OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2006 - 18 B 1772/05 - asyl.net: M7931
https://www.asyl.net/rsdb/M7931
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Duldung, Erwerbstätigkeit, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Auflage, Anfechtungsklage, Verpflichtungsklage, einstweilige Anordnung, Zitiergebot, Grundrechtseingriff, Nebenbestimmungen, Abschiebungshindernis, Verschulden, Passlosigkeit, Passbeschaffung, Mitwirkungspflichten
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 123; AufenthG § 4 Abs. 3; AufenthG § 42 Abs. 2 Nr. 5; BeschVerfV § 10; BeschVerfV § 11; GG Art. 19 Abs. 1 S. 2; AufenthG § 84 Abs. 1 Nr. 3; VwVfG § 36; AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

1. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht zunächst zu Recht dessen als Hauptantrag formulierten Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Nebenbestimmung zur Duldung, wonach Erwerbstätigkeit nicht gestattet ist, anzuordnen, als unstatthaft angesehen. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, wie er damit formuliert wurde, ist statthaft, wenn im entsprechenden Hauptsacheverfahren für den Rechtsschutz die Anfechtungsklage gegeben ist und dem Rechtsschutzinteresse durch die Aussetzung der Vollziehung eines belastenden Verwaltungsakts bzw. die Rückgängigmachung einer bereits stattgefundenen Vollziehung Genüge getan ist, § 123 Abs. 5 VwGO (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage 2005, § 80 Rn. 12).

So liegt es hier nicht. Denn im Gegensatz zu der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage, nach der es sich bei dem einer Duldung beigefügten Verbot einer Erwerbstätigkeit um eine isoliert anfechtbare Auflage im Sinne von § 56 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AuslG 1990 handelte und daher diesbezüglich ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft war (vgl. Senatsbeschluss vom 8. August 2003 - 18 B 2511/02 -, AuAS 2003, 272 = NVwZ-Beil. I 2004, 18 = EZAR 632 Nr. 37 = EildStNRW 2004, 178), bedürfen nach den in §§ 4 Abs. 3, 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG und § 10 Beschäftigungsverfahrensverordnung - BeschVerfV - getroffenen Regelungen geduldete Ausländer, die - wie der Antragsteller - eine Beschäftigung ausüben wollen, einer dahingehenden mit der Duldung verknüpften Erlaubnis, über deren Erteilung nach Antrag ein Bescheid zu ergehen hat, so dass eine positive Bescheidung gegebenenfalls mit einem Verpflichtungsbegehren zu erstreiten ist. Die bloße Beseitigung des Vermerks "Erwerbstätigkeit nicht gestattet", wie er sich bei der dem Antragsteller unter dem 8. August 2005 erteilten Duldung findet, führt nicht bereits zu der von diesem erstrebten und benötigten Rechtskreiserweiterung. Vorläufiger Rechtsschutz ist demnach durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu erlangen (so etwa Senatsbeschluss vom 22. April 2005 - 18 B 574/05 -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Oktober 2005 - 11 S 1011/05 -, juris; VG Sigmaringen, Beschluss vom 20. April 2005 - 6 K 2362/04 -; VG Karlsruhe, Beschluss vom 14. April 2005 - 10 K 493/05 -, AuAS 2005, 194; Bartelheim, InfAuslR 2005, 458 (460); Leineweber, InfAuslR 2005, 302 (304); Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Loseblatt, § 4 Rn. 62; Marx, ZAR 2005, 48 (53 f.); Stiegeler, Asylmagazin 6/2005, 5 (7); Zühlcke, ZAR 2005, 317 (322)).

2. Der vorliegend formulierte Hilfsantrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen, dem Antragsteller vorläufig die Fortsetzung der Erwerbstätigkeit bei der Firma Auto L. Kfz-Handel zu gestatten durch entsprechende Aufnahme einer Nebenbestimmung zur Duldung, ist nach allem grundsätzlich statthaft. Der Senat versteht ihn allerdings klarstellend dahin, dass beantragt wird, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig - bis zur Entscheidung in der Hauptsache - zu verpflichten, die dem Antragsteller erteilte Duldung dahin zu erweitern, dass ihm die Fortsetzung der Erwerbstätigkeit bei der Firma Auto L. Kfz-Handel erlaubt wird.

