OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 23.11.2004 - 1 LB 148/02 - asyl.net: M6401
https://www.asyl.net/rsdb/M6401
Leitsatz:

In der Regel besteht in Angola keine extreme allgemeine Gefährdungslage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG, auch nicht für gesunde Kleinkinder (Fortschreibung der st. Rspr. des Senats).(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Angola, Krankheit, Sarkoidose, Atemwegserkrankung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Versorgungslage, Existenzminimum, Medizinische Versorgung, Soziale Bindungen, Extreme Gefahrenlage
Normen: AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Dem Kläger kann nach Würdigung der Auskunftslage kein Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gewährt werden. Allgemeine ihm in Angola drohende Gefahren rechtfertigen die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht.

Nach (nochmaliger) Sichtung der vorliegenden Erkenntnismittel über die allgemein in Angola herrschenden Verhältnisse bieten diese keine ausreichende Grundlage für die für eine Berufungszurückweisung allein ausreichende Annahme, der Kläger werde im Falle seiner Abschiebung nach Angola "keine Überlebenschance" haben, d. h. gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod überantwortet werden.

Der Kläger hat keine in seiner Person liegenden Besonderheiten anzuführen vermocht. Er macht zwar geltend, er werde in Luanda und dem angrenzenden Küstenstreifen, in dem nach der Auskunftslage die besseren Lebensbedingungen herrschen und in den allein er aufgrund des Abschiebungsweges (Flughafen Luanda) gelangen wird, nicht auf den Schutz eines Familienmitgliedes vertrauen können; die Mitglieder seiner Familie hielten sich alle in Cabinda auf. Das allein stellt aber keine Besonderheit dar, welche seinen Fall vom "Durchschnittsangolaner" so weit abhebt, dass eine Sonderbeurteilung veranlasst wäre. Es ist zwar richtig, dass das Auswärtige Amt in seinem neuesten Lagebericht ausgeführt hat, Angolaner, die nicht auf die Unterstützung durch Familienmitglieder im engeren oder weiteren Sinne zurückgreifen könnten, gäbe es praktisch nicht. Das stellt allerdings nicht die wesentliche Stütze der Einschätzung dar, in Luanda und Umgebung sei ein Überleben - wenngleich auf niedrigem Niveau - möglich. Denn diese Annahme fußt unter anderem auf der Einsicht, die Spenden der zahlreichen internationalen und ausländischen Hilfsorganisationen sowie die Aussicht auf Gelegenheitsarbeiten böten jedenfalls so große Überlebenschancen, dass ein "Durchschnittsangolaner" durch seine Rückkehr nicht sehenden Auges dem sicheren Tode ausgeliefert werde.

Die seither eingegangenen Erkenntnismittel gestatten keine dem Kläger günstigere Einschätzung. Das Auswärtige Amt führt in seinem jüngsten Lagebericht vom 23.4.2004 (Stand März, S. 23) aus, nur die Lebensbedingungen für (behinderte Menschen ohne familiäre Unterstützung und) Kinder ohne familiären Rückhalt seien dort sehr bedenklich. Für eine Verschlechterung der für einen früheren Stand gewürdigten Lebensverhältnisse besteht nach den obigen Ausführungen kein tatsächlicher Anhalt. Der Bürgerkrieg ist vielmehr offenbar endgültig überwunden. Auch wenn seine wirtschaftlichen Verheerungen nicht von einem Tag zum anderen werden beseitigt werden können, so ist doch unverkennbar, dass in Angola eine nicht zu übersehende Wendung zum Besseren eingesetzt hat. Die derzeit anzutreffenden Lebensbedingungen liegen zwar - wie das Auswärtige Amt es ausdrückt - gemessen an afrikanischen Verhältnissen am unteren Rand des Menschenwürdigen. Es kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass der Wechsel der Lebensbedingungen eine ganz harte Zäsur im Leben eines jeden - auch jungen - Angolaners darstellt und nicht zu leugnende Gefährdungen mit sich bringt. Diese erreichen indes auch für Kleinkinder wie den Kläger, welche besondere gesundheitliche Risiken nicht geltend machen können, noch nicht ein solches Maß, dass mit der oben genannten gesteigerten Wahrscheinlichkeit angenommen werden könnte/müsste, ernstliche Überlebenschancen habe er in seinem Heimatland nicht.

Die Krankheiten, unter denen der Kläger leidet, rechtfertigen ebenfalls noch nicht anzunehmen, die Rückkehr werde für den Kläger eine so extreme Gesundheitsgefährdung zur Folge haben, die zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG führe. In Erinnerung zu rufen ist hierbei zunächst erneut, dass dies aus Rechtsgründen erst dann in Betracht kommt, wenn der mit den Lebensverhältnissen in seinem Heimatland konfrontierte Ausländer praktisch keine echte Überlebenschance hätte. Im Falle einer Erkrankung heißt dies, dass die Gewährung von Abschiebungsschutz erst dann in Betracht kommt, wenn ausreichenden Umfangs Tatsachen die Annahme stützen, alsbald nach seiner Rückkehr oder erstmaligen Einreise in sein Heimatland werde sich wegen der wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern (vgl. nochmals BverwG, Urt. v. 12.12.1997 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383, 386 f. = DVBl. 1998, 283 = EZAR 043 Nr. 27). Solche Anhaltspunkte bestehen hier ausreichenden Umfanges nicht. Zur Sarkoidose wird folgendes attestiert:...

Eine Würdigung dieser Ausführungen ergibt, dass die für eine dem Kläger günstige Anwendung des § 53 Abs. 6 AuslG allein ausreichende Prognose, er werde aufgrund seiner Erkrankungen alsbald nach einer Rückkehr in eine lebensbedrohliche Situation geraten, nicht gerechtfertigt ist. Dabei kommt es nicht auf die von den Beteiligten ebenfalls mit unterschiedlichem Ergebnis diskutierte Frage an, ob der Kläger die in der Bundesrepublik Deutschland erlangte und medizinisch erforderliche Medikation in seinem Heimatland zu angemessenen (preislichen) Bedingungen würde erhalten können. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, bestünde ein Anspruch auf Abschiebungsschutz nicht. Denn nach dem Ergebnis der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen besteht keine ausreichende Grundlage für die zu § 53 Abs. 6 AuslG allein ausreichende Annahme, der Kläger werde "alsbald" nach (s)einer Rückkehr in sein Heimatland in ernstliche gesundheitliche Bedrängnis geraten. Sicherlich kann nicht geleugnet werden, dass diese Erkrankung im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland bei fortschreitender Verschlechterung und/oder Hinzutreten anderer Erkrankungen einen Prozess einleiten kann, der eine wesentliche Gesundheitsbeeinträchtigung oder gar den Tod zur Folge haben kann. Das reicht indes nach den oben wiedergegebenen Grundsätzen zur Auslegung und Handhabung des § 53 Abs. 6 AuslG (noch) nicht aus. Auch bei verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift garantiert das deutsche Recht gerade nicht Schutz vor Abschiebung, wenn sich die gesundheitliche Situation in seinem Heimatland irgendwann einmal verschlechtern kann.

Die Richtigkeit dieser Annahme zeigt sich zudem, wenn man berücksichtigt, dass sich der Kläger vor seiner letzten Ausreise in Deutschland (vgl. Schriftsatz vom 14.10.2002, BI. 110 GA) so weit mit Medikamenten hatte eindecken können, dass er einen Zeitraum von immerhin 2 Jahren hatte überbrücken können. Die ärztlichen Bescheinigungen bieten keine ausreichende Grundlage für die Annahme, seit seiner Wiedereinreise habe sich trotz der in der Bundesrepublik erhaltenen Behandlung der Gesundheitszustand so weit verschlechtert, dass er dies nicht würde wiederholen können. Daran ändert auch der bloße Hinweis auf eine nach dem Attest von Herrn Dr. D. vom 16.8.2004 mittlerweile möglicherweise schon eingetretene Leberzirrhose nichts; denn immerhin hindert dies den Kläger - von einigen Fehlzeiten abgesehen - nach diesen Attesten nicht, seiner Arbeit regelmäßig nachzugehen.

Es kommt drittens und ebenfalls selbständig tragend die Beobachtung hinzu, dass der Kläger nach dem zuletzt genannten Attest von Herrn Dr. D. (BI. 128 GA) auch in der Bundesrepublik Deutschland seine Medikamente nur "inkonstant", d.h. nicht regelmäßig eingenommen hat. Wenn das so ist, und der Gesundheitszustand dem Kläger gleichwohl eine regelmäßige Arbeitsverrichtung ermöglicht, dann ist kein ausreichender Anhaltspunkt für die Annahme gegeben, alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland werde der Kläger in eine lebensbedrohliche Situation geraten.