BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 19.10.2006 - 1 B 175.06 - asyl.net: M9193
https://www.asyl.net/rsdb/M9193
Leitsatz:
Schlagwörter: Verfahrensrecht, Verfahrensdauer, Beurteilungszeitpunkt, Entscheidungszeitpunkt, Rechtsweggarantie, grundsätzliche Bedeutung, Revisionsverfahren, Verfahrensmangel
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1; AsylVfG § 77 Abs. 1; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; GG Art. 19 Abs. 4; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Die Beschwerde der Kläger ist unzulässig.

Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, "ob bei überlangen und damit verfassungswidrigen Verfahren als Entscheidungszeitpunkt nach § 77 AsylVfG nicht der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, sondern der Zeitpunkt anzunehmen ist, nach welchem über das Verfahren bei angemessener Dauer entschieden worden wäre."

Dass bei der Beurteilung des Anspruchs auf Abschiebungsschutz nach § 60 AufenthG der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder - bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - der Zeitpunkt, in dem die Entscheidung gefällt wird, maßgeblich ist, ergibt sich unmittelbar aus § 77 Abs. 1 AsylVfG und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Auch nach materiellem Recht kommt es auf die zum Zeitpunkt einer Rückkehr bestehende Verfolgungssituation an. Der Umstand, dass für die Kläger während des Laufs des Gerichtsverfahrens möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt eine günstigere Sachlage bestanden hat, findet danach keine Berücksichtigung. Weder die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) noch Art. 6 Abs. 1 GG verleihen den Klägern einen Anspruch darauf, dass abweichend von der gesetzlichen Bestimmung bei der Prüfung des Abschiebungsschutzes auf einen früheren Zeitpunkt abgestellt wird. Die Beschwerde übersieht zum einen, dass die Kläger aufgrund des mit einem Asylantrag verbundenen vorläufigen Aufenthaltsstatus in dem fraglichen Zeitraum rechtlich und tatsächlich Schutz vor einer drohenden Verfolgung erhalten haben. Zum anderen verkennt sie, dass auch eine zeitnähere Entscheidung im Berufungsverfahren, wenn sie denn zugunsten der Kläger ausgefallen wäre, diesen wegen der Pflicht zum unverzüglichen Widerruf (vgl. § 73 AsylVfG) keine unentziehbare Rechtsposition verschafft hätte (vgl. Beschlüsse vom 30. Mai 2001 - BVerwG 1 B 114.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 246 und vom 8. Mai 2000 - BVerwG 9 B 189.00 - Buchholz 11 Art. 16a GG Nr. 30).

Auch ein noch denkbarer Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), wird mit dem Beschwerdevorbringen weder ausdrücklich geltend gemacht noch schlüssig bezeichnet. Zwar folgt aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG auch, dass Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit zu gewähren ist. Bei Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist aber neben den durch die Verfahrensdauer etwa bedingten Nachteilen vor allem auch zu berücksichtigen, inwieweit der Betroffene durch Betreiben seiner Rechtssache oder auf sonstige Weise auf eine kürzere Verfahrensdauer tatsächlich hingewirkt hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2001 - 2 BvR 2078/00 - juris). Die Beschwerde legt hierzu schon nicht dar, dass die Kläger bereits im Berufungsverfahren auf eine möglichst zügige Bearbeitung gedrängt haben. Im Übrigen zeigt sie - wie oben ausgeführt - auch nicht auf, welche gewichtigen Nachteile den Klägern durch die Verfahrensdauer entstanden sind. Ebenso fehlt es an einem schlüssigen Vortrag im Beschwerdeverfahren dazu, dass den Klägern bis zu einem bestimmten früheren Zeitpunkt, zu dem über die Sache spätestens hätte entschieden werden müssen, ein Anspruch auf Anerkennung zugestanden hätte.