BVerwG

Merkliste
Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 25.07.2000 - BVerwG 9 C 28.99 - asyl.net: R8721
https://www.asyl.net/rsdb/R8721
Leitsatz:

1. Gehen staatliche Aufklärungsmaßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, die ohne konkrete Verdachtsmomente zunächst nur an asylrechtliche Merkmale wie etwa die Volkszugehörigkeit anknüpfen, über das angemessene Maß hinaus, spricht eine Vermutung dafür, dass sie nicht nur der Terrorismusabwehr dienen, sondern auch den Einzelnen wegen seiner asylrechtlichen Merkmale treffen und deshalb politische Verfolgung darstellen (hier: Sri Lanka/LTTE).

2. Der Tatrichter muss daher zur Widerlegung der Vermutung sorgfältig prüfen, ob es besondere Gründe gibt, die es rechtfertigen, solche Eingriffe ausnahmsweise nicht als politische Verfolgung anzusehen. (amtliche Leitzsätze)

Schlagwörter: Sri Lanka, Terrorismusbekämpfung, Tamilen, Bürgerkrieg, LTTE, Verdacht der Mitgliedschaft, Gegenterror, Haft, Folter, Politmalus, Verfolgungsbegriff, Verfolgungszusammenhang
Normen:
Auszüge:

1. Gehen staatliche Aufklärungsmaßnahmen zur Terrorismusbekämpfung, die ohne konkrete Verdachtsmomente zunächst nur an asylrechtliche Merkmale wie etwa die Volkszugehörigkeit anknüpfen, über das angemessene Maß hinaus, spricht eine Vermutung dafür, dass sie nicht nur der Terrorismusabwehr dienen, sondern auch den Einzelnen wegen seiner asylrechtlichen Merkmale treffen und deshalb politische Verfolgung darstellen (hier: Sri Lanka/LTTE).

2. Der Tatrichter muss daher zur Widerlegung der Vermutung sorgfältig prüfen, ob es besondere Gründe gibt, die es rechtfertigen, solche Eingriffe ausnahmsweise nicht als politische Verfolgung anzusehen. (amtliche Leitzsätze)

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht eine asylerhebliche individuelle Vorverfolgung bereits deshalb verneint, weil der Kläger schon vor den beiden Festnahmen zur Ausreise entschlossen gewesen sei und die Festnahmen deshalb nicht fluchtauslösend gewesen seien. Es trifft zwar zu, dass das auf dem Zufluchtgedanken beruhende Asylgrundrecht des Art. 16 a GG und - insoweit deckungsgleich - auch das Recht auf Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung nach § 51 Abs. 1 AuslG jeweils grundsätzlich den Kausalzusammenhang Verfolgung-Flucht-Asyl voraussetzen. Dieser Kausalzusammenhang ist aber nicht schon dann ausgeschlossen, wenn der Asylsuchende vor dem Eintritt eines Verfolgungsgeschehens aus anderen als politischen Gründen im Sinne des Asylrechts zur Ausreise entschlossen war. Es kommt auch nicht darauf an, welche subjektiven Vorstellungen für ihn im Zeitpunkt der Ausreise mehr oder weniger bestimmend waren. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats ist insoweit allein entscheidend, dass die Ausreise sich bei objektiver Betrachtung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als eine unter dem Druck erlittener Verfolgung stattfindende Flucht darstellt. In dieser Hinsicht kommt der zwischen Verfolgung und Ausreise verstrichenen Zeit maßgebliche Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatstaat verbleibt, umso mehr verbraucht sich der objektive äußere Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise. Daher kann schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck erlittener Verfolgung stehenden Flucht verliert. Ein Ausländer ist demnach regelmäßig nur dann als verfolgt ausgereist anzusehen, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der erlittenen Verfolgung verlässt (vgl. z.B. BVerwGE 87, 141 147>). Da der Kläger unmittelbar nach seiner zweiten Freilassung in Colombo ausgereist ist, ist der erforderliche objektive äußere Zusammenhang zwischen (unterstellter) Verfolgung und Ausreise entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ohne weiteres anzunehmen.