VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.11.2010 - 11 S 2475/10 - asyl.net: M17885
https://www.asyl.net/rsdb/M17885
Leitsatz:

Für den unter Berufung auf Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG beantragten einstweiligen Rechtsschutz eines bisher im Bundesgebiet nur geduldeten Ausländers mit dem Ziel, die Abschiebung vorläufig (weiterhin) auszusetzen, ist nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG ein Streitwert in Höhe von 2.500 EUR festzusetzen. Dies entspricht der Hälfte des Auffangwertes, der in der Hauptsache bei einer Klage auf Erteilung einer Duldung in ständiger Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs zugrunde gelegt wird.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Streitwertfestsetzung, Streitwert, Gegenstandswert, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, Duldung, Ermessen, Auffangwert
Normen: GKG § 53 Abs. 2 Nr. 1, GKG § 52 Abs. 1, VwGO § 123, AufenthG § 60a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Oktober 2010 - 6 K 1781/10 - hinsichtlich der Streitwertfestsetzung geändert. Der Streitwert des Verfahrens im ersten Rechtszug wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

Über die Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts für den ersten Rechtszug durch einen Einzelrichter des Verwaltungsgerichts entscheidet auch im zweiten Rechtszug der Einzelrichter (§§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 GKG; vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.06.2006 - 9 S 1148/06 - NVwZ-RR 2006, 648).

Die Beschwerde des Antragstellers, der nach der Ablehnung seines Asylantrags seit Februar 2006 Duldungen aufgrund ungeklärter Staatsangehörigkeit erhielt, ist zulässig (vgl. § 68 Abs. 1 GKG) und begründet. Das Verwaltungsgericht hat für das Begehren des Antragstellers, dem Antragsgegner aufgrund der geltend gemachten psychischen Erkrankung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO seine Abschiebung vorläufig zu untersagen und ihm auch weiterhin eine Duldung zu erteilen, den Streitwert mit 5.000 EUR zu hoch festgesetzt. Für den unter Berufung auf Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 AufenthG beantragten einstweiligen Rechtsschutz eines bisher im Bundesgebiet nur geduldeten Ausländers mit dem Ziel, die Abschiebung vorläufig (weiterhin) auszusetzen, ist nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG ein Streitwert in Höhe von 2.500 EUR festzusetzen (ebenso Senatsbeschluss vom 06.09.2007 - 11 S 1518/07 -; vgl. zur unterschiedlichen Praxis der Gerichte bei der Streitwertfestsetzung in Verfahren zur Aussetzung der Abschiebung GK-AufenthG, § 60a Rn. 293). Dies entspricht der Hälfte des Auffangwertes, der in der Hauptsache bei einer Klage auf Erteilung einer Duldung in ständiger Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs zugrunde gelegt wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 20.07.2010 - 11 S 1504/10 - AuAS, 235; vom 12.02.2009 - 13 S 2863/08 - AuAS 2009, 100; vom 22.03.2007 - 13 S 2404/06 - juris und vom 27.02.2002 - 11 S 2554/01 - AuAS 2002, 101).

Nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Maßgebend für diese Bestimmung ist nicht die subjektive Vorstellung des Antragstellers, sondern eine objektive Beurteilung, wobei allerdings nicht jede denkbare Folgewirkung zu berücksichtigen ist (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.03.2000 - 9 S 411/00 - juris). Ob über den Antrag in der Sache entschieden wird oder ob das Verfahren in anderer Weise - wie im vorliegenden Fall durch übereinstimmende Erledigungserklärung der Beteiligten - endet, ist insoweit für die Bestimmung des Streitwertes irrelevant.

