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Zitieren als:
, Bescheid vom 18.12.2006 - 5187070-133 - asyl.net: M9929
https://www.asyl.net/rsdb/M9929
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien, Kosovo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, fachärztliche Stellungnahmen, Glaubwürdigkeit, gesteigertes Vorbringen
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; VwVfG § 51 Abs. 5
Auszüge:

Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG i. V. m. Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 sind im vorliegenden Fall ebenfalls nicht gegeben.

In den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen der behandelnden Ärztin wurde die von ihr diagnostizierte PTBS der Antragstellerin nicht nachvollziehbar dargelegt.

Unabdingbare Voraussetzung für das Vorliegen einer PTBS ist nämlich zunächst das Vorhandensein eines traumatisierenden Ereignisses. Dieses muss explizit eruiert werden. Dazu gehört auch, dass die Schilderungen des Betroffenen nicht ungeprüft als wahr hingenommen, sondern durch den Arzt bzw. Psychologen kritisch hinterfragt werden. Aus den Symptomen allein kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat. Die Symptome der PTBS können nämlich auch ohne stattgehabtes Trauma oder im Rahmen einer anderen Erkrankung geäußert werden (D. Ebert, H. Kindt: Die posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen von Asylverfahren, Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg 2/2004, S. 41 - 45; E. Bittenbinder, Herrschaft und Gewalt: Psychotherapie mit vergewaltigten und gefolterten Frauen, Zeitschrift für politische Psychologie, Jg. 7, 1999, S. 41 ff.; v. Törne, Grundlagen der Begutachtung, Begutachtung schwer traumatisierter Flüchtlinge mit chronifiziertem Beschwerdebild, Therapiezentrum für Folteropfer Köln, 2002, S. 7; A. Maercker, Erscheinungsbild, Erklärungsansätze und Therapieforschung, in: A. Maercker, Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung, 2. Auflage, Berlin ..., 2003, S. 17; P. Bühring, Flutkatastrophe in Südasien: Traumatisierung vorbeugen, Deutsches Ärzteblatt 102, Ausgabe 3, 21.01.2005, S. A-1 05/B-87/C-83; www.panikattacken.at; www.sgipt.org./forpsy/opfer/trauzeug.htm).

Im vorliegenden Fall haben der Ärztin offensichtlich nicht die Unterlagen aus den Asylverfahren der Antragstellerin vorgelegen. Andernfalls hätten der Ärztin nämlich die neuen Widersprüche und Steigerungen in den Aussagen der Antragstellerin ihr gegenüber auffallen müssen und sie hätte die Angaben der Antragstellerin nicht völlig unkritisch übernommen.

Schon im Erstverfahren sind die Angaben der Antragstellerin und ihres Ehemannes vom Bundesamt als unglaubhaft eingestuft worden. Und auch das zuständige VG hat seinerzeit die "wenig wahrscheinliche Behauptung", den Antragstellern drohe eine Verfolgung "wegen einer Verleumdung als mit den Serben zusammenarbeitenden Roma", lediglich als wahr unterstellt.

Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der nunmehr geltend gemachten Asylgründe wird keineswegs verkannt, dass nach extremen Gewalterfahrungen und sexuellen Übergriffen bei den Opfern Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen auftreten können (vgl. A. Birck, Zur Erfüllbarkeit der Anforderungen der Asylanhörung für traumatisierte Flüchtlinge aus psychologischer Sicht, ZAR 1/2000, S. 28 ff; F. Haenel, Zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen, ZAR 1/2003, S. 18 ff; K. Müller, Posttraumatische Belastungsstörung, ASYLMAGAZIN 3/2003, S. 5 ff; W. Treiber, Flüchtlingstraumatisierung im Schnittfeld zwischen Justiz und Medizin, ZAR 8/2002, S. 284; R. Weber, Extremtraumatisierte Flüchtlinge in Deutschland, Campus Verlag 1998, S. 88 f; T. Wolff, Glaubwürdigkeitsbeurteilungen bei traumatisierten Flüchtlingen, ASYLMAGAZIN 7-8/2002, S. 11 ff). Andererseits erleichtert gerade dieser Umstand es Asylbewerbern außerordentlich, psychische Störungen auf Grund unwahrer Erlebnisse geltend zu machen, ohne dass sie nach den herkömmlichen Kriterien für Glaubwürdigkeit (Detailreichtum, Chronologie, Widerspruchsfreiheit) der Lüge überführt werden könnten. Die von Fachärzten verwendeten Fragebögen wie z.B. "Impact of Event Scale-Revised" (IES-R) oder "Posttraumatic Symptom Scale, 10 Items" (PTSS-10), international weit verbreitete und anerkannte klinische Instrumente zur Erhebung spezifischer posttraumatischer Symptome, leisten solchem Verhalten in Asylverfahren Vorschub.