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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 18.06.2004 - 1 B 268/03 - asyl.net: M5676
https://www.asyl.net/rsdb/M5676
Leitsatz:

Indem das Berufungsgericht ohne jegliche Bezugnahme auf ihm vorliegende Erkenntnisquellen die Feststellung getroffen hat, den KIägern drohe an ihrem Herkunftsort in Aserbaidschan keine vergleichbare existenzielle Gefährdung, wie sie das Gericht für die Fluchtalternative in Berg-Karabach festgestellt habe, hat es seine gerichtliche Sachaufklärungspflicht verletzt. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Aserbaidschan, Armenier, Interne Fluchtalternative, Berg-Karabach, Existenzminimum, Soziale Bindungen, Revisionsverfahren, Verfahrensmangel, Sachaufklärungspflicht, Urteilsgründe, Begründungsmangel, Divergenzrüge
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 N.r 3; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 108 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

Zu Recht sieht die Beschwerde eine Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) darin, dass das Berufungsgericht ohne jegliche Bezugnahme auf ihm vorliegende Erkenntnisquellen die Feststellung getroffen hat, den KIägern drohe an ihrem Herkunftsort in Aserbaidschan keine vergleichbare existenzielle Gefährdung, wie sie das Gericht für die Fluchtalternative in Berg-Karabach festgestellt habe. Das angefochtene Urteil stellt hierzu fest, dass es zwar ungewiss sei, ob die Kläger wieder in dem früher von ihnen bewohnten Haus in T. (Aserbaidschan) wohnen könnten. Ihnen käme aber zugute, dass sie bei der Suche nach Obdach und Arbeit generell mit der Hilfe und Unterstützung von Freunden und Verwandten oder auch früherer Arbeitgeber der Klägerin rechnen könnten. Zumindest sei zu erwarten, dass die Klägerin - wie vor ihrer Flucht im (...) - mehr als das zum Leben Nötigste durch die Aufnahme einer nicht legalen Arbeit verdienen könne und mit ihrem Sohn nicht nur am Rande des Existenzminimums dahinvegetieren müsse (UA S, 16).

Es ist vom Berufungsgericht weder näher dargelegt noch sonst ersichtlich, dass es über die erforderliche Sachkunde verfügt, ohne Rückgriff auf ihm vorliegende oder noch einzuholende Erkenntnismittel die Lebensbedingungen für die Klägerin als armenische Volkszugehörige und ihren Sohn an deren Herkunftsort in Aserbaidschan beurteilen zu können (zur Notwendigkeit des Belegs eigener Sachkunde des Tatsachengerichts vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Juli 2002 - 1 B 1128.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 326; Beschluss vom 27. Februar 2001 - BVerwG 1 8206.00 - <juris>; Beschluss vom 27. März 2000 - BVerwG 9 B 518.99 - InfAuslR 2000, 412; jeweils m.w.N.). Der angefochtene Beschluss enthält auch sonst keine hinreichende Begründung für die Prognose, dass die für Berg-Karabach angenommene Gefährdung am Herkunftsort der Kläger so nicht bestünde (zu den Anforderungen an eine derartige Prognoseentscheidung vgl. Urteil vom 20. November 1990 - BVerwG 9 C72.90 - BVerwGE 87,141 149 ff.>).

Darin liegt hier zugleich ein Begründungsmangel gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wie die Beklagte der Sache nach zu Recht zusätzlich rügt.