Schutz der familiären Beziehung zwischen nicht sorgeberechtigtem Elternteil und Kind.
Schutz der familiären Beziehung zwischen nicht sorgeberechtigtem Elternteil und Kind.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerfGE 51, 386 <396 f.>; 76, 1 <47>; 80, 81 <93>). Das Grundgesetz überantwortet die Entscheidung, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen Fremden der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werden soll, weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt (vgl. BVerfGE 76, 1 <47 f., 51 f.>; 80, 81 <92>). Dem Ziel der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern darf von Verfassungs wegen erhebliches Gewicht beigemessen werden (vgl. BVerfGE 76, 1 <68>). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 <49 ff.>; 80, 81 <93>).
Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfGE 76, 1 <42 f.>), wobei grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten ist (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, 67 <68>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171 <173>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 22. Dezember 2003 - 2 BvR 2108/00 -, BVerfGK 2, 190 <194>).
2. Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG gilt zunächst und zuvörderst der Familie als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Die leibliche und seelische Entwicklung der Kinder findet in der Familie und der elterlichen Erziehung eine wesentliche Grundlage. Familie als verantwortliche Elternschaft wird von der prinzipiellen Schutzbedürftigkeit des heranwachsenden Kindes bestimmt (vgl. BVerfGE 80, 81 <90>). Besteht eine solche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinem Kind und kann diese Gemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171 <173>; vgl. auch BVerfGE 80, 81 <95> zur Erwachsenenadoption).
Bei der Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171 <173>). Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfGE 80, 81 <95>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. August 1996 - 2 BvR 1119/96 -, FamRZ 1996, 1266; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1997 - 2 BvR 260/97 -, Juris). Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich wird (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 1997 - 2 BvR 260/97 -, Juris; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, 67 <68>).
Eine verantwortungsvoll gelebte und dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft lässt sich nicht allein quantitativ etwa nach Daten und Uhrzeiten des persönlichen Kontakts oder genauem Inhalt der einzelnen Betreuungshandlungen bestimmen. Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171 <174>).
3. Der Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2942) die familienrechtlichen Rahmenbedingungen verändert. Nach § 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB gehört zum Wohl des Kindes in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gemäß § 1684 Abs. 1 BGB hat das Kind Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. Das bis dahin lediglich als Elternrecht ausgestaltete Umgangsrecht soll in der Neufassung des § 1684 BGB einen Bewusstseinswandel bei den Eltern bewirken, dass sie nicht nur ein Recht auf Umgang haben, sondern im Interesse des Kindes auch die Pflicht, diesen Umgang zu ermöglichen. Das Kind ist nicht nur Objekt des elterlichen Umgangs; vielmehr dient der Umgang der Eltern mit ihrem Kind ganz wesentlich dessen Bedürfnis, Beziehungen zu beiden Elternteilen aufzubauen und erhalten zu können. Die gesetzliche Umgangspflicht soll Eltern darauf hinweisen, dass der Umgang mit ihnen, auch und gerade wenn das Kind nicht bei ihnen lebt, für die Entwicklung und das Wohl des Kindes eine herausragende Bedeutung hat (vgl. BTDrucks 13/4899 S. 68; 13/8511 S. 67 f., 74).
4. Die gewachsene Einsicht in die Bedeutung des Umgangsrechts eines Kindes mit beiden Elternteilen, wie sie in § 1626 Abs. 3 Satz 1 und § 1684 Abs. 1 BGB n. F. zum Ausdruck kommt, kann auf die Auslegung und Anwendung des § 23 Abs. 1, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 17 Abs. 1 AuslG - jetzt: § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG -, wonach auch dem nicht sorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird, nicht ohne Auswirkung bleiben. Die Vorstellung dessen, was "Familie" und schützenswert ist, die in der Wertentscheidung des Gesetzgebers des Kindschaftsrechtsreformgesetzes zum Ausdruck kommt, ist selbst vom Verfassungsrecht geprägt und kann auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung bei der Bewertung einer familiären Situation im Ausländerrecht nicht außer Betracht bleiben (vgl. hierzu auch den Beschluss des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin vom 22. Februar 2001 - VerfGH 103 A/00,103/00 -, NVwZ-RR 2001, 687 <688>).
Die Verfassung gewährleistet Ehe und Familie nicht abstrakt, sondern in der verfassungsgeleiteten Ausgestaltung, wie sie den herrschenden, in der gesetzlichen Regelung maßgebend zum Ausdruck gelangten Anschauungen entspricht (vgl. BVerfGE 15, 328 <332>; 31, 58 <82 f.>; 53, 224 <245>). Die Reichweite der Schutzwirkungen des Art. 6 GG wird insoweit von den das verfassungsrechtliche Bild von Ehe und Familie auch im Allgemeinen prägenden Regelungen des § 1353 Abs. 1 Satz 2, der §§ 1626 ff. BGB mitbestimmt (vgl. BVerfGE 76, 1 <43>). Die §§ 1626 ff. BGB stellen seit ihrer Neufassung durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz das Kindeswohl in den Mittelpunkt und anerkennen die Beziehung jedes Elternteils zu seinem Kind als grundsätzlich schutz- und
förderungswürdig. Darin sind sie ihrerseits geprägt durch den hohen Rang, der dem Kindeswohl von Verfassungs wegen für die Ausgestaltung des Familienrechts zukommt (vgl. BVerfGE 80, 81 <90>; 108, 82 <114>).
5. Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist deshalb maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen
(vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. Februar 2003 - 1 C 13/02 -, BVerwGE 117, 380 <390 f.>).
Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zum getrennt lebenden Elternteil und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient und das Kind beide Eltern braucht (vgl. BVerfGE 56, 363 <384>; 79, 51 <63 f.>; zur Bedeutung der Beziehung zu beiden Elternteilen für die Entwicklung des Kindes s. a. § 1626 Abs. 3 Satz 1
BGB und den Zehnten Kinder- und Jugendbericht, BTDrucks 13/11368 S. 40 u. a.).
6. Soweit für die Bejahung des Vorliegens einer familiären (Lebens-)Gemeinschaft regelmäßige Kontakte des getrennt lebenden Elternteils mit seinem Kind, die die Übernahme elterlicher Erziehungs- und Betreuungsverantwortung zum Ausdruck bringen, sowie eine emotionale Verbundenheit gefordert werden, begegnet das für sich genommen keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Kindschaftsrechtsreformgesetz hat die Rechtswirklichkeit für die Eltern-Kind-Beziehung zwar erheblich verändert; das lässt aber nicht unmittelbar und ohne Rücksicht auf die tatsächliche Ausgestaltung der Beziehung der Familienmitglieder untereinander darauf schließen, dass sich die Eltern-Kind-Beziehung nach Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft tatsächlich entsprechend dem Leitbild des Gesetzgebers gestaltet. Die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind ist getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes. Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein. Auch Unterhaltsleistungen sind in diesem Zusammenhang ein Zeichen für die Wahrnehmung elterlicher Verantwortung.
7. Gemessen an diesen Grundsätzen halten die Erwägungen des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs, mit denen eine aufenthaltsrechtlich schützenswerte Bindung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter verneint worden ist, einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand.
b) Die Argumentation des Verwaltungsgerichts wird Inhalt und Bedeutung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG nicht gerecht. Das Verwaltungsgericht nennt zwar zunächst die einschlägige neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine Betrachtung des Einzelfalles geboten ist und sich eine schematische Beurteilung verbietet. Im Rahmen der Anwendung der genannten Grundsätze würdigt das Verwaltungsgericht indes die konkreten Umstände des Einzelfalles nicht, sondern stellt abstrakte Kriterien auf und verneint vor diesem Hintergrund das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft. Die Bewertung der aufenthaltsrechtlichen Bedeutung des tatsächlich gelebten Umgangsrechts ist schematisch. Zudem verkennt sie, dass der (auch) in der Kindschaftsrechtsreform zum Ausdruck gekommene Aspekt des Kindeswohls bereits auf der Ebene des Tatbestands angemessene Berücksichtigung finden muss.
Soweit das Verwaltungsgericht darauf abstellt, das gelebte Umgangsrecht begründe "nur ausnahmsweise und allenfalls bei Vorliegen besonderer Umstände" eine familiäre Lebensgemeinschaft, und fordert, dass der Kontakt in Bezug auf Umfang und Intensität der Wahrnehmung des Sorgerechts nahe kommen müsse, entspricht dies weder dem Wortlaut des § 23 Abs. 1, 2. Halbsatz AuslG (jetzt: § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), noch ist dieser Maßstab in dieser Allgemeinheit verfassungsrechtlich tragfähig.
c) Auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs steht mit Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG nicht in Einklang.
Mit der Kindschaftsrechtsreform hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass sich auch außerhalb der persönlichen Begegnung Umgang ereignen kann und soll, etwa durch Brief- und Telefonkontakte (vgl. BTDrucks 13/4899 S. 104 f. zur Neufassung des § 1684 BGB). Auch Telefonate sind somit Teil der Wahrnehmung des Umgangs und insoweit - zumal bei getrennten Wohnsitzen - auch Element familiärer Gemeinschaft. Dies muss in die ausländerrechtliche Würdigung angemessen einfließen. Die vom Beschwerdeführer hierzu vorgelegte eidesstattliche Versicherung erfüllt grundsätzlich die Darlegungserfordernisse an eine Glaubhaftmachung im Eilverfahren und belegt mehr als nur lose und seltene Besuchskontakte, nämlich zahlreiche gemeinsame Unternehmungen und regelmäßige Telefongespräche des Beschwerdeführers mit seiner noch kleinen Tochter, getragen von emotionalen Bindungen auf beiden Seiten.