VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Beschluss vom 17.11.2017 - 5 B 6203/17 - asyl.net: M25661
https://www.asyl.net/rsdb/M25661
Leitsatz:

1. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen fehlerhaft ergangene Abschiebungsandrohung, da für den Fall der Ablehnung eines Folgeantrags nach § 71 AsylG vorrangig der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG vorgesehen ist. Nur wenn eine Abschiebungsanordnung nicht ergehen kann, ist der Erlass einer Abschiebungsandrohung nach Prüfung zulässig. Unterlässt das Bundesamt eine solche Prüfung, ist der Bescheid schon allein aus diesem Grund rechtswidrig, da er die Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Person unzulässig einschränkt. 

2. Darüber hinaus ist der Bescheid auch wegen der fehlerhaft bestimmten Ausreisefrist von einer Woche rechtswidrig, da nach § 38 AsylG eine Ausreisefrist von 30 Tagen gesetzt werden müsste.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungsanordnung, Abschiebungsandrohung, Asylfolgeantrag, Ausreisefrist,
Normen: AsylG § 71 Abs. 4, AsylG § 34a, AsylG § 31 Abs. 3 S. 1, AsylG § 36 Abs. 1, AsylG § 38 Abs. 1,
Auszüge:

[…]

Bei Folgeanträgen nach § 71 Abs. 4 i.V.m. § 34a AsylG ist eine Abschiebungsandrohung nur dann zulässig, wenn eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 oder 2 AsylG nicht ergehen kann (§ 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG). Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies impliziert, dass das Bundesamt zunächst zu prüfen hat, ob eine Abschiebung möglich ist oder nicht, und dementsprechend entweder eine Abschiebungsanordnung erlässt oder auf das in Abs. 1 Satz 4 der Vorschrift zweitrangig vorgesehene Instrument der Abschiebungsandrohung zurückgreift. Bei der Auslegung und Anwendung der diesbezüglichen Vorschriften ist zu beachten, dass Abschiebungsanordnung und Abschiebungsandrohung nicht etwa austauschbar oder teilidentisch sind, sondern unterschiedliche Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung darstellen, wenn auch mit einer gleichen Zielrichtung und teilweise identischen Prüfungsinhalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.10.2015 - 1 B 41.15 -, juris). Die Regelung in Satz 4 ist mit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes in das AsylG eingeführt worden und schafft eine zusätzliche Möglichkeit zum Erlass einer die Abschiebung vorbereitenden Maßnahme. Dabei hat der Gesetzgeber die in diesen Fällen bislang allein bestehende Möglichkeit, nach § 34a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG eine Abschiebungsanordnung zu erlassen, als vorrangige Maßnahme beibehalten. Mit der Regelung in § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG will der Gesetzgeber offenbar einerseits eine Handhabe geben für Fälle, in denen eine Abschiebung und damit der Erlass einer Abschiebungsanordnung nicht möglich ist, andererseits nicht gänzlich auf das Instrument der Abschiebungsanordnung verzichten, wie dies im Unterschied hierzu für die Fallgestaltungen der § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG in § 35 AsylG vorgesehen ist. Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber hier eindeutig nicht voraussetzungslos den Erlass einer Abschiebungsandrohung zulässt, ist zu verlangen, dass die Antragsgegnerin zunächst eine Prüfung vornimmt, ob der Erlass einer Abschiebungsanordnung möglich ist oder nicht.

Eine solche Prüfung ist auch im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich. Denn bei Erlass einer Abschiebungsandrohung werden von der Antragsgegnerin lediglich gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG die zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse geprüft. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse bleiben, anders als bei der Abschiebungsanordnung (vgl. hierzu Nds. OVG, Beschluss vom 02.05.2012 - 13 MC 22/12 -, juris, Rn. 27), außer Betracht. Dies bedeutet für den Betroffenen, dass er derartige, der Abschiebung entgegenstehende Gründe nur noch gegenüber der Ausländerbehörde geltend machen kann. Prozessual wird dies meist in einem Verfahren gem. § 123 VwGO stattfinden, und zwar anlässlich der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung, die gem. § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise nicht mehr angekündigt werden darf und deren Termin dem Betroffenen damit zumeist nicht bekannt sein wird. Gerichtlicher Rechtsschutz wird dann häufig in einer Situation gesucht, in der sich der Betroffene bereits auf dem Weg zum Flughafen oder am Flughafen befindet. Die Möglichkeiten, hier umfassend und mit Nachweisen zu möglichen Abschiebungshindernissen vorzutragen, sind faktisch eingeschränkt. Demgegenüber ist bei Erlass einer Abschiebungsanordnung die Durchführbarkeit der Abschiebung behördlich zu prüfen und die diesbezügliche behördliche Entscheidung voll überprüfbar. Angesichts dieser aus dem Erlass einer Abschiebungsandrohung resultierenden faktischen Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten dürfen an die Annahme der Tatbestandsvoraussetzungen des § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG nicht zu geringe Anforderungen gestellt werden. Eine Abschiebungsandrohung muss vielmehr auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass eine Abschiebung nicht durchgeführt werden kann. Solche der Abschiebung entgegenstehenden Gründe hat die Antragsgegnerin im konkreten Einzelfall darzulegen.

Hier sind dem Bescheid keine entsprechenden Erwägungen zu entnehmen.

Unabhängig davon hat die Antragsgegnerin die Ausreisefrist im Rahmen der Abschiebungsandrohung fehlerhaft bestimmt. Die Antragsgegnerin hat vorliegend eine Frist zur Ausreise von einer Woche gesetzt. Dies ist gemäß § 36 Abs. 1 AsylG jedoch nur in den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages vorgesehen. Für alle anderen Fälle, wie hier den eines unzulässigen Asylfolgeantