VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 23.05.2005 - 4 A 2915/04 - asyl.net: M7136
https://www.asyl.net/rsdb/M7136
Leitsatz:
Schlagwörter: Ausweisung, Ermessen, Schutz von Ehe und Familie, Kinder, familiäre Lebensgemeinschaft, besonderer Ausweisungsschutz, Kindeswohl, Sachverhaltsaufklärung
Normen: AuslG § 45 Abs. 2; AuslG § 46 Nr. 2; GG Art. 6; AuslG § 48 Abs. 1
Auszüge:

Gemäß § 45 i.V.m. § 46 Ziffer 2 AuslG kann ausgewiesen werden, wer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Die von dem Kläger begangene Straftat erfüllt zwar die Voraussetzungen eines Ausweisungsgrundes gemäß § 46 Ziffer 2 AuslG. Die Beklagte hat aber ihr Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt.

Die Ausübung des Ermessens erfolgte rechtsfehlerhaft, weil die Ausweisungsentscheidung auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen wurde. § 45 Abs. 2 AuslG und Art. 6 GG gebieten die Berücksichtigung der Folgen einer Ausweisungsentscheidung für Familienangehörige. Insbesondere die Auswirkungen auf das Wohl von Kindern sind stets zu würdigen (vgl. GK-AuslR, § 45 AuslG Rn. 497). Eine auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruhende Abwägung der Folgen ihrer Entscheidung für das Wohl der Kinder des Klägers konnte die Beklagte nicht treffen, weil sie diese Folgen nicht hinreichend aufgeklärt hat.

Die Beklagte hat den Kläger und die Mutter der Kinder angehört. Beide haben übereinstimmend mitgeteilt, dass der Kläger bis zur Trennung ein herzlich-liebevolles Verhältnis zu seinen Töchtern gehabt und sie zuverlässig versorgt habe. Nach der Trennung und dem Umzug des Klägers in eine andere Stadt sei es zu Besuchskontakten gekommen. Auch die Ehefrau des Klägers gab an, dass der Kläger ihrer Meinung nach seine Kinder liebe und die Kinder stets fröhlich von den Umgängen nach Hause gekommen seien. Bei dieser Aussage ist zu berücksichtigen, dass das Verhältnis zwischen dem Kläger und seiner geschiedenen Ehefrau (zumindest zu jenem Zeitpunkt) nicht konfliktfrei gewesen ist, weil diese Angst hatte, der Kläger könnte in einer Panikreaktion die Kinder entführen.

Die Beklagte hat aus ihren Ermittlungen den Schluss gezogen, dass der Kläger nicht in den Genuss besonderen Ausweisungsschutzes gemäß § 48 Abs. 1 AuslG komme, weil er mit seinen Kindern nicht in familiärer Lebensgemeinschaft lebe. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie hat dann weiter im Rahmen der Ermessensausübung entschieden, schutzwürdige Bindungen bestünden nicht, weil der Kontakt nur sporadisch sei. Dieser Schluss ist rechtlich nicht haltbar. Es ist denkbar - im vorliegenden Fall vielleicht sogar naheliegend -, dass die Bindung des Klägers zu seinen Kindern schutzwürdig ist, obwohl der Kontakt nur sporadisch ist. Weitere Ermittlungen dazu hat die Beklagte nicht angestellt, obwohl dazu aufgrund der Schreiben des Klägers und auch der Mutter der Kinder durchaus Anlass bestanden hätte. Wenn das Verhältnis des Klägers zu seinen Kindern auch nach der Trennung, die erkennbar nicht darauf beruhte, dass der Kläger das Interesse an seinen Kindern verloren hätte, dann ist zumindest denkbar, dass es für die Kinder von großer Bedeutung ist, ob sie weiterhin Kontakt zu ihrem Vater haben können oder - im Falle einer Ausweisung - nicht. Bei der Bewertung der Art des Umgang und der Zahl der Besuchskontakte ist zu berücksichtigen, dass die Mutter der Kinder bei der Zulassung solcher Kontakte - verständlicherweise - eher abwehrend reagiert (hat). Man mag dem Kläger entgegenhalten, dass er sich dieses aufgrund der von ihm begangenen Straftat selbst zuzurechnen hat. Die gesetzliche Verpflichtung, bei einer Ausweisungsentscheidung die Auswirkungen auf das Wohl von Kindern in den Blick zu nehmen, dient aber vor allem dem Interesse dieser Kinder.

Bei dieser Sachlage hätte es nahe gelegen und wäre rechtlich geboten gewesen, weitere Nachforschungen anzustellen, etwa das Jugendamt der Stadt Halle um einen Bericht zu bitten.