Diese Klarstellung erscheint veranlasst, weil der zur Verdeutlichung der gesetzlich vorgesehenen untrennbaren Verknüpfung des Beschäftigungsrechts mit dem Aufenthaltstitel bzw. der Duldung gewählte Begriff der "Nebenbestimmung" in § 84 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG (vgl. auch BT-Drs. 15/240, S. 69 re. Sp; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Oktober 2005 - 11 S 1011/05 -, juris) offensichtlich in einem von § 36 VwVfG (hier von § 36 VwVfG NRW) abweichenden Sinne verwendet wird. Eine Nebenbestimmung im Sinne des § 36 VwVfG liegt nämlich nicht vor; insbesondere handelt es sich nicht um eine Auflage gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, da dem Betreffenden kein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird. Der Argumentation, es liege eine Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG vor, weil dem geduldeten Ausländer mit der Erlaubnis (auch) vorgeschrieben werde, jede andere als die erlaubte Beschäftigung zu unterlassen (so wohl Marx, ZAR 2005, 48 (52)), kann nicht gefolgt werden. Dieses Verständnis verzerrt den rechtlichen Gehalt der Beschäftigungserlaubnis. Dafür, dass die Behörde mit der Erlaubnis nicht nur eine bestimmte Tätigkeit erlauben, sondern darüber hinaus weitere verbieten will, besteht regelmäßig kein Anhalt und auch kein Bedürfnis; denn jede andere, nicht ausdrücklich erlaubte Beschäftigung ist dem geduldeten Ausländer bereits kraft Gesetzes verboten, vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (so zutreffend Bartelheim, InfAuslR 2005, 458 (460)).

Mit der genannten Antragsfassung ist auch klargestellt, dass es vorliegend nicht um die Neuerteilung einer Duldung geht, so dass für die begehrte Erweiterung der Duldung nicht deren Erteilungsvoraussetzungen vollständig zu prüfen sind.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch nicht begründet.

Denn wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, bleibt der auf die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erweiterung der dem Antragsteller erteilten Duldung um die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung gerichtete Hilfsantrag ohne Erfolg, weil der Antragsteller das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung einer solchen Erlaubnis nicht glaubhaft gemacht hat. Dem steht der Versagungsgrund des § 11 BeschVerfV entgegen.

Vorliegend bestehen für das Gegebensein der ersten Alternative des § 11 Satz 1 BeschVerfV keine Anhaltspunkte. In Betracht kommt allein, dass bei dem Antragsteller aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil er seinen Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung von Reisepapieren nur unzureichend nachgekommen ist. Dass eine solche Sachverhaltskonstellation gegeben ist, hat das Verwaltungsgericht festgestellt. Der Antragsteller tritt diesen Feststellungen mit der Beschwerde nicht entgegen; sie sind mithin zugrunde zu legen.

Darüber, dass die mangelnde Mitwirkung bei der Passbeschaffung auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 11 Satz 2 BeschVerfV einen Versagungsgrund im Sinne des § 11 Satz 1 BeschVerfV darstellen kann, besteht - soweit ersichtlich - Einigkeit (vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 5. September 2005 - 17 B 1118/05 - und vom 28. Oktober 2005 - 17 B 1815/05 -; Nds. OVG, Beschluss vom 8. November 2005 - 12 ME 397/05 -, juris; VG Sigmaringen, Beschluss vom 20. April 2005 - 6 K 2362/04 -; Fehrenbacher, HTK-AuslR / § 11 BeschVerfV 12/2005 Nr. 3; Leineweber, InfAuslR 2005, 302 (304); Marx, ZAR 2005, 48 (53); Stiegeler, Asylmagazin 6/2005, 5 (7); Zühlcke, ZAR 2005, 317 (321)).

Die entsprechenden Mitwirkungspflichten sind nunmehr ausdrücklich im AufenthG normiert: Gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1, § 5 Abs. 2 Nr. 2 AufenthV ist ein Ausländer, der keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, verpflichtet, an der Beschaffung derartiger Papiere mitzuwirken und alle hierfür erforderlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen vorzulegen sowie die geforderten Erklärungen im Rahmen der Beschaffung von Heimreisedokumenten abzugeben. Vor diesem Hintergrund ist nicht anzunehmen, dass den Behörden diese zuvor anerkannte Möglichkeit, den Ausländer zur Mitwirkung zu veranlassen, nunmehr versperrt werden sollte (vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 14. April 2005 - 10 K 493/05 -, AuAS 2005, 194 und Zühlcke, ZAR 2005, 317 (320), jeweils mit weiteren Nachweisen; Bartelheim, InfAuslR 2005, 458 (460)).

Auch der Intention des Verordnungsgebers dürfte es entsprechen, die unzureichende Mitwirkung bei der Passbeschaffung als Versagungsgrund gemäß § 11 Satz 1 BeschVerfV einzuordnen. Danach sollten zur näheren Bestimmung des Vertretenmüssens im Sinne des § 11 Satz 1 BeschVerfV die Kriterien des § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG übernommen werden, was die Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen zur Beseitigung von Ausreisehindernissen einschließt (vgl. Text der Verordnungsbegründung unter www.aufenthaltstitel.de/beschverfvinfos.html).

Der Vergleich mit § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG ergibt nicht, dass die fehlende Mitwirkung an der Passbeschaffung als Versagungsgrund im Sinne des § 11 Satz 1 BeschVerfV ausscheidet. Zwar wird in § 25 Absatz 5 Satz 4 AufenthG darauf abgestellt, dass aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründe die (freiwillige) Ausreise nicht möglich ist, während für § 11 Satz 1 BeschVerfV maßgeblich ist, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen - worunter hoheitliche Maßnahmen zu verstehen sein dürften - nicht vollzogen werden können. Da aber die fehlende Mitwirkung an der Passbeschaffung sowohl die Ausreise als auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen hindern kann, schließt diese - grundsätzlich zu beachtende - Differenzierung es nicht aus, dass eine solche Verhaltensweise auf einen Versagungsgrund im Sinne des § 11 Satz 1 BeschVerfV führen kann, sofern sie - wie das hier der Fall ist - eben nicht nur der freiwilligen Ausreise, sondern aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entgegensteht.