Es entspricht allgemeiner gerichtlicher Spruchpraxis, den Streitwert in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in Ausübung des gesetzlich eingeräumten Ermessens an dem in der Hauptsache anzunehmenden Streitwert zu orientieren und ihn regelmäßig zu halbieren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 06.09.2007 - 11 S 1518/07 - und vom 20.02.2004 - 4 S 2381/03 - NVwZ-RR 2004, 619; OVG Hamburg, Beschluss vom 30.01.1992 - Bs II 137/91 - NVwZ-RR 1993, 108; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, Anh. § 164, Rn. 11 m.w.N.). Dies ist typischerweise im Hinblick auf die Vorläufigkeit des Verfahrens und die damit verbundene - im Vergleich zum Hauptsacheverfahren - geringere Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes für den Antragsteller gerechtfertigt. Dementsprechend empfiehlt der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 07./08.07.2004 (NVwZ 2004, 1327) unter Nr. 1.5 in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Halbierung des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts. Andererseits ist bei einer entsprechend gesteigerten Bedeutung der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz für den Antragsteller der Streitwert im Ermessensweg zu erhöhen. Auch dies sieht der Streitwertkatalog unter Nr. 1.5 vor. Ausgehend hiervon legt der Senat in ständiger Rechtsprechung den Streitwert in aufenthaltsrechtlichen Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach dem Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG fest, wenn nach längerfristigem legalen Aufenthalt die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung verweigert wird und der Ausländer vor abschließender Entscheidung in der Hauptsache ausreisen soll (VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 17.02.2010 - 11 S 283/10 -; vom 14.02.2007 - 13 S 2969/06 - juris; vom 16.12.2004 - 13 S 2510/04 - juris und vom 04.11.1992 - 11 S 2216/92 - juris). Dieser Fall eines gesteigerten Interesses liegt allerdings nicht vor, wenn dem Ausländer bislang kein Aufenthaltstitel im Bundesgebiet erteilt worden war und er nur die vorläufige (weitere) Aussetzung seiner Abschiebung erstrebt. Für die Bewertung des Interesses macht es dabei keinen Unterschied, ob der Antragsteller einstweilen die "Aussetzung der Abschiebung" und/oder die "Erteilung einer Duldung" begehrt. Wie sich § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG entnehmen lässt, ist die Duldung nichts anderes als die durch die Ausländerbehörde in der Form eines Verwaltungsakts verfügte Aussetzung der Abschiebung (GK-AufenthG, § 59 Rn. 179). In der Sache geht es dem Ausländer auch nicht um den Erhalt bzw. die Erweiterung einer bislang nicht oder nicht mehr innegehabten Rechtsposition, sondern um die Sicherung seines Status quo, indem die Vollstreckung seiner Ausreisepflicht vorübergehend (weiterhin) ausgesetzt wird.

Das Begehren des Antragstellers ist auch nicht aus sich heraus auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Eine solche liegt dann vor, wenn die Entscheidung und ihre Folgen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auch nach der Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die vorläufige Aussetzung einer belastenden Maßnahme begehrt wird, die bei entsprechendem Ausgang des Hauptsacheverfahrens wieder in Gang gesetzt wird (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 123 Rn 14). Die im Wege der einstweiligen Anordnung beantragte Aussetzungsentscheidung ist wegen der einer Duldung bereits von Gesetzes wegen immanenten Notwendigkeit der Befristung (näher GK-AufenthG, § 60a Rn 53 f.) selbst ihrerseits auf eine vorläufige befristete Untersagung der Abschiebung gerichtet (zur sachdienlichen Auslegung des Antrags und zum Entscheidungsausspruch GK-AufenthG, § 59 Rn. 183 f.; § 60a Rn. 271 ff., insb. Rn. 274). Deshalb erfolgt die Aussetzung der Abschiebung im Verfahren nach § 123 VwGO regelmäßig nur vorübergehend, d.h. für einen gegenüber der Hauptsache begrenzten Zeitraum. Die Festlegung im Einzelnen steht im Ermessen des Gerichts. Dieses orientiert sich nicht zuletzt an den einer Vollstreckung der Abschiebung derzeit entgegen stehenden konkreten Umstände des Einzelfalls. Die bloße Tatsache, dass die vorübergehende Aussetzung für den vergangenen Zeitraum, in dem die einstweilige Anordnung gegolten hat, als solche nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, macht die vorläufige Regelung weder rechtlich noch faktisch zu einer endgültigen. Die vorläufige Aussetzung bildet vielmehr, sofern die Voraussetzungen für eine stattgebende Eilentscheidung im Übrigen vorliegen, gerade den typischen und vom Gesetzgeber gewollten Regelungsgehalt des vorläufigen Rechtsschutzes gegen belastende Maßnahmen (BVerfG 2. Kammer des 2. Senats>, Beschluss vom 31.03.2003 - 2 BvR 1779/02 - NVwZ 2003, 1112; vgl. auch Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 123 Rn. 104). Die Halbierung des Streitwerts in der vorliegenden Konstellation dient im Übrigen auch dem Interesse des Ausländers an der Erlangung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG. [...]