ObLG Bayern

Merkliste
Zitieren als:
ObLG Bayern, Beschluss vom 24.11.2003 - 4Z BR 71/03 - asyl.net: M4597
https://www.asyl.net/rsdb/M4597
Leitsatz:

Die Sicherungshaft (§ 57 Abs. 2 S. 1 AuslG) mutiert erst dann zur Beugehaft, wenn die Abschiebung des Betroffenen zuletzt nur noch von seinem Belieben abhängt, einerseits, weil er die zur Erlangung der Heimreisedokumente erforderlichen Angaben oder Erklärungen verweigert und andererseits die Ausländerbehörde bereits sämtliche Ermittlungsansätze erfolglos ausgeschöpft hat.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Haftverlängerung, Sechs-Monats-Frist, Identität ungeklärt, Staatsangehörigkeit ungeklärt, Passersatzbeschaffung, Beschleunigungsgebot, Verhältnismäßigkeit, Beugehaft
Normen: AuslG § 57 Abs. 2 S. 1; AuslG § 57 Abs. 3 S. 2; GG Art. 20 Abs. 3
Auszüge:

Die Ansicht des Landgerichts, dass der Betroffene, der ohne Pass und sonstige Identifikationspapiere sich illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, die Fortdauer seiner Sicherungshaft über die in § 57 Abs. 3 Satz 1 AuslG Sechsmonatsfrist hinaus zu vertreten hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht stützt seine Beurteilung auf die Feststellung, dass der Betroffene bei seiner Vorführung bei dem Algerischen Generalkonsulat in München zum Zwecke der Beschaffung von Heimreisedokumenten sich geweigert habe, eine Rückkehrerklärung rechtsverbindlich unterzeichnet abzugeben, so dass nunmehr ein Identitätsüberprüfungsverfahren in Algerien durchgeführt werde, dessen Ergebnis bislang noch nicht vorliege. Da nach Auffassung des Algerischen Konsulats der Betroffene möglicherweise marokkanischer oder tunesischer Staatsangehöriger sein könnte, wurden von der Ausländerbehörde die entsprechenden Ermittlungen veranlasst. Bereits jetzt steht fest, dass der Betroffene ausweislich der Mitteilung des Konsulats der Republik Tunesien in München bei den zu ständigen tunesischen Behörden unbekannt ist. Durch seine Verhaltensweise hat der Betroffene bislang die Ausstellung der notwendigen Urkunden für Heimreise erfolgreich verhindert.

Für den Betroffenen war vorhersehbar, dass der Nachweis seiner Identität aufwendig sein wird, wenn er - um seine Ausweispflicht nach § 4 Abs. 1 AuslG zu unterlaufen - ohne Pass und sonstige Identifizierungspapiere in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einreist und anschließend nichts unternimmt, um sich für seine Identifikation geeignete Unterlagen zu beschaffen.

Die Sicherungshaft (§ 57 Abs. 2 Satz 1 AuslG) mutiert erst dann zur Beugehaft, wenn die Abschiebung des Betroffenen zuletzt nur noch von seinem Belieben abhängt, einerseits, weil er die zur Erlangung der Heimreisedokumente erforderlichen Angaben oder Erklärungen verweigert und andererseits die Ausländerbehörde bereits sämtliche Ermittlungsansätze erfolglos ausgeschöpft hat. Das ist hier nicht der Fall, da die Ermittlungen zur Identität des Betroffenen noch andauern.

Der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) gebietet es zwar, von der Sicherungshaft abzusehen, wenn die Abschiebung nicht durchführbar und die Freiheitsentziehung deshalb nicht erforderlich ist. Er zwingt dazu, das öffentliche Interesse an der Sicherung der Abschiebung und den Freiheitsanspruch des Betroffenen gegeneinander abzuwägen; dabei ist zu beachten, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung ausländerrechtlicher Vorschriften mit zunehmender Dauer der Haft regelmäßig vergrößern wird. Diese Abwägung der gegenläufigen Interessen fällt zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu Ungunsten des Betroffenen aus. Das bisherige Unterbleiben der Abschiebung des Betroffenen ist maßgeblich auf das zurechenbare pflichtwidrige Verhalten des Betroffenen zurückzuführen. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen des § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG festgestellt.