Einzuräumen ist allerdings, dass in § 11 Satz 2 BeschVerfV als Regelbeispiele zur näheren Kennzeichnung des Verschuldens zwar die übrigen in § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG aufgeführten Verhaltensweisen (falsche Angaben oder Identitätstäuschung), aber gerade nicht das Nichterfüllen zumutbarer Anforderungen zur Beseitigung von Ausreisehindernissen genannt ist. Aus diesem Umstand allein kann aber nach Auffassung des Senats angesichts des Gewichts entgegenstehender Anhaltspunkte nicht geschlossen werden, dass das Nichterfüllen zumutbarer Anforderungen zur Beseitigung von - hier - Abschiebungshindernissen nicht unter § 11 Satz 1 BeschVerfV zu subsumieren ist. In § 11 Satz 2 BeschVerfV wird beispielhaft hervorgehoben, in welchen - schwerwiegenden - Fallgestaltungen ein Vertretenmüssen "insbesondere" gegeben ist. Das schließt nicht aus, dass auch in anderen Fällen, in denen die in Rede stehenden Verhaltensweisen möglicherweise von geringerem Unwertgehalt sind, ein Vertretenmüssen angekommen werden kann (so auch Zühlcke, ZAR 2005, 317 (321)).

Es ist allerdings einschränkend zu verlangen, dass das in Rede stehende Verhalten - hier die fehlende Mitwirkung an der Passbeschaffung - kausal dafür ist, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Auch das ist ohne Weiteres aus dem Wortlaut des § 11 Satz 1 BeschVerfV abzuleiten: Ist das Verhalten nicht kausal, wird die Voraussetzung nicht erfüllt, dass bei dem Ausländer aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (so auch Nds. OVG, Beschluss vom 8. November 2005 - 12 ME 397/05 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Oktober 2005 - 11 S 1011/05 -, juris; Fehrenbacher, HTK-AuslR / § 11 BeschVerfV 12/2005 Nr. 3; Leineweber, InfAuslR 2005, 302 (304); Stiegeler, Asylmagazin 6/2005, 5 (7); Zühlcke, ZAR 2005, 317 (321)).

Den weiteren Fragestellungen, ob das in Rede stehende Verhalten noch gegenwärtig sein muss (so Nds. OVG, Beschluss vom 8. November 2005 - 12 ME 397/05 -, juris; Leineweber, InfAuslR 2005, 302 (304)), und ob erforderlich ist, dass die Behörde den Betreffenden zur Mitwirkung an der Passbeschaffung aufgefordert hat (vgl. dazu Stiegeler, Asylmagazin 6/2005, 5 (7)), muss anlässlich des vorliegenden Falles nicht nachgegangen werden, denn hier ist weder mit der Beschwerde dargetan noch sonst ersichtlich, dass unter einem dieser Gesichtspunkte eine Einschränkung veranlasst sein könnte. Der Senat merkt allerdings Folgendes an: Das Erfordernis der Gegenwärtigkeit des fraglichen Verhaltens dürfte als Frage der Kausalität zu behandeln sein. Hat der Betreffende sein Verhalten geändert und wirkt nunmehr an der Passbeschaffung mit, kann aber gleichwohl nicht abgeschoben werden, besteht kein von ihm zu vertretendes Abschiebungshindernis mehr. Liegen seine Mitwirkungspflichtverletzungen in der Vergangenheit, wirken aber noch fort und hindern aufenthaltsbeendende Maßnahmen weiterhin, kann darin ein Versagungsgrund liegen. Einer vorausgegangenen Aufforderung, im Rahmen der sich jedem Ausländer erschließenden Pflichten an der Passbeschaffung mitzuwirken, bedarf es nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich nicht (vgl. näher nur Senatsbeschluss vom 25. Juli 2005 - 18 E 667/05 - mit weiteren Nachweisen).

Ergänzend sei angemerkt, dass es - griffe nicht schon der Versagungsgrund gemäß § 11 BeschVerfV ein - ausgehend vom oben Ausgeführten keinen Bedenken unterliegen dürfte, den Umstand, dass der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung nicht hinreichend nachgekommen ist, jedenfalls im Rahmen des Ermessens zu seinem Nachteil zu berücksichtigen. Zwingende Gründe, die dem entgegenstehen würden, sind nicht ersichtlich (so auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Oktober 2005 - 11 S 1011/05 -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 14. April 2005 - 10 K 493/05 -, AuAS 2005, 194; Zühlcke, ZAR 2005, 317 (321); anders Stiegeler, Asylmagazin 6/2005, 5 (7) für Handlungen oder Unterlassungen, die grundsätzlich in den Anwendungsbereich des § 11 BeschVerfV gehören, aber den tatbestandlichen Anforderungen nicht genügen).