VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 05.08.2015 - 10 B 15.429 - asyl.net: M23607
https://www.asyl.net/rsdb/M23607
Leitsatz:

Für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG ist der dreijährige Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erforderlich.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Niederlassungserlaubnis, Familiennachzug, Kindernachzug, Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, familiäre Lebensgemeinschaft, Familiennachzug zu Deutschen, Kindernachzug zu Deutschen,
Normen: AufenthG § 28 Abs. 2, AufnthG § 28 Abs. 1 S. 1,
Auszüge:

[...]

1.1. Auch wenn § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nur vom Besitz einer Aufenthaltserlaubnis spricht, so lässt schon der weitere Wortlaut der Vorschrift den Rückschluss darauf zu, dass die Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zum Familiennachzug zu einem Deutschen erteilt worden sein muss. Denn § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt neben dem dreijährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht. Aus dem Wort "fortbesteht" ergibt sich, dass in dem Zeitraum, in dem der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besessen hat, auch schon eine familiäre Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen bestanden haben muss. Wird jedoch einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, um mit einem Deutschen in familiärer Lebensgemeinschaft zu leben, so erfolgt dies grundsätzlich nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Diese Vorschrift verdrängt als lex specialis für den Familiennachzug zu Deutschen die Vorschriften über die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zum Familiennachzug zu Ausländern (vgl. z.B. Tewocht in Kluth/Heusch, Beck´scher Online Kommentar, AuslR, Stand: 1.5.2015, AufenthG, § 28 Überblick). Denn § 28 Abs. 1 Satz 2 ff. AufenthG enthält eine Reihe von Privilegierungen für den Familiennachzug von Ausländern zu deutschen Staatsangehörigen.

1.2. Zudem sprechen die formelle Einbettung der Regelung des § 28 AufenthG in den Normenkomplex, ihre Stellung im Gesetz und die amtliche Überschrift dafür, dass § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG den dreijährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG voraussetzt. Eine Aufenthaltserlaubnis wird zu den im Aufenthaltsgesetz in den einzelnen Abschnitten genannten Aufenthaltszwecken erteilt (§ 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). In jedem einzelnen Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes ist in der Überschrift der Aufenthaltszweck für den in dem betreffenden Abschnitt geregelten Aufenthaltstitel genannt. Die allgemeinen Vorschriften, die für alle Aufenthaltstitel gelten, soweit in den einzelnen Abschnitten keine besonderen Regelungen enthalten sind, befinden sich in Kapitel 2 Abschnitt 1. In diesem Abschnitt sind auch die Erteilungsvoraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis geregelt (§ 9 Abs. 2 AufenthG). § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG differenziert daher auch bei dem hier erforderlichen fünfjährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nicht, zu welchem Zweck die Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist. Neben der allgemeinen Regelung in § 9 Abs. 2 AufenthG finden sich in den einzelnen Abschnitten des Aufenthaltsgesetzes besondere Regelungen über die Erteilung von Niederlassungserlaubnissen. So treffen § 26 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG Sonderregelungen für Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG bzw. dem 5. Abschnitt des AufenthG sind. Eine Sonderregelung findet sich zudem in § 35 Abs. 1 AufenthG für minderjährige Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach dem 6. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes sind. Den Bestimmungen in § 26 Abs. 3 und 4 AufenthG und § 35 Abs. 1 AufenthG ist gemeinsam, dass sie am Ende des jeweiligen Abschnittes des Aufenthaltsgesetzes, der den Aufenthaltszweck bestimmt, stehen und somit für die in diesem Abschnitt geregelten Arten von Aufenthaltserlaubnissen gelten. Bei der Regelung in § 28 Abs. 2 AufenthG trifft dies nicht zu. Sie ist Bestandteil der (Sonder-)Vorschrift, die ausschließlich den Zweck dieser Aufenthaltserlaubnis, nämlich den Familiennachzug zu Deutschen, regelt. Auch die systematische Stellung des § 28 Abs. 2 AufenthG spricht somit dafür, dass sich diese Vorschrift nur auf die in § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG geregelten Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug zu Deutschen bezieht und nicht etwa für alle im Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes angeführten Familiennachzugsvorschriften gilt.

