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Zitieren als:
BSG, Urteil vom 23.09.2004 - B 10 EG 3/04 R - asyl.net: M6287
https://www.asyl.net/rsdb/M6287
Leitsatz:

Das deutsche Bundeserziehungsgeld wird nicht von dem sachlichen Anwendungsbereich des Vorläufigen Europäischen Abkommens vom 11.12.1953 über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten der Hinterbliebenen (BGBl II 1956, 507) erfasst.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: D (A), Jugoslawen, Erziehungsgeld, Konventionsflüchtlinge, Aufenthaltsbefugnis, Familienbeihilfe, Diskriminierungsverbot, Gleichbehandlungsgrundsatz, Vorläufiges Europäisches Abkommen
Normen: BerzGG i.d.F. v. 31.1.1994; AbkJugoslawien SozSich; Vorläufiges Europäisches Abkommen; GG Art 3 Abs. 1; SGB I § 30 Abs. 2
Auszüge:

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erzg für das erste Lebensjahr ihrer am (...) geborenen Tochter (...). Sie erfüllt nicht die hierfür erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen des BErzGG. Dies gilt auch unter Berücksichtigung europäischen und zwischenstaatlichen Rechts. Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen Vorschriften des GG.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 1 BErzGG idF des Gesetzes vom 31. Januar 1994 (BGBl I 180), die vom 1. Januar 1994 an gegolten hat (im Folgenden: alte Fassung <aF>, vgl. § 24 Abs. 1 BErzGG idF des Gesetzes vom 12. Oktober 2000, BGBl I 1426). Danach war für den Anspruch eines Ausländers auf Erzg Voraussetzung, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis war (§ 1 Abs. 1a Satz 1 BErzGG). Die Klägerin war im fraglichen Anspruchszeitraum (21. September 1998 bis 20. September 1999; vgl § 4 Abs 1 Satz 2 BErzGG aF) nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis. Eine Aufenthaltserlaubnis besitzt sie nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erst seit dem 26. April 2001. In der Zeit davor war sie ausschließlich im Besitz einer befristeten Aufenthaltsbefugnis. Ob sie im fraglichen Anspruchszeitraum einen Anspruch auf Erteilung eines (qualifizierten) Aufenthaltstitels iS des § 1 Abs. 1a ErzGG aF hatte, ist rechtlich ohne Bedeutung (Senatsurteil vom 29. Januar 2002, B 10 EG 7/01 R). Gleiches gilt für den Umstand, dass die Klägerin seit dem 19. November 1998 bestandskräftig als Flüchtling gemäß § 51 Abs. 1 AuslG anerkannt war (Bescheid vom 28. Oktober 1998). Eine - im vorliegenden Fall nicht zu berücksichtigende - Rechtsänderung ist insoweit erst zum 1. Januar 2001 durch § 1 Abs. 6 Satz 2 Nr 3 BErzGG idF des Gesetzes vom 12. Oktober 2000 eingetreten. Dieses Gesetz hat sich keine Rückwirkung beigemessen, sondern ein Inkrafttreten ausdrücklich erst zum 1. Januar 2001 angeordnet (Art. 5 Abs. 1 Gesetz vom 12. Oktober 2000 BGBl I 1432). Diese Änderung der Rechtslage war auch nicht eine bloße redaktionelle Klarstellung (hierzu Senatsurteil vom 11. Dezember 2003, B 10 EG 4/02 R, SozR 4-7833 § 1 Nr 2), sondern eine Ergänzung der bisherigen Regelung (so ausdrücklich BT-Drucks. 14/3553, S 15).

Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Erzg lässt sich entgegen ihrer

Rechtsauffassung auch nicht auf Grund des Vorbehaltes in § 30 Abs. 2 (iVm § 37 Satz 1, § 68 Nr .15) Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zu Gunsten des über- und zwischenstaatlichen Rechts herleiten.

Dies gilt zunächst für das FlüAbk vom 28. Juli 1951 (BGB11953 11560). Zwar ist die Klägerin seit dem 19. November 1998 unanfechtbar als Flüchtling iS dieses Abkommens anerkannt, sodass sie von seinem persönlichen Anwendungsbereich erfasst wird. Sein sachlicher Anwendungsbereich erstreckt sich jedoch nicht auf das bundesdeutsche Erzg.

Auch unter Berücksichtigung von Art. 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 vom 14. Juni 1971 (ABI EG L 149/2; hier im Wesentlichen anzuwenden in der konsolidierten Fassung, ABI C 325/J vom 10. Dezember 1992) iVm Art 1 FlüAbk ergibt sich kein Anspruch der Klägerin auf Erzg nach dem BErzGG. Das Diskriminierungsverbot des Art 3 EWGV 1408/71 ist auf die Klägerin nicht anwendbar. Sie befand sich während des streitigen Anspruchszeitraums in einer Lage, die - innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (EG) - mit keinem Element über die Grenzen des EG-Mitgliedstaates Deutschland hinauswies. Sie ist mit ihrem Ehemann aus dem Kosovo in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Unter solchen Umständen ist die EWGV 1408/71 nicht anzuwenden (Senatsurteil vom 29. Januar 2002, B 10 EG 7/01 R).

