OVG Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Brandenburg, Beschluss vom 28.10.2003 - 2 A 369/02.AZ - asyl.net: M4510
https://www.asyl.net/rsdb/M4510
Leitsatz:

Führt das VG die mündliche Verhandlung durch, obwohl der Kläger krankheitsbedingt verhandlungsunfähig ist, kann ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nur gerügt werden, wenn alle prozessualen Möglichkeiten zur Erlangung des rechtlichen Gehörs ausgeschöpft worden sind - insbesondere die Terminsverlegung oder -aufhebung beantragt worden ist - und substantiiert dargelegt wird, was der Kläger vorgetragen hätte und warum der Vortrag eine andere Entscheidung des VG bewirkt hätte.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Verfahrensfehler, rechtliches Gehör, mündliche Verhandlung, Krankheit, persönliche Teilnahme, Terminsverlegung, Terminsaufhebung, Verlust des Rügerechts
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 3
Auszüge:

 

[...]

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der Kläger hat den hier allein geltend gemachten Zulassungsgrund der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - i.V.m. § 138 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG entsprechend dargelegt. [...]

Soweit der im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretene Kläger rügt, das Gericht habe das rechtliche Gehör dadurch verletzt, dass es aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Juli 2001 die Klage abgewiesen und nicht den Rechtsstreit vertagt hat, da der Kläger persönlich krankheitsbedingt an der Verhandlung nicht habe teilnehmen können, hat er nicht substantiiert dargelegt, dass seine (damalige) Prozessbevollmächtigte alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, um dem Kläger persönlich rechtliches Gehör zu verschaffen. Angesichts der von dem Kläger vorgetragenen, laut ärztlichen Attestes in der Zeit vom 19. bis 29. Juli 2002 und damit auch am Tag der mündlichen Verhandlung bestehenden Erkrankung hatte die Bevollmächtigte des Klägers die prozessuale Möglichkeit, eine Terminverlegung oder -aufhebung zu beantragen (§173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 ZPO). Von dieser Möglichkeit hat sie jedenfalls in der gebotenen Weise keinen Gebrauch gemacht. Ob die von der Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 22. Juli 2002 geäußerte "Bitte", wegen der Erkrankung des Klägers - dessen persönliches Erscheinen nach § 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht angeordnet war - den Verhandlungstermin aufzuheben, als regelgerechter Antrag zu bewerten war oder es sich nur um eine bloße Anregung, das Ermessen des Gerichtes im Sinne einer Terminaufhebung auszuüben, handelte, mag in diesem Zusammenhang offen bleiben. Selbst wenn es sich bei dem Schreiben vom 22. Juli 2002 um einen förmlichen Antrag auf Terminaufhebung gehandelt hätte, wäre damit den prozessualen Obliegenheiten nicht hinreichend Genüge getan worden, um mit Erfolg eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör rügen zu können. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers war in der betreffenden Verhandlung vom 23. Juli 2002 anwesend. Sofern in diesem Zeitpunkt ein noch unbeschiedener Terminaufhebungsantrag anhängig gewesen wäre, an dem weiter hätte festgehalten werden sollen, hätte sie auf einer Bescheidung dieses Antrages bestehen bzw. förmlich die Vertagung der Verhandlung (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO) beantragen müssen. Stattdessen ist ausweislich des Protokolls vom 23. Juli 2002 nur "hilfsweise" beantragt worden, über den Gesundheitszustand des Klägers Beweis zu erheben. Das genügt nicht den Anforderungen an einen förmlichen Terminaufhebungs- bzw. Vertagungsantrag.

Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass das Gericht von Amts wegen die Verhandlung hätte vertagen müssen. Zwar ist eine persönliche Anhörung des Klägers zur Aufklärung von tatsächlichen oder vermeintlichen Unklarheiten oder Widersprüchen im Sachvortrag des Asylbewerbers durch dessen Befragung im Asylprozess regelmäßig geboten, wenn es entscheidungserheblich auf die Glaubhaftigkeit des Vortrages oder die Glaubwürdigkeit des Asylantragstellers ankommt (vgl. u.a. BVerfG, Beschlüsse vom 2. Oktober 2001 - 2 BvR 690/99 - und vom 20. Oktober 1994 - 2 BvR 676/94 - veröffentlicht in juris). Soweit es diesbezüglich um die Wahrung der Möglichkeit der Rüge einer Gehörsverletzung wegen fehlender Vertagung geht - die aus Art. 16 a Abs. 1 GG folgenden asylspezifischen Anforderungen an die gerichtliche Ermittlungstiefe zur Glaubwürdigkeit (vgl. näher: Jobs, ZAR 2002, 219 [220] m.w.N.) wären im Rahmen des gerügten § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO allerdings ohnehin kein Zulassungsgrund -, kommt es indessen vorrangig nur darauf an, dass die den Kläger vertretende Rechtsanwältin alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, eine solche Anhörung zu erreichen. Dies ist hier wegen des fehlenden Vertagungsantrages nicht geschehen. Ein Rechtsanwalt kann sich ohne Hinweis des Gerichts zur voraussichtlichen Würdigung des bisherigen Vortrages des Klägers und dessen Glaubwürdigkeit grundsätzlich nicht darauf verlassen, dass die Würdigung zugunsten des Klägers ausgeht. Dementsprechend ist es - ungeachtet der Aufklärungspflicht des Gerichtes - gerade auch seine Obliegenheit, auf einer Anhörung des Klägers zu bestehen, sofern er sie für erforderlich hält. Tut er dies nicht, wird das dem Kläger zugerechnet. Nur ausnahmsweise kann die Möglichkeit der Gehörsrüge auch ohne Vertagungsantrag in Betracht gezogen werden, etwa wenn sich das Ermessen des Gerichtes wegen des Vorliegens erheblicher Gründe derart verdichtet hat, dass von Amts wegen eine Vertagung der Verhandlung hätte erfolgen müssen. Der Kläger hat für das Vorliegen einer solchen Ausnahme aber nichts vorgetragen.

Darüber hinaus hat der Kläger in der Zulassungsbegründung nicht hinreichend substantiiert darlegt, was er bei Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte, um der Würdigung des Verwaltungsgerichts, sein Verfolgungsschicksal sei unglaubhaft, entgegenzutreten. Seine pauschale Ankündigung, ein Berufungsverfahren werde ergeben, dass Bedenken gegen seine Glaubwürdigkeit nicht durchgreifen, reicht hierzu nicht aus. Das Oberverwaltungsgericht wird durch die Zulassungsschrift nicht in die Lage versetzt zu überprüfen, ob das angegriffene Urteil auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör infolge krankheitsbedingter Nichtteilnahme des Klägers an der mündlichen Verhandlung beruhen kann. [...]