1.3. Die aus dem Wortlaut und der Systematik gewonnene Auslegung des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach eine Aufenthaltserlaubnis im Sinne dieser Vorschrift eine solche nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist, wird auch durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. In der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung der Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungesetz) findet sich zu § 28 AufenthG bezüglich der Absätze 1 und 2 der Hinweis, dass diese Vorschrift weitgehend § 23 AuslG 1990 entspreche (BT-Drs. 15/420 S. 81). § 23 AuslG 1990 regelte die Erteilung von befristeten Aufenthaltserlaubnissen an ausländische Familienangehörige Deutscher und entspricht folglich der nunmehr in § 28 Abs. 1 AufenthG getroffenen Regelung. § 24 Abs. 1 AuslG 1990 enthielt die Bestimmung zur Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und zwar unabhängig davon, zu welchem Zweck die ursprüngliche Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war (diese Bestimmung wird im AufenthG durch § 9 AufenthG ersetzt, BT-Drs. 15/420 S. 72). Eine dem § 28 Abs. 2 AufenthG in etwa entsprechende Regelung - allerdings beschränkt auf Ehegatten - findet sich in § 25 Abs. 3 AuslG 1990. Folglich ist für die Auslegung des § 28 Abs. 2 AufenthG auf die gesetzgeberische Intention beim Erlass von § 25 Abs. 3 1990 AuslG abzustellen. Die Gesetzesbegründung selbst (BT-Drs. 11/6321) trifft insoweit keine Aussage. Allerdings ergibt sich aus der Formulierung des § 25 Abs. 3 AuslG 1990, wonach die dem Ehegatten eines Deutschen erteilte Aufenthaltserlaubnis in der Regel nach drei Jahren unbefristet zu verlängern ist, dass es sich hierbei um eine Aufenthaltserlaubnis handeln muss, die dem Ausländer zur Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen erteilt worden ist. Dies entspricht auch Nr. 25.3.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz (Bundesanzeiger v. 6.10.2000 S. 93), wonach die erforderliche dreijährige Frist mit der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 nach der Eheschließung mit dem Deutschen oder, soweit der Ausländer im Besitz einer anderen Aufenthaltserlaubnis ist, zu dem eitpunkt beginnt, in dem er die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 erfüllt hat. Vorherige Zeiten des Besitzes einer aus anderen Gründen erteilten Aufenthaltserlaubnis könnten nur nach § 24 AuslG 1990 berücksichtigt werden (vgl. auch Kanein/Renner, AuslR, 5. Aufl. 1992, § 25 Rn. 8; Renner, AuslR, 5. Aufl. 1992, § 25 Rn. 9). Die Bestimmung des § 25 Abs. 3 AuslG 1990 für die unbefristete Aufenthaltserlaubnis für Ehegatten von Deutschen ist in die Regelung des § 28 Abs. 2 AufenthG übernommen worden. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber bei Neuregelung des unbefristeten Aufenthaltsrechts der Ehegatten/Familienangehörigen von Deutschen von seiner bisherigen Auffassung, dass es sich bei der Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 25 Abs. 3 Satz 1 AuslG 1990 um eine solche nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 handeln müsse, abweichen wollte. Für die unbefristete Aufenthaltserlaubnis minderjähriger Kinder findet sich eine entsprechende Sonderregelung für den Familiennachzug zu deutschen Staatsangehörigen im AuslG 1990 nicht. Mit § 28 Abs. 2 AufenthG ist somit erstmals eine Privilegierungsregelung für nahe Familienangehörige deutscher Staatsangehöriger geschaffen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber minderjährige Kinder über die Verkürzung der Frist für den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis hinaus dergestalt privilegieren wollte, dass auch der dreijährige Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die nicht zum Zweck des Familiennachzugs zu Deutschen erteilt worden ist, für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ausreicht, wenn andererseits beim Ehegattennachzug weiter erforderlich sein soll, dass die Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug zu einem Deutschen erteilt worden ist.

1.4 Auch die teleologische Auslegung des § 28 Abs. 2 AufenthG führt zu dem Ergebnis, dass die in § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG genannte Aufenthaltserlaubnis eine solche nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist. Der Gesetzgeber hat mit § 28 AufenthG im Bereich des Familiennachzugs eine Sonderregelung für Familienangehörige deutscher Staatsangehöriger getroffen. Sowohl die Gesetzesbegründungen zu § 23 AuslG 1990 (BT-Drs. 11/6321 S. 63) als auch zu § 28 AufenthG (BT-Drs. 15/420 S. 81) gehen davon aus, dass diese Regelung berücksichtige, dass Deutschen das Grundrecht auf Freizügigkeit im Bundesgebiet zustehe und ihr Interesse an der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet besonders geschützt sei und deshalb den ausländischen Ehegatten und minderjährigen ledigen Kindern von Deutschen sowie ausländischen Elternteilen minderjähriger Deutscher ohne weitere Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zustehe. Diese Privilegierung setzt sich bei der Erteilung der Niederlassungserlaubnis bzw. der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis insoweit fort, als der nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bzw. § 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 erforderliche Besitz einer Aufenthaltserlaubnis seit fünf Jahren bei Familienangehörigen von deutschen Staatsangehörigen auf drei Jahre reduziert wird. Grund dieser Privilegierung ist die Annahme des Gesetzgebers, dass durch die familiäre Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen eine positive Integrationsprognose antizipiert und die soziale und wirtschaftliche Integration daher zu einem früheren Zeitpunkt als nach den Regelvoraussetzungen nach § 9 AufenthG angenommen werden kann (Nr. 28.2.3 VwV-AufenthG). Der Gesetzgeber geht folglich davon aus, dass bei Ausländern, die mit Deutschen zusammenleben, bereits nach drei Jahren eine hinreichende Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse erreicht ist, die bei Ausländern, die mit ausländischen Staatsangehörigen zusammenleben, erst nach fünf Jahren und den zusätzlich in § 9 Abs. 2 Satz 1 AufentG angeführten Erteilungsvoraussetzungen erreicht wird (vgl. auch Marx in Gemeinschaftskommentar AufenthG, Stand: März 2015, § 28 Rn. 248; Hailbronner, AuslR, Stand: April 2014, AufenthG, § 28 Rn. 40; Tewocht in Kluth/Heusch, Beck´scher Online Kommentar, AuslR, Stand: 1.5.2015, AufenthG, § 28 Rn. 30). Die gesetzgeberische Integrationsprognose findet ihre Rechtfertigung darin, dass es dem Ausländer allein durch das Zusammenleben mit einem Deutschen leichter möglich ist, die deutsche Sprache zu erlernen und im gesellschaftlichen und beruflichen Leben zu Recht zu kommen. Zudem manifestiert sich durch die Familienzusammenführung mit einem deutschen Staatsangehörigen, dass eine Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland während der Dauer der familiären Lebensgemeinschaft voraussichtlich nicht stattfinden wird, so dass er sich zwangsläufig verstärkt um eine Integration bemühen wird. Die vom Verwaltungsgericht Augsburg unter Berufung auf das Verwaltungsgerichts Stuttgart (B.v. 2.11.2010 - 11 K 437/9 - juris Rn. 9 f.) vertretene Auffassung, wonach es ausreichend sei, wenn der ausländische Familienangehörige des Stammberechtigten bereits drei Jahre überhaupt eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug besessen habe, unabhängig davon, ob diese Aufenthaltserlaubnis seinerzeit zum Familiennachzug zu einem Ausländer oder aber zum Familiennachzug zu einem Deutschen erteilt worden sei, teilt der Senat nicht. Gesetzgeberisches Motiv für die Verkürzung der Zeit des Besitzes der Aufenthaltserlaubnis auf drei Jahre in § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist nicht die Vermutung, dass derjenige Ausländer, der mit einem deutschen Familienangehörigen künftig in familiärer Lebensgemeinschaft leben wird, die erforderliche Integration mit ziemlicher Sicherheit noch erlangen werde, so dass die Erteilung der Niederlassungserlaubnis auch schon vor einem abgeschlossenen Integrationsverlauf hinnehmbar erscheint. Würde man dieser Meinung folgen, so könnte ein Ausländer, dessen Familienangehöriger erst kurz vor der Entscheidung über den Antrag auf Niederlassungserlaubnis die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt hat und der im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu diesem Familienangehörigen war, eine Niederlassungserlaubnis erlangen, obwohl er nicht drei Jahre mit einem deutschen Staatsangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt hat. Damit ginge die gesetzgeberische Motivation für die Verkürzung der Frist für den Besitz der Aufenthaltserlaubnis, dass nämlich derjenige, der bereits mit einem Deutschen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, sich schneller als die anderen Ausländer integriert, ins Leere. Zudem würde die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass derjenige, der mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet lebt, die erforderliche Integration sicher erlangen werde, nicht eintreten, wenn sich der Ausländer nach Erteilung der Niederlassungserlaubnis von seinem deutschen Ehepartner trennt. Die antizipierte Integrationsprognose ist folglich dahingehend zu verstehen, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass nach einem dreijährigen Zusammenleben mit einem deutschen Staatsangehörigen eine soziale und wirtschaftliche Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik erfolgt ist, die es rechtfertigt, den Aufenthaltsstatus des Ausländers zu verfestigen. Für diese Auffassung spricht letztendlich auch, dass die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG einen fünfjährigen gesicherten, rechtmäßigen Aufenthalt voraussetzt, weil erst dann von einer Verwurzelung des Ausländers in die hiesigen Lebensverhältnisse auszugehen ist (vgl. Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, AufenthG, § 9 Rn. 27) und die Niederlassungserlaubnis somit die in der Vergangenheit erbrachte Integrationsleistung belohnt. Es ist auch nicht ausreichend, dass der Stammberechtigte während des Zeitraums, in dem der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug besaß, alle Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt hat, weil es nämlich bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Einbürgerungsberechtigte endgültig aus seiner ursprünglichen Staatsangehörigkeit entlassen worden ist, an dem finalen Element, dass das Zusammenleben der Familienangehörigen auf einen endgültigen Verbleib in Deutschland ausgerichtet wird, fehlt. [...]