Auch aus dem Abk Jugoslawien SozSich vom 12. Oktober 1968 (BGBl 1969 II 1438) kann die Klägerin keinen Anspruch auf Erzg herleiten. Denn dieses erfasst das bundesdeutsche Erzg sachlich nicht (Senatsurteil vom 28. März 2002, B 10 EG 2/01 B).

Unter Berücksichtigung des Vorläufigen Europäischen Abkommens ergibt sich ebenfalls kein Anspruch der Klägerin auf bundesdeutsches Erzg.

Das am 11. Dezember 1953 unterzeichnete Vorläufige Europäische Abkommen basiert auf der Satzung des Europarates vom 5. Mai 1949 (Satzung EuRat). Der Europarat hat ua die Aufgabe, den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt seiner Mitglieder zu fördern (Art. 1 Abs. a Satzung EuRat). Diese Aufgabe soll er insbesondere "durch den Abschluss von Abkommen und durch gemeinschaftliches Vorgehen auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet" erfüllen (Art 1 Abs b aaO, vgl auch Art 15 Abs a). Entgegen seiner ursprünglichen Intention als "vorläufiges" Abkommen (vgl hierzu seine Präambel) ist das Vorläufige Europäische Abkommen nach wie vor gültig.

Die Klägerin wird von dem persönlichen Anwendungsbereich des Vorläufigen Europäischen Abkommens erfasst. Zwar gilt dieses unmittelbar nur für die Staatsangehörigen eines der vertragschließenden Staaten (Art 2). Nach Art 2 des Zusatzprotokolls zu dem Vorläufigen Europäischen Abkommen (BGB11956 11 528) finden die Vorschriften des Hauptabkommens jedoch auf Flüchtlinge unter den gleichen Voraussetzungen Anwendung wie auf die Staatsangehörigen der vertragsschließenden Staaten. Damit sind die Flüchtlinge iS des Art 1 FlüAbk gemeint (Art 1 Zusatzprotokoll FlüAbk).Flüchtling in diesem Sinne ist in der Bundesrepublik Deutschland der Ausländer, bei dem - wie im Falle der Klägerin im fraglichen Anspruchszeitraum - das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs 1 AuslG festgestellt ist.

Das vorläufige Europäische Abkommen erstreckt sich sachlich nicht auf das bundesdeutsche Erzg. Die Bundesrepubliik Deutschland hat nur veranlasst, dass die Leistung des Kindergeldes vom Anwendungsbereich des Vorläufigen Europäischen Abkommens erfasst wird, hinsichtlich des Erzg jedoch keine entsprechenden Schritte unternommen. Eine Einbeziehung des Erzg im Wege ergänzender Vertragsauslegung ist unzulässig.

Die Vorschrift des § 1 Abs 1a BErzGG aF verstößt nicht gegen Normen des GG, insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs 1 GG. Die Differenzierung nach dem im Aufenthaltstitel verkörperten Grad der Verfestigung des Aufenthaltsrechts ist in Ansehung des dem BErzGG zu Grunde liegenden Sachprogramms nicht sachwidrig (BSG, Urteil vom 6. September 1995,14 REg 1/95, SozR 3-7833 § 1 Nr 16; Senatsurteil vom 29. Januar 2002, B 10 EG 7/01 R). Das Argument der Klägerin, der Gesetzgeber müsse Ausländer, bei denen - wie bei ihr - das Vor1iegen von Abschiebungshindernissen nach § 51 AuslG festgestellt worden sei, und anerkannte Asylberechtigte gleich behandeln, verfängt nicht. Es verkennt den Gesichtspunkt der unterschiedlichen staatlichen Verantwortlichkeit für Ausländer (hierzu bereits BSG, Urteil vom 6. September 1995, aaO). Die staatliche Verantwortlichkeit ist bei anerkannten Asylberechtigten,

deren Aufenthaltsrecht auf einer verfassungsrechtlich garantierten Stellung beruht (Art 16a Abs. 1 GG), stärker ausgeprägt als bei sonstigen Flüchtlingen iS des FlüAbk. Die daran anknüpfende einfachrechtliche Differenzierung des Gesetzgebers, die sich über die Aufenthaltstitel des Ausländerrechts im BErzGG niederschlägt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und stellt im Anwendungsbereich des BErzGG keine unzulässige Typisierung dar.