VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Beschluss vom 08.06.2006 - 4 G 1454/06 - asyl.net: M8408
https://www.asyl.net/rsdb/M8408
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Duldung, Erwerbstätigkeit, Nebenbestimmungen, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Serbien und Montenegro, Kosovo, UNMIK, Einreiseverweigerung, freiwillige Ausreise, Zustimmung, Bundesagentur für Arbeit, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Eilbedürftigkeit, Vorwegnahme der Hauptsache, Zuständigkeit, Nebenbestimmung
Normen: VwGO § 123; BeschVerfV § 10; BeschVerfV § 11; AufenthG § 60a Abs. 2; AuslZustVO § 2 Abs. 1; AuslZustVO § 2 Abs. 2 S. 1
Auszüge:

Statthaft ist der Eilantrag des Antragstellers nach § 123 Abs. 1 VwGO.

Das Vorliegen eines so genannten Anordnungsgrundes, die Dringlichkeit für die begehrte vorläufige gerichtliche Entscheidung, ist vom Antragsteller auch unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes der Vorwegnahme der Hauptsache hinreichend dargetan. Es drohen wesentliche Nachteile; ein gerichtliches Hauptsacheverfahren würde nicht hinreichend Rechtsschutz bieten. Denn offenbar ist derzeit eine Stelle für den Antragsteller bei der Fa. Hausmeisterservice D. vorhanden, auch schon seit einigen Wochen. Zweifelhaft ist, ob die Stelle langfristig freigehalten werden kann. Es droht die Gefahr, dass das konkrete Beschäftigungsverhältnis bald nicht mehr zur Verfügung steht. Der Wegfall eines derzeit vorhandenen Arbeitsplatzes ist als wesentlicher Nachteil, der durch Gewährung gerichtlichen Eilrechtsschutzes verhindert werden kann, zu bezeichnen.

Wegen der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles ist nach Auffassung des Gerichts aufgrund einer allein möglichen und erforderlichen summarischen Überprüfung zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt vom Vorliegen eines so genannten Anordnungsanspruches auszugehen.

Ein Versagungsgrund für die Ausübung einer Beschäftigung nach § 11 BeschVerfV, für den die Ausländerbehörde darlegungs- und beweispflichtig ist, liegt entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht vor.

Aus den Ereignissen vom 25.04.2006, als versucht wurde, den Antragsteller und seine Familie nach Serbien und Montenegro abzuschieben, wird offenkundig, dass derzeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können und zwar nicht aus vom Antragsteller zu vertretenden Gründen.

Soweit es dem Inhalt der vorliegenden Behördenakte zu entnehmen ist, wurde die Aufnahme der Familie des Antragstellers in Serbien und Montenegro durch zwei Mitarbeiter der UNMIK abgelehnt und wurde die Rückführung der Familie nach Deutschland angeordnet, nachdem den beiden UNO-Mitarbeitern die ärztliche Bescheinigung des Universitätsklinikums Gießen vom 12.01.2006 über die Erkrankung der Ehefrau des Antragstellers (posttraumatische Belastungsstörung) zugänglich und bekannt geworden ist.

Da der Antragsteller und seine Familie nicht wie geplant im Herkunftsland aufgenommen wurden, war die Abschiebung, die aufenthaltsbeendende Maßnahme noch nicht vollständig beendet.

Der Antragsgegner räumt in seiner Antragserwiderung selbst ein, dass derzeit das Abschiebungshindernis vom 25.04.2006 offenbar noch nicht behoben ist. Denn es sollen derzeit weitere Bemühungen und ergänzende Vorbereitungshandlungen für eine künftige Abschiebungsmaßnahme andauern. So lange nicht verbindlich und nachweislich geklärt ist, dass bei einer erneuten aufenthaltsbeendenden Maßnahme der Antragsteller und seine Familie im Herkunftsland von den dortigen Behörden aufgenommen werden, dürften, damit sich insbesondere für die Kinder des Antragstellers nicht derart menschenunwürdige Situationen wie am 25.04.2006 wiederholen, einer etwaigen Abschiebung erhebliche rechtliche Bedenken entgegenstehen.

Dem Antragsteller kann auch nicht entgegengehalten werden, er könne freiwillig ausreisen und er hätte freiwillig am 25.04.2006 in seinem Heimatstaat bleiben können.

Zum einen ist bereits bedenklich, ob von "Freiwilligkeit" gesprochen werden kann, so lange die Ehefrau aus gesundheitlichen Gründen im Heimatland nicht aufgenommen wird. Insoweit dürften die Schutzvorschriften des Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK zugunsten des Antragstellers greifen.

Davon abgesehen ist die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise irrelevant für eine Beschäftigungserlaubnis nach § 11 BeschVerfV. Denn der Wortlaut der genannten Vorschrift stellt die vom Ausländer zu vertretenden Gründe kausal in einen Zusammenhang mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, also behördlicherseits veranlasste Maßnahmen. Entscheidend ist also nach der gesetzlichen Rechtsgrundlage nur, dass behördliche aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.). Klargestellt worden ist dies zudem, darauf hat der Bevollmächtigte des Antragstellers auch mehrfach hingewiesen, durch das Bundesministerium des Innern mit Erlass vom 18.03.2005, wonach die Beschäftigung denjenigen Ausländern nach Zustimmung der C. erlaubt werden kann, die zwar freiwillig ausreisen könnten, aber nicht abgeschoben werden können. Obwohl darauf hingewiesen, geht der Antragsgegner hierauf nicht ein.

Das Entscheidungsermessen des Antragsgegners ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt "auf null reduziert". Der Antragsgegner trägt keine tragenden Ermessensgesichtspunkte für ein Beschäftigungsverbot vor.

Der Antragsgegner vertritt die Auffassung, die Gestattung einer Erwerbstätigkeit würde dem Sinn und Zweck von §§ 10, 11 BeschVerfV zuwiderlaufen. Danach sei geduldeten Ausländern die Ausübung einer Beschäftigung zunächst grundsätzlich verboten. Sie könne auch nach längerer Duldung nur im engen Rahmen erlaubt werden. Insbesondere sei zu berücksichtigen die gesetzgeberische Absicht, zu verhindern, dass bei Ausländern, die kein verfestigtes Aufenthaltsrecht haben, eine faktische Integration eintrete oder verstärkt werde.

Dieser Auffassung vermag das Gericht nicht zu folgen. Die behauptete gesetzgeberische Absicht, eine faktische Integration zu verhindern, wird aus dem Normzusammenhang nicht erkennbar. Vielmehr hat der Gesetzgeber keine Bedenken gegen die Ausübung einer Beschäftigung, wenn der geduldete Ausländer sich seit einem Jahr erlaubt oder geduldet im Bundesgebiet aufhält, so der eindeutige Wortlaut von § 10 Satz 1 BeschVerfV. Nach Ablauf dieser Jahresfrist will der Gesetzgeber offenbar nicht zur Vermeidung einer etwaigen Integration ein Beschäftigungsverbot aufrechterhalten. Im vorliegenden Falle hält sich der Antragsteller tatsächlich weit länger als ein Jahr geduldet im Bundesgebiet auf. Da durch den Abschiebungsversuch vom 25.04.2006 die aufenthaltsbeendende Maßnahme noch nicht endgültig abgeschlossen war, hat auch nicht die Jahresfrist des § 10 BeschVerfV erneut zu laufen begonnen.

Allerdings ist gemäß § 10 Satz 1 BeschVerfV die Zustimmung der C. erforderlich. Demzufolge hat der Antragsteller mit seinem Eilantrag eine Verpflichtung des Antragsgegners nur nach Maßgabe der Zustimmung der C. erstrebt. Im gerichtlichen Verfahren hat sich die beigeladene C. bisher nicht geäußert. Es wird seitens des Antragsgegners geboten sein, schnellstmöglich eine Stellungnahme der C. zu erwirken.