VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 24.01.2022 - 4 K 461/20 - asyl.net: M30579
https://www.asyl.net/rsdb/m20579-1
Leitsatz:

Identitätsklärung bei Einbürgerung durch Angaben der betroffenen Person:

Ist eine Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit als Voraussetzung für die Einbürgerung anhand von amtlichen Dokumenten und anderen Beweismitteln nicht möglich (hier: Einholung von Negativbescheinigungen nicht zumutbar), so können auch die glaubhaften Angaben der die Einbürgerung beantragenden Person in einer Gesamtbetrachtung berücksichtigt werden, wenn damit die Identität zur Überzeugung des Gerichts feststeht.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf BVerwG, Urteil vom 23.09.2020 - 1 C 36.19 - asyl.net: M29222)

Schlagwörter: Einbürgerung, Identitätsklärung, Staatsangehörigkeit, ungeklärte Staatsangehörigkeit, Staatenlosigkeit, Beweisnot, Beweismittel, Identitätsnachweis, Nachweis, Palästinenser,
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, VwVfG § 26,
Auszüge:

[...]

30 Streitig ist im vorliegenden Fall lediglich, ob die Identität und die Staatsangehörigkeit des Klägers hinreichend geklärt sind. Die Beklagte verneint dies mit Verweis darauf, dass der Kläger seine Identität nicht anhand eines Passes oder eines anerkannten Passersatzes und darüber hinaus seine Staatenlosigkeit nicht anhand von Negativbescheinigung der türkischen, syrischen und libanesischen Botschaft nachgewiesen habe. Er habe auch keine ausreichenden Mitwirkungshandlungen zur Erlangung der im Vorstehenden genannten Nachweise erbracht. Dem tritt die Kammer entgegen.

31 Für Sachverhaltskonstellationen, in denen eine abschließende Aufklärung der Identität eines Einbürgerungsbewerbers nicht durch die Vorlage eines Passes oder eines anerkannten Passersatzes möglich ist, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. September 2020 (Az. 1 C 36/19, juris) einen Lösungsweg entwickelt, um die von der Entscheidung betroffenen öffentlichen Interessen und die Interessen des Einbürgerungsbewerbers in einen angemessenen Ausgleich zueinander zu bringen. Dieser Lösungsweg ist zur Überzeugung der Kammer auch auf Sachverhaltskonstellationen anwendbar, in denen nicht nur die Identität, sondern auch die Staatsangehörigkeit des Einbürgerungsbewerbers ungeklärt ist. [...]

34 2. Im vorliegenden Fall ist eine weitere Aufklärung der Identität und der Staatsangehörigkeit des Klägers unter Berücksichtigung der bereits vom ihm erbrachten Mitwirkungshandlungen nicht zumutbar, weswegen seine Identität und seine Staatsangehörigkeit als hinreichend geklärt anzusehen und folglich die Tatbestandsvoraussetzungen für seine Einbürgerung als erfüllt anzusehen sind: [...]

37 Der Kläger ist – objektiv – nicht in der Lage, sich einen Pass oder einen Passersatz zu beschaffen, weil er nicht im Besitz einer Geburtsurkunde ist. Es bestehen keine Zweifel daran, dass der Kläger über keine Geburtsurkunde verfügt. Diesbezüglich hat er im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage der Kammer glaubhaft erläutert, dass er zu einem ihm nicht bekannten Zeitpunkt im Jahr 1983 in Beirut nicht in einem Krankenhaus, sondern im Hause der Familie zur Welt gekommen sei. Weder sein Vater noch seine Mutter seien damals nach seiner Geburt zu einer staatlichen Stelle gegangen und hätten seine Geburt registrieren lassen, weswegen es auch keine Nachweise über seine Geburt geben könne. Für Zweifel an den Ausführungen des Klägers zu den Umständen seiner Geburt im Jahr 1983 – also während des libanesischen Bürgerkriegs – bestehen nach der Überzeugung der Kammer keine Anhaltspunkte. Vor diesem Hintergrund erscheint es fernliegend, dass irgendein anderer Staat auf der Welt dem Kläger einen Pass oder anerkannten Passersatz erteilen könnte. [...]

