VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 12.09.2013 - 15 L 164.13 - asyl.net: M21208
https://www.asyl.net/rsdb/M21208
Leitsatz:

Die Rechte aus Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 erlöschen auch nicht bei einer Arbeitslosigkeit von 19 Monaten, da dies nach vierjähriger Beschäftigung noch keine unangemessen lange Zeit der Arbeitssuche darstellt.

Schlagwörter: Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Assoziationsberechtigte, türkische Staatsangehörige, Türkischer Arbeitnehmer, Aufenthaltsrecht, Arbeitslosigkeit, tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt, Arbeitssuche, EuGH, Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt,
Normen: ARB 1/80 Art. 6 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist auch gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO begründet. Das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse, weil erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen. Durch die vom Antragsteller ausgeübte ordnungsgemäße Beschäftigung vom 1. August 2006 bis zum 6. Juni 2011 ist ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 entstanden. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners dürfte dieses Recht durch die Zeit der Arbeitslosigkeit vom 7. Juni 2011 bis zum 31. Dezember 2012 nicht erloschen sein. Der Europäische Gerichtshof hat mehrfach betont, dass ein Arbeitnehmer, der die Rechte aus Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 erworben hat, sein Arbeitsverhältnis vorübergehend unterbrechen kann und dennoch für den Zeitraum, der angemessen ist, um eine andere Beschäftigung zu finden, weiterhin dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates angehört (u.a. Urteil vom 7. Juli 2005 - C-383/03 -, Dogan, juris). Da der EuGH in dem genannten Urteil auch in einer mehrjährigen Haftstrafe kein endgültiges Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt sah, kann auch die hier in Rede stehende Zeitspanne der Arbeitslosigkeit von fast neunzehn Monaten noch als vorübergehende Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses angesehen werden. Es dürfte auch davon auszugehen sein, dass diese Zeitspanne, während derer der Antragsteller zudem fast durchgehend als arbeitsbereit bei der Arbeitsagentur registriert war, für einen Arbeitnehmer, der nach mehr als vierjähriger Beschäftigung über die höchste Verfestigungsstufe des Rechts aus Art. 6 ARB 1/80 verfügt, noch keine unangemessen lange Zeit der Arbeitssuche darstellt. Die Annahme des Antragsgegners, regelmäßig seien nur sechs Monate für die Arbeitsplatzsuche angemessen, geht offensichtlich auf die Entscheidung des EuGH vom 26. Februar 1991 (C-292/89 -, Antonissen, juris) zurück, wird jedoch durch dieses Urteil nicht gedeckt. Denn der EuGH hatte damals lediglich ausgesprochen, dass ein Mitgliedstaat ohne Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht regeln kann, dass ein zur Stellensuche eingereister Arbeitnehmer nach sechs Monaten das Land wieder verlassen muss, wenn er bis dahin keine Stelle gefunden hat. Diese entschiedene Konstellation ist nicht vergleichbar mit der hier gegebenen eines langjährig ununterbrochen beschäftigten Arbeitnehmers. [...]