VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Beschluss vom 13.09.2017 - 7 K 11634/17 - asyl.net: M25650
https://www.asyl.net/rsdb/M25650
Leitsatz:

Keine Ausbildungsduldung wegen Umgehung des Ausschlusstatbestandes des § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG durch Rücknahme des Asylantrages:

1. Wird ein Asylantrag vor Abschluss des Verfahrens durch die antragstellende Person zurückgenommen, kann darin eine Umgehung des Ausschlusstatbestandes des § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG liegen, die dazu führt, dass das Ermessen der Ausländerbehörde für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gemäß § 4 Abs. 2 S. 3 AufenthG nicht auf Null reduziert ist.

2. Für den maßgeblichen Zeitpunkt im Rahmen des § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG kommt es nicht auf das Asylgesuch, sondern auf den förmlichen Asylantrag beim Bundesamt an (sich anschließend an VG Karlsruhe, Beschluss vom 30.06.2017 - 7 K 8819/17 - asyl.net: M25356; entspricht OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.12.2016 - 8 ME 183/16 - asyl.net: M24674).

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Beschäftigungserlaubnis, Arbeitsgenehmigung, Rücknahme, Asylantrag, Duldung, Ermessen, Asylgesuch, Ermessensreduzierung auf Null, sichere Herkunftsstaaten, sicheres Herkunftsland, sicherer Herkunftsstaat,
Normen: AufenthG 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3, AufenthG § 4 Abs. 2 S. 3, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4,
Auszüge:

[...]

6 [...] Gemäß § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG darf einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31.08.2015 gestellter Asylantrag abgelehnt wurde.

7 Nach diesen Maßstäben hat der Antragsteller aller Voraussicht nach keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Sätze 3 und 4 AufenthG für die von ihm zum 01.08.2017 beabsichtigte Berufsausbildung zum Hotelfachmann. [...]

8 Der Antragsteller dürfte aber das ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht erfüllen, welches erfordert, dass die Ausbildung nach Maßgabe der zu beachtenden aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen rechtmäßig erfolgen muss (OVG Lüneburg, Beschluss vom 09.12.2016 - 8 ME 184/16 -, juris mit Verweis auf VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.10.2016 - 11 S 1991/16 -, juris; Bayerischer VGH, Beschluss vom 24.04.2017 - 19 CE 17.619 -, juris; Hessischer VGH, Beschluss vom 21.04.2017 - 3 B 826/17, 3 D 828/17 -, juris). Damit setzt die Gewährung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 32 Abs. 1 BeschV voraus, über welche die Ausländerbehörde nach Ermessen entscheidet (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 21.04.2017, a.a.O.) Auch wenn es sich bei dem Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG um eine gebundene Entscheidung handelt, folgt weder aus dem Wortlaut dieser Regelung noch aus der Gesetzesbegründung, dass die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für eine Berufsausbildung nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG i. V. m. § 32 Abs. 1 BeschV nicht erforderlich wäre. Vielmehr ist gemäß § 4 Abs. 2 AufenthG für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich ein Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 AufenthG erforderlich, über den der Antragsteller zweifelsfrei nicht verfügt. [...]

9 Über die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis hat die Ausländerbehörde nach Ermessen zu entscheiden, wobei der Antragsteller im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis und damit eine Ermessensreduzierung auf Null darzulegen hat. Dies hat der Antragsteller nicht vermocht. Wenn die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG vorliegen, ist zwar das Ermessen der Behörde in Bezug auf die Beschäftigungserlaubnis in der Regel zu Gunsten des Ausländers weitgehend reduziert, um den Anspruch des Ausländers auf Duldungserteilung nach § 60a Abs. 4 AufenthG nicht leerlaufen zu lassen. Gleichwohl ist das Ermessen auch in diesem Fall nicht automatisch auf Null reduziert, vielmehr können im Einzelfall auch weitere Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Dazu zählt zum einen die vorsätzliche Verletzung der Passbeschaffungspflicht, wenn dies wegen fehlender Kausalität nicht den Ausschlusstatbestand des § 60a Absatz 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG begründet (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.04.2007 - 7 A 10108/07 -, juris). Zum anderen betrifft dies Fälle, in denen Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten ihren Asylantrag nachweislich nach dem 31.08.2015 gestellt haben, diesen jedoch vor Ablehnung durch das Bundesamt zurücknehmen, denn ein solcher Sachverhalt kann als Umgehung der vorgesehenen Verfahren zur Erlangung einer Duldung zu Ausbildungszwecken zu bewerten sein (vgl. Teil IV der Allgemeine Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zur Duldungserteilung nach § 60a Aufenthaltsgesetz vom 30.05.2017). Insbesondere, wenn die Rücknahme des Asylantrags erfolgt, weil absehbar ist, dass eine ablehnende Entscheidung wegen offensichtlicher Unbegründetheit des Antrags ergehen wird, kann dies ein Indiz dafür sein, dass die Rücknahme auch mit dem Ziel erfolgte, den Versagungsgrund nach § 60a Absatz 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht zu erfüllen. Denn in diesen Fällen wird durch die Berufung auf § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG genau das Gegenteil der gesetzgeberischen Wertung angestrebt (Kluth/Heusch, BeckOK, Stand 01.05.2017, § 60a AufenthG, RdNr. 28). 10 Im vorliegenden Fall dürfte der Antragsgegner die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis unter Berufung auf die beiden erwähnten Gesichtspunkte ermessensfehlerfrei abgelehnt haben. Zum einen ist der Antragsteller unstreitig bis heute seiner Passbeschaffungspflicht aus § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG nicht nachgekommen. [...] Zum anderen hat er das Indiz, dass seine Rücknahme des Asylantrags (auch) dazu dienen sollte, die Erfüllung des Ausschlusstatbestandes in § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu umgehen, nicht erschüttern können. [...]

