VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 04.10.2005 - 10 B 1497/05 - asyl.net: M7144
https://www.asyl.net/rsdb/M7144
Leitsatz:
Schlagwörter: Widerruf, Niederlassungserlaubnis, Sozialleistungen, Ermessen, Suspensiveffekt, sofortige Vollziehung, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AufenthG § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 35; VwGO § 80 Abs. 5
Auszüge:

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin besteht gegenwärtig kein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Widerrufe. Dies gilt zunächst unabhängig davon, ob die Widerrufe rechtmäßig sind oder nicht.

Die Antragsteller halten sich seit zwölf Jahren im Bundesgebiet auf und sind seit fast elf Jahren im Besitz unbefristeter Aufenthaltserlaubnisse bzw. Niederlassungserlaubnisse: Die Antragsteller zu 3) bis 6) waren erst sieben, sechs, vier bzw. noch nicht einmal ein Jahr alt, als sie in die Bundesrepublik Deutschland einreisten. Vor diesem Hintergrund ist entgegnen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht gerechtfertigt, den Aufenthalt der Antragsteller im Hinblick darauf, dass sie Arbeitslosengeld ll beziehen und sich während der Dauer des bereits anhängigen Klageverfahrens ­ noch ­ weiter in die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland eingliedern könnten, sofort zu beenden. Die zu einer Bedarfsgemeinschaft zählenden Antragsteller zu 1), 2), 3) und 6), erhalten seit dem 01.08.2005 Arbeitslosengeld ll nur hoch in Höhe von 67, 23 Euro. Dieser Betrag rechtfertigt es nicht, durch eine sofortige Aufenthaltsbeendigung vollendete Tatsachen zu schaffen, zumal sich die Einkommenssituation der Familie in der Vergangenheit kontinuierlich verbessert hat. Die Antragsteller zu 4) und 5) beziehen zwar Leistungen in Höhe von jeweils 306,00 Euro. Das daher anzunehmenden öffentliche Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung überwiegt gleichwohl nicht das Interesse der Antragsteller zu 4) und 5), von der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Widerrufe vorläufig verschont zu bleiben. Denn die Antragsteller zu 4) und 5) sind an einer Erwerbstätigkeit, die den Leistungsbezug zumindest verringern könnte, lediglich durch ihren ­ ebenfalls im öffentlichen Interesse stehenden ­ Schulbesuch gehindert.

Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin das Ermessen, das ihr in § 52 Abs.1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG hinsichtlich des Widerrufs der Niederlassungserlaubnisse eingeräumt ist, fehlerfrei ausgeübt hat. Der Widerruf eines Aufenthaltstitels kommt nämlich dann nicht in Betracht, wenn der Ausländer unabhängig von seiner entfallenen Asylberechtigung aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf ein dem entzogenen Recht gleichwertiges Aufenthaltsrecht hat. Dann die Ausländerbehörde darf einen Aufenthaltstitel, den sie dem Ausländer aus anderen Rechtsgründen sogleich wieder erteilen müsste, nicht widerrufen (BverwG, Urt. v. 20.02.2003 ­ 1C 13.02 -. BverwGE 117, 380 = NVwZ 2003, 1275). Die Antragsgegnerin hat nämlich zu Unrecht nicht geprüft, ob den Antragstellern eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG erteilt werden kann. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer, der ­ wie die Antragsteller - seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Im Hinblick auf die in § 104 Abs. 2 AufenthG vorgesehenen Erleichterungen für Ausländer, die ­ wie die Antragsteller ­ bereits vor dem 01. Januar 2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis waren, ist hier allein fraglich, ob die Antragsteller die Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ­ Sicherung des Lebensunterhalts ­ erfüllen. Da die Antragsteller zu 3) bis 6) bereits vor Vollendung ihres 18. Lebensjahres nach Deutschland eingereist sind, kann für sie jedoch § 35 AufenthG entsprechend angewandt werden (§ 26 Abs. 4 Satz 3 AufenthG). Danach steht die fehlende Sicherung des Lebensunterhaltes der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht entgegen, wenn sich der Ausländer ­ wie die Antragsteller zu 3) bis 6) ­ in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Abschluss führt (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 bzw. Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Könnte den Antragstellern zu 3) bis 6) somit eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG erteilt werden, dürfte dies wiederum bei der hinsichtlich des Widerrufs der Niederlassungserlaubnis ihrer Eltern, der Antragsteller zu 1) und 2), zu treffenden Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin nicht unberücksichtigt bleiben.