VG Aachen

Merkliste
Zitieren als:
VG Aachen, Beschluss vom 28.08.2006 - 6 L 328/06 - asyl.net: M8924
https://www.asyl.net/rsdb/M8924
Leitsatz:

Verliert der Elternteil eines Kindes, von dem das Kind nach § 4 Abs. 1 StAG seine deutsche Staatsangehörigkeit ableitet, rückwirkend wegen der Annahme einer ausländischen Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 25 StAG), hat das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erworben; Zeiten, in denen der Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, werden nicht auf die Acht-Jahres-Frist nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 StAG angerechnet.

 

Schlagwörter: Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeitsrecht, deutsche Staatsangehörigkeit, Geburt, in Deutschland geborene Kinder, Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt im Inland, Verlust, Einbürgerung, Erwerb, Wiedereinbürgerung, Türkei, Türken, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziationsberechtigte, Erlaubnisfiktion, atypischer Ausnahmefall, Aufenthaltsdauer
Normen: StAG § 4 Abs. 1; StAG § 25 Abs. 1; StAG § 4 Abs. 3; PassG § 13 Abs. 1 Nr. 1; PassG § 13 Abs. 1 Nr. 3; PassG § 12 Abs. 1; PassG § 11 Nr. 2; VwGO § 80 Abs. 5; AufenthG § 81 Abs. 3; ARB Nr. 1/80 Art. 6
Auszüge:

Verliert der Elternteil eines Kindes, von dem das Kind nach § 4 Abs. 1 StAG seine deutsche Staatsangehörigkeit ableitet, rückwirkend wegen der Annahme einer ausländischen Staatsangehörigkeit die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 25 StAG), hat das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erworben; Zeiten, in denen der Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, werden nicht auf die Acht-Jahres-Frist nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 StAG angerechnet.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung und dem Individualinteresse des Betroffenen an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Die Anordnung der Sicherstellung des Kinderausweises, aus der auch die Herausgabepflicht folgt, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Antragsteller ist nicht zum Besitz des Kinderausweises berechtigt, weil er nicht deutscher Staatsangehöriger sein dürfte. Unzweifelhaft hat der Antragsteller die deutsche Staatsangehörigkeit nicht - wie vom Antragsgegner ursprünglich angenommen - nach der Vorschrift des § 4 Abs. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) erworben. Seine Eltern besaßen im Zeitpunkt seiner Geburt nämlich beide die türkische Staatsangehörigkeit. Sein im Jahre 2000 eingebürgerter Vater hat die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes verloren, als er am 2. Juni 2004 - und damit vor der Geburt des Antragstellers am 23. Juni 2004 - auf Antrag die türkische Staatsangehörigkeit wieder angenommen hat, vgl. § 25 Abs. 1 StAG. Nach den vorliegenden Erkenntnissen erscheint aber auch der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach der Vorschrift des § 4 Abs. 3 StAG jedenfalls als unwahrscheinlich. Der Vater des Antragstellers, der hier allein als Bezugsperson in Betracht kommt, hatte im Zeitpunkt der Geburt des Antragstellers zwar seit mehr als acht Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet; dieser war aber weder seit mehr als acht Jahren rechtmäßig, noch war er zum damaligen Zeitpunkt im Besitz der erforderlichen Aufenthaltsberechtigung bzw. unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Dabei kann offen bleiben, ob zugunsten des Antragstellers davon ausgegangen werden darf, dass die Zeiten einer deutschen Staatsangehörigkeit für den Achtjahreszeitraum des § 4 Abs. 3 StAG analog Zeiten eines rechtmäßigen Aufenthalts zu behandeln sind. Dies mag mit Blick auf die Intention der Vorschrift, der fortgeschrittenen Integrationsleistung zumindest eines Elternteils Rechnung zu tragen, nicht unangebracht erscheinen. Demgegenüber ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber für den Bereich des Ausländerrechts im Aufenthaltsgesetz eine solche Gleichstellung nicht angenommen hat. Ansonsten hätte es nämlich der umfassenden Sonderregelung des § 38 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) so nicht bedurft. Im Übrigen trüge die oben angedeutete Sichtweise dem nicht nur graduellen, sondern wesensmäßigen Unterschied zwischen einem bloßen Aufenthaltsrecht und dem Status der Innehabung der deutschen Staatsangehörigkeit wohl nicht hinreichend Rechnung. Die tatbestandlichen Vorgaben des § 4 Abs. 3 StAG sind jedoch ungeachtet dessen bereits nicht erfüllt. Seit dem 2. Juni 2004 ist der Vater des Antragstellers nicht mehr Deutscher. Im Besitz eines Aufenthaltstitels ist er erst wieder seit dem 20. April 2005.

Sein Aufenthalt war bei Geburt des Antragstellers auch nicht aus anderen Gründen rechtmäßig. Der ihm vor seiner Einbürgerung zuletzt erteilte Aufenthaltstitel ist - selbst, wenn es sich um einen der gemäß § 4 Abs. 3 StAG erforderlichen Titel gehandelt haben sollte - mit der Einbürgerung gegenstands- und damit wirkungslos geworden. Ein automatisches Wiederaufleben eines früheren Aufenthaltstitels nach Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit sieht das Gesetz nicht vor. Eine andere Beurteilung dürfte auch nicht aufgrund vor der Einbürgerung ggf. erworbener, gemeinschaftsrechtlicher Aufenthaltsrechte aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei (ARB 1/80) geboten sein. Dabei bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob und inwieweit die konstitutiven Rechte aus Art. 6 oder 7 ARB 1/80 dem nach § 4 Abs. 3 StAG erforderlichen Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gleichzustellen wären. So wie nämlich das Entstehen dieser Rechte erkennbar abhängig davon ist, dass der Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat dem regulären Arbeitsmarkt angehört, die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, ist auch deren Fortbestand nur unter dieser Voraussetzung denkbar, und zwar schon deshalb, weil Staatsangehörige des jeweiligen Mitgliedstaates wegen ihres Inländerstatus weder eines Beschäftigungs- noch eines davon abhängigen Aufenthaltsrechts bedürfen. Dass der Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit bei gleichzeitigem Erwerb der Staatsangehörigkeit des aufnehmenden Mitgliedsstaates die aufgrund der vor der Einbürgerung erfüllten Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 in der Weise unberührt ließe, dass diese bei erneutem Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit automatisch als konstitutive Rechte wiederaufleben, ist dem Beschluss - und hier insbesondere Art. 7 Abs. 2 ARB 1/80 - nicht zu entnehmen. Der Aufenthalt des Vaters des Antragstellers war zum maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht fiktiv erlaubt. Nach § 38 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gilt in den Fällen des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit für das Aufenthaltsgenehmigungsverfahren die Bestimmung des § 81 Abs. 3 AufenthG entsprechend. Dieser Regelung bedurfte es mit Blick darauf, dass es bei einem ehemaligen Deutschen nach Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit gerade an der tatbestandlichen Vorgabe des § 81 Abs. 3 AufenthG - rechtmäßiger Aufenthalt ohne Aufenthaltstitel - fehlt. Die in § 81 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AufenthG geregelte Erlaubnisfiktion tritt zudem, anders als die des § 81 Abs. 4 AufenthG, auch erst ab Antragstellung und nicht etwa rückwirkend mit der Antragstellung bezogen auf den Zeitpunkt des Ablaufs des früheren Aufenthaltstitels - hier bei entsprechender Anwendung: rückwirkend ab Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit - ein. Es drängt sich auch mangels Vergleichbarkeit nicht auf, hier einen Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmen (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 31/03 - BVerwGE 122, 199).

Danach soll ein Ausnahmefall vom Erfordernis des ununterbrochenen achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt dann vorliegen, wenn während dieses Achtjahreszeitraums eine nur kurze und deshalb unbeachtliche Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des achtjährigen Aufenthalts gegeben war, weil ein - unproblematisch positiv zu bescheidender - Verlängerungsantrag um wenige (hier: drei) Tage verspätet gestellt worden war. Der hier zu entscheidende Fall unterscheidet sich hiervon schon insoweit, als es vorliegend gerade an der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des vermittelnden Elternteils im für die Einbürgerung maßgeblichen Bezugszeitpunkt der Geburt fehlt. Im Übrigen stellt sich die Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auch aus der Rückschau nicht als nur kurz dar, denn der die Fiktion des erlaubten Aufenthalts auslösende Verlängerungsantrag datiert erst von April 2005.

Zuletzt ist auch zum Nachteil des Antragstellers zu berücksichtigen, dass der Antrag auch nicht zur Erteilung eines der Aufenthaltsberechtigung oder der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis entsprechenden Aufenthaltstitels geführt hat.