VG Ansbach

Merkliste
Zitieren als:
VG Ansbach, Beschluss vom 18.01.2016 - 5 S 15.02439 - asyl.net: M23544
https://www.asyl.net/rsdb/M23544
Leitsatz:

Wird eine Klage im Prozess durch den noch vertretenden Rechtsanwalt missbräuchlich zurückgenommen, so gelten die Regeln zum Vertretungsmissbrauch im privaten Rechtsverkehr entsprechend. Der Vertretene ist gegen einen erkennbaren Missbrauch der Vertretungsmacht im Verhältnis zum Vertragspartner (nur) unter besonderen Voraussetzungen geschützt. Voraussetzung ist nämlich, dass beim Vertragspartner begründete Zweifel entstehen mussten, ob nicht ein Treuverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliege. Notwendig ist dabei eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs (vgl. etwa BGH, U.v. 25.10.1994 - XI ZR 239/93 - juris, m.w.N.).

Schlagwörter: Klagerücknahme, Prozessvollmacht, Vertretungsmissbrauch, objektive Evidenz, Vollmachtsmissbrauch, Prozessbevollmächtigte, Wirksamkeit, Einstellung, Einstellungsbeschluss, Treuverstoß,
Normen:
Auszüge:

[...]

Wie zwischen den Parteien zu Recht unstrittig ist, handelt es sich bei einer Klagerücknahmeerklärung um eine Prozesshandlung, die grundsätzlich nicht widerrufen oder angefochten werden kann. Der Einwand von Rechtsanwalt E., Bevollmächtigter des Antragstellers im vorliegenden Verfahren, Rechtsanwalt H. habe mit der Abgabe der Klagerücknahmeerklärung ohne vorherige Rücksprache mit seinem Mandanten die ihm erteilte Prozessvollmacht "offenbar rechtsmissbräuchlich" verwendet, weswegen der Antragsteller an die Klagerücknahmeerklärung nicht gebunden sei, greift hier nicht durch.

Nach langjähriger ständiger Rechtsprechung des BGH zum Vertretungsmissbrauch im privatrechtlichen Rechtsverkehr ist der Vertretene gegen einen erkennbaren Missbrauch der Vertretungsmacht im Verhältnis zum Vertragspartner (nur) unter besonderen Voraussetzungen geschützt. Voraussetzung ist nämlich, dass beim Vertragspartner begründete Zweifel entstehen mussten, ob nicht ein Treuverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliege. Notwendig sei dabei eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs (vgl. etwa BGH, U.v. 25.10.1994 - XI ZR 239/93 - juris, m.w.N.). Diese zum Privatrech

entwickelten Grundsätze mögen auf die Prozessvertretung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren übertragbar sein (vgl. für das finanzgerichtliche Verfahren: BFH, B.v. 13.6.1996 - III B 23/95 - juris). Ebenso wie eine Privatperson, die bei dem sich aufdrängenden Verdacht eines Vollmachtsmissbrauchs beim Vertretenen Rücksprache nehmen müsse, habe sich - so der BFH a.a.O. - im Prozess das Gericht in Verdachtsfällen über das Vertretungsverhältnis zu vergewissern und die Vorlage einer neuen, vom Kläger selbst auf das konkrete gerichtliche Verfahren bezogenen Vollmacht zu verlangen.

Evidente Indizien für einen Vollmachtsmissbrauch bzw. eine Vollmachtüberschreitung im vorgenannten Sinne durch Rechtsanwalt H. bei Abgabe der Klagerücknahmeerklärung bestanden für das Gericht jedoch nicht, es bestand auch im Rahmen der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts kein sich diesem aufdrängender Anlass, sich über das Fortstehen der Prozessvollmacht für Rechtsanwalt H. zu vergewissern.

Die Rücknahme einer Klage nach Ablehnung eines zugehörigen einstweiligen Rechtsschutzbegehrens in zwei gerichtlichen Instanzen, so dass kein weiteres ordentliches Rechtmittel mehr gegeben ist, stellt keineswegs einen ungewöhnlichen Vorgang in der gerichtlichen Praxis dar. Anhaltspunkte dafür, dass dies im vorliegenden Fall vom Gericht ausnahmsweise anders gesehen hätte werden müssen, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Von dem Verhalten des Antragstellers gegenüber der Ausländerbehörde, wie es im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 29. Dezember 2015 im vorliegenden Eilverfahren geschildert worden ist, hatte das Gericht im Klageverfahren keine Kenntnis, zumal der Einstellungsbeschluss dort bereits am 15. Dezember 2015 ergangen ist. Darüber hinaus würde auch dieser Vortrag, selbst wenn er dem Gericht im Zeitpunkt des Erlasses des Einstellungsbeschlusses vom 15. Dezember 2015 bekannt gewesen wäre, keinen Anlass für eine andere Betrachtungsweise bieten. [...]