11 Aller Voraussicht nach ist entgegen der Ansicht des Antragstellers hierfür unerheblich, dass der Antragsteller zusammen mit seinen Eltern und seinen ebenfalls minderjährigen Geschwistern nach eigenen Angaben bereits am 16.10.2014 in das Bundesgebiet eingereist ist und von seinen Eltern bereits am Folgetag als asylsuchend gemeldet wurde. [...] Nach dem klaren Wortlaut des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG genügt es indes nicht, dass ein Asylantrag in diesem Sinne vorliegt (sog. Asylgesuch, vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.12.1997 - BVerwG 1 B 219.97 -, juris). Der Asylantrag muss vielmehr auch "gestellt" worden sein (sog. Asylantrag im engeren Sinne, vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.12.1997, a.a.O.). [...]

12 Eine andere Bewertung ergibt sich aller Voraussicht nach auch nicht aus dem Umstand, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insbesondere im Jahr 2015 nicht in der Lage war, Asylanträge zeitnah entgegenzunehmen, und potenzielle Asylantragsteller wie der Antragsteller und seine Familienangehörigen regelmäßig mehrmonatige Wartezeiten in Kauf nehmen mussten, um ihren Asylantrag stellen zu können. Aus diesen Umständen folgt nicht, dass entgegen dem Wortlaut des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auf den Zeitpunkt des Asylgesuchs statt auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen wäre (VG Karlsruhe, Beschluss vom 30.06.2017 - 7 K 8819/17 -, juris).

13 Der Gesetzgeber war sich dieser tatsächlichen Situation bewusst und hat an anderer Stelle entsprechende Übergangsregelungen getroffen. [...]

14 Auch die Interessen der Betroffenen rechtfertigen kein abweichendes Normverständnis. Zwar hatten diese auf die bis in das Jahr 2016 hineinreichenden Verzögerungen für die Stellung ihres förmlichen Asylantrags keinerlei Einfluss. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie im Rahmen des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG so zu stellen wären, als hätten sie zum Zeitpunkt ihrer Registrierung in der Erstaufnahmeeinrichtung auch einen förmlichen Asylantrag gestellt. Stichtagsregelungen wohnen regelmäßig unvermeidbar gewisse Härten inne. [...]

15 Der Antragsgegner dürfte schließlich zu Recht und damit ermessensfehlerfrei davon ausgegangen sein, dass der Antragssteller seinen Asylantrag zumindest auch deshalb zurückgenommen hat, um den ansonsten von ihm verwirklichten Ausschlusstatbestand des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu umgehen. Denn der Antragsteller hat selbst vorgetragen, dass er "aufgrund der offensichtlichen Erfolglosigkeit seines persönlichen Antrags das Asylverfahren bereits im Mai zurückgenommen" hat. [...]

16 Ist nach alledem ein Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht gegeben, kommt eine Duldung im Wege des Ermessens zum Zwecke der Berufsausbildung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG schon deshalb nicht in Betracht, da für die zur Aufnahme der Berufsausbildung erforderliche Beschäftigungserlaubnis ebenfalls der Versagungsgrund nach § 60a Abs. Abs. 7 Satz 1 Nr. 3
AufenthG greift. [...]