VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 23.01.2007 - AN 3 K 06.30870 - asyl.net: M9810
https://www.asyl.net/rsdb/M9810
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Konversion, Apostasie, Christen, Religion, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Strafverfahren, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, Folgeverfahren, Anerkennungsrichtlinie, Änderung der Rechtslage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 73 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

2. Die zulässige Klage ist im Umfang des in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrags auch begründet.

a) Entgegen der Ansicht des Bundesamtes liegen die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vor.

Vorliegend ist wegen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und der Richtlinie über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EG Nr. L 304/12 vom 30. September 2004), die gemäß ihres Art. 39 am zwanzigsten Tage nach ihrer am 30. September 2004 erfolgten Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten ist, § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG wegen Änderung der Rechtslage einschlägig. Da auch die weiteren Voraussetzungen des § 51 VwVfG erfüllt sind, insbesondere die 3 Monatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG beachtet wurde, ist das Asylverfahren wieder aufzugreifen.

b) Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung eines Abschiebeverbots gem. § 60 Abs. 1 AufenthG.

Zunächst ist insoweit entscheidend, dass das Gericht von der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Konversion der Klägerin zum Christentum ausgeht.

Der Klägerin droht bei Rückkehr in den Iran wegen ihrer Abkehr vom Islam und der Annahme des christlichen Glaubens politische Verfolgung. Nach den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnisquellen und Auskünften hat sie nämlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit staatlichen Zwangsmaßnahmen zu rechnen, wenn sie ihren christlichen Glauben im Iran nach außen erkennbar vertritt, danach lebt und an religiösen Riten im öffentlichen Bereich oder in Gemeinschaft mit anderen teilnimmt.

Dies resultiert jedenfalls daraus, dass die Richtlinie 2004/83/EG mit Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar geltendes Recht und damit von den Gerichten bei der Anwendung und Auslegung des Rechts zu beachten ist. Für § 60 Abs. 1 AufenthG bedeutet dies, dass asylrelevante Eingriffe nunmehr bereits dann anzunehmen sind, wenn die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen und nicht nur im privaten Bereich politische Verfolgung hervorruft. Nach Art. 10 Abs. 1 b) der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten nunmehr bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass der Begriff der Religion insbesondere die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten und öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen und Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf die religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind, umfasst.

Aus den neueren Auskünften (vgl. u.a. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Christen und Christinnen im Iran - Themenpapier vom 18.10.2005, DOI vom 21.6.2005 an das VG Münster sowie zur Frage der Missionierung Sonderbericht des Bundesamtes über die Situation christlicher Religionsgemeinschaften vom Januar 2005) ergibt sich, dass konvertierte Muslime keine öffentlichen christlichen Gottesdienste besuchen können, ohne sich der Gefahr auszusetzen, festgenommen und möglicherweise unter konstruierten Vorwürfen zu Haftstrafen verurteilt zu werden. Dies basiert darauf, dass nach islamischer Grundvorstellung kein Unterschied zwischen Staat und Glaubensgemeinschaft bzw. zwischen Religion und Politik gemacht wird. Die Apostasie ist schlechterdings verboten (vgl. Gutachten DOI an das VG Koblenz vom 15.9.2000) und der Abfall vom "rechten" Glauben stellt damit einen hochverratsähnlichen Angriff auf das Staats- und Gesellschaftssystem dar (vgl. ai, Stellungnahme an das VG Aachen vom 2.2.1999). Auch wenn die Apostasie im iranischen Strafgesetzbuch keine Erwähnung findet, so bleibt jedenfalls für den Betroffenen die Gefahr bestehen, dass er als dem iranischen Staat gegenüber illoyaler Bürger angesehen wird. Die religiöse Toleranz gegenüber den (Buch-)Religionen wie das Christentum endet damit jedenfalls dort, wo diese Religionen durch Missionierung in das muslimische Staatsvolk eindringen. Mittlerweile müssen Mitglieder... Gemeinden Ausweise bei sich tragen. Zusammenkünfte sind nur sonntags erlaubt und die dort Anwesenden werden von Sicherheitskräften durchsucht. Konvertiten müssen, sobald der Übertritt den Behörden bekannt wird, zum Informationsministerium, wo sie scharf verwarnt werden. Genügt dies alles nicht und sollten Konvertiten weiterhin in der Öffentlichkeit durch Besuche von Gottesdiensten oder ähnlichem auffallen, können sie mit Hilfe konstruierter Vorwürfe vor Gericht gestellt werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Christen und Christinnen im Iran vom 18.10.2005). Zwar ging das DOI in seinem Gutachten vom 26. Februar 1999 ebenso wie amnesty international in seinem Gutachten vom 2. Februar 1999 noch davon aus, dass ein in den Iran zurückkehrender Apostat unbehelligt von den iranischen Behörden leben kann, wenn er seine Religionszugehörigkeit verschweigt bzw. leugnet. Unabhängig davon, ob dies nach der Präsidentschaftswahl im Jahr 2005 immer noch angenommen werden kann, kann nunmehr ohnehin davon ausgegangen werden, dass ein Leugnen bzw. Verschweigen der Religionszugehörigkeit dem einzelnen nach der Religionsfreiheit, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 9 Abs. 1 EMRK) verankert ist, nicht zumutbar ist. Folglich geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben nicht ausleben kann und insbesondere nicht an religiösen Riten wie öffentlichen Gottesdiensten teilnehmen kann, ohne dass ihr eine Festnahme oder eine Inhaftierung bevorstehen könnte.