erforderlichen Urkunden zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die (noch) zumutbare Dauer der Untätigkeit kann dabei nicht schematisch bestimmt werden, sie beurteilt sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles. Danach sind hier, worauf der Beklagte zu Recht hingewiesen hat, die infolge des Kosovo-Kriegs erfolgte Verlagerung der dortigen Personenstandsregister nach Serbien und die daraus resultierenden Schwierigkeiten ebenso in Rechnung zu stellen wie die möglicherweise generell unzulänglichen Verwaltungsstrukturen in Serbien.

Nicht übersehen werden darf aber, dass der Kläger im Einbürgerungsverfahren einen am 16.6.1994 ausgestellten Auszug aus dem Geburtsregister vorgelegt hat, womit belegt ist, dass seine Geburt ordnungsgemäß registriert wurde. Die erneute Ausstellung eines derartigen Registerauszugs dürfte daher trotz der Verbringung der Register nach Serbien keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten. Des weiteren fällt ins Gewicht, dass sich die jugoslawische Auslandsvertretung, obwohl dies in ihre eigene Zuständigkeit fällt, trotz rechtzeitig vor Ablauf der Gültigkeitsdauer gestellten Antrags seit nunmehr weit über zwei Jahren nicht in der Lage gesehen hat, den Nationalpass des Klägers zu verlängern oder ihm einen neuen auszustellen. Soweit der Beklagte darauf verweist, dass es anderen Kosovo-Albanern möglich gewesen sei, die erforderlichen Urkunden zu beschaffen, belegt dies nicht, dass der Kläger die Untätigkeit der serbischen Behörden in seinem Fall zu vertreten hätte. Zum einen ist denkbar, dass die Behörden in anderen Städten - im Gegensatz zu denen in Krusevac - derartige Anträge in angemessener Zeit bearbeiten, zum anderen kann eine uneinheitliche Verwaltungspraxis auch gerade ein Indiz für eine willkürliche Handhabung sein.

Weitere dem Kläger offenstehende und zumutbare Handlungsmöglichkeiten zur Erlangung der für die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit erforderlichen Unterlagen sind nicht ersichtlich, nachdem er sich vergeblich an die UNMIK-Verwaltung seiner Heimatstadt gewandt und diese sich für unzuständig erklärt hat. Eine persönliche Antragstellung bei der zuständigen Registerbehörde ist dem Kläger nicht möglich, da er nicht im Besitz eines gültigen Nationalpasses ist. Damit hat er keine Möglichkeit, legal nach Serbien einzureisen.

Ob auch die Höhe der Entlassungsgebühren, die zwar mehr als 2.500,-- DM betragen, aber ein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen des Klägers - wenn auch nur geringfügig - unterschreiten, eine Unzumutbarkeit im Sinn von § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 AuslG begründet, kann nach alledem offen bleiben.