ObLG Bayern

Merkliste
Zitieren als:
ObLG Bayern, Beschluss vom 16.09.2004 - 4Z BR 070/04 - asyl.net: M5753
https://www.asyl.net/rsdb/M5753
Leitsatz:

Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus setzt voraus, dass die Abschiebung ursächlich durch Verhalten des Ausländers verhindert worden ist; Vernichtung eines gefälschten Passes ist nicht ursächlich für Verhinderung der Abschiebung.

 

Schlagwörter: D (A), Abgelehnte Asylbewerber, Abschiebungshaft, Illegale Einreise, Schlepper, Urkundenfälschung, Haftgründe, Abschiebungsvereitelung, Untertauchen, Haftverlängerung, Verhältnismäßigkeit, Passersatzbeschaffung, Vertretenmüssen
Normen: AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 5; AuslG § 57 Abs. 3 S. 2; FGG § 13
Auszüge:

Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus setzt voraus, dass die Abschiebung ursächlich durch Verhalten des Ausländers verhindert worden ist; Vernichtung eines gefälschten Passes ist nicht ursächlich für Verhinderung der Abschiebung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO). Das Landgericht muss den Sachverhalt weiter aufklären (§ 12 FGG).

Zutreffend hat das Landgericht die Voraussetzungen des Hafttatbestandes in § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG bejaht. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass eine Einreise mittels Schleuserhilfe oder mit fremden und damit falschen Personalien oder mit gefälschten Papieren eine Haftanordnung nach dieser Bestimmung rechtfertigt; wer, wie der Betroffene, seine illegale Einreise mit unredlichen Mitteln bewerkstelligt, gibt Grund für die Befürchtung, dass er sich im Falle seiner Freilassung durch Untertauchen der Abschiebung entziehen wird (vgl. Hailbronner, AuslR 33. Erg.-Lfg. § 57 Rn 37, 42 m.w.N.).

Rechtsirrig hat das Landgericht dagegen einen Haftgrund nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG angenommen. Die Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht entfällt, wenn - wie hier - zwischenzeitlich der Aufenthalt auf Grund einer Aufenthaltsgestattung rechtmäßig geworden war und erst auf Grund einer Abschiebungsandrohung einer Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht eintrat (vgl. Hailbronner aaO Rn 27). Dem Betroffenen war, da er um Asyl nachsuchte, der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet (§ 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Erst der Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2.2.2004 begründet, wenn rechtsbeständig, eine vollziehbare Ausreisepflicht. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass eine Verlängerung der Sicherungshaft über den in § 57 Abs. 3 Satz 1 AuslG normierten Zeitraum von sechs Monaten hinaus nur "in Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert" (§ 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG) zulässig ist.

Das Landgericht hat es jedoch bisher unterlassen, gemäß § 12 FGG konkrete Tatsachen zu ermitteln und festzustellen, die geeignet sind, die angeführte Überzeugung eines noch in der Gegenwart anhaltenden Verhinderungsverhaltens zu tragen. Die in diesem Zusammenhang von der Kammer allein angeführte Tatsache (Reisepassvernichtung) kann eine Haftverlängerung nach § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG nicht tragen. Zu Recht weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass ein gefälschter Pass zur Identitätsfeststellung und zur Ersatzpapierbeschaffung nichts beitragen kann und dass eine vor der Inhaftierung liegende Handlung jedenfalls in der Regel nicht zur Begründung eines Verhinderungsverhaltens im Sinne von § 57 Abs. 3 Satz 2 AuslG geeignet ist (vgl. KG FGPrax 2000, 83/84).

Melchior (www.abschiebungshaft.de/Kommentar/Haftdauer § 57 III 2 AuslG) fasst die von ihm analysierte obergerichtliche Rechtsprechung wie folgt zusammen:

"Ein Verhindern im Sinne des Gesetzes (und damit die Möglichkeit der Verlängerung der Haft über 6 Monate hinaus) liegt dann vor, wenn ein vom Willen des Betroffenen abhängiges pflichtwidriges Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung innerhalb der ersten 6 Monate (grundsätzliche Höchsthaftdauer) nicht erfolgen konnte. Es müssen also stets zwei Dinge geprüft werden, und zwar einmal das Verhinderungsverhalten und zum anderen die Ursächlichkeit dieses Verhaltens dafür, dass die Abschiebung nicht innerhalb der ersten 6 Monate durchgeführt werden konnte. Dabei verlangt die Rechtsprechung, dass das Verhinderungsverhalten die maßgebliche Ursache für die Verzögerung sein muss. Nach der Rechtsprechung liegt die Feststellungslast für beide Merkmale bei der Behörde. Das Verhinderungsverhalten muss also positiv feststehen (der Richter muss z.B. überzeugt sein, dass der Betroffene sich pflichtwidrig weigert, notwendige Formulare zu unterschreiben). Außerdem muss feststehen, dass dieses Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung innerhalb der ersten 6 Monate nicht erfolgen konnte. Ergibt sich, dass die Abschiebung (z.B. wegen zögerlicher Bearbeitung der Heimatbehörden) auch bei Leistung der Unterschrift nicht innerhalb der ersten 6 Monate möglich gewesen wäre, ist das Verhinderungsverhalten nicht ursächlich für die Verzögerung. Verbleiben Zweifel, ob die Abschiebung bei Leistung der Unterschrift innerhalb der ersten 6 Monate möglich gewesen wäre, geht auch dies zu Lasten der antragstellenden Behörde, weil die Ursächlichkelt der Verhinderungsverhaltens feststehen muss."

Dem schließt sich der Senat an (vgl. BayObLG InfAuslR 1994, 53; BayObLGZ 1993, 377, 378; OLG Düsseldorf InfAuslR 1995, 367; BayObLGZ 1997, 350, 352; BayObLG vom 13.3.1998 - 3Z BR 65/98 - = EZAR 048 Nr. 43; KG aaO; BayObLG InfAuslR 2000, 453; BayObLGZ 2000, 227; OLG Hamm vom 12.2.2001 bei Melchior (Anhang Entscheidungen im Volltext); Senat vom 12.4.2002 - 4Z BR 23/02 - und vom 28.7.2003 bei Melchior aaO).