39 b. Dem Kläger stehen auch keine (sonstigen) Beweismittel i.S.v. § 26 Abs. 1 BremVwVfG zur Verfügung, die zum Nachweis seiner Identität und seiner Staatsangehörigkeit geeignet wären. [...]

41 Zuletzt ist die Kammer auch davon überzeugt, dass der Kläger seine Identität und seine Staatsangehörigkeit nicht mit Hilfe von Zeugen, etwa seinen Eltern, nachweisen könnte. Zu bedenken ist, dass der Vater des Klägers bereits am … 2010 verstorben ist und somit als Zeuge ausscheidet. Auch die Mutter des Klägers könnte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts zur Aufklärung der Identität und der Staatsangehörigkeit beitragen. Der Kläger gab auf Nachfrage der Kammer an, seine Mutter sei Analphabetin und eine eher einfach gestrickte Person. Sie hätte sich niemals um behördliche Angelegenheiten, sondern ausschließlich um die Betreuung der (zuletzt) 13 Kinder und um die Haushaltsführung gekümmert, weswegen sie früher so gut wie nie das Haus verlassen hätte. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Einschätzung des Klägers, dass eine Vernehmung seiner Mutter als Zeugin nicht der Aufklärung seiner Identität und seiner Staatsangehörigkeit dienen würde, zu zweifeln. [...]

43 c. Die Angaben des Klägers zu seiner Identität und seiner Staatsangehörigkeit (..., geboren am ... in Beirut im Libanon, staatenlos), die er im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens gemacht hat, stehen sodann zur Überzeugung der Kammer unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls und insbesondere auch auf Grund des Eindrucks, den die Kammer vom Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung erlangt hat, fest.

44 aa. Die von der Beklagtenseite hervorgehobenen Umstände, dass der Kläger mit seiner Familie im Jahr 1985 mit gefälschten Dokumenten in das Bundesgebiet eingereist sei und auch erhebliche Zweifel am Geburtsdatum des Klägers bestünden, begründen nach der Überzeugung der Kammer keine Zweifel an der festgestellten Identität des Klägers. [...]

47 bb. Sofern von Beklagtenseite die Auffassung vertreten wird, es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die syrische, irakische, türkische oder die libanesische Staatsangehörigkeit besitzt, so kann dem nur teilweise, bezogen auf die Anhaltspunkte für eine etwaige libanesische Staatsangehörigkeit, gefolgt werden. [...]

51 cc. Zuletzt bleibt festzuhalten, dass der Kläger auf Basis der der Kammer im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorliegenden Informationen auch nicht die libanesische Staatsangehörigkeit durch seine Geburt in Beirut erworben hat. [...]

53 Darüber hinaus hat der Kläger auch die ihm zumutbaren Mitwirkungshandlungen erbracht, um einen Nachweis von der libanesischen Botschaft über seine Staatenlosigkeit (eine Negativbescheinigung) aufgrund seiner palästinensischen Volkszugehörigkeit (die durch die Bestätigung der Generaldelegation Palästina vom … 2007 feststeht) zu erhalten. [...]

54 Damit ist es ihm einerseits unmöglich, eine Negativbescheinigung von der libanesischen Botschaft darüber zu erlangen, dass er nicht die libanesische Staatsangehörigkeit besitzt. Andererseits ist es ihm auch nicht zumutbar, seinen Wohnsitz nach Palästina zu verlegen und sich in den Gebieten dort registrieren zu lassen, nur um ein palästinensisches Ausweispapier zu erhalten, damit er bei der libanesischen Botschaft in Deutschland eine Negativbescheinigung über seine nicht bestehende libanesische Staatsangehörigkeit zu bekommen, für deren Bestehen ohnehin keine zureichenden Anhaltspunkte ersichtlich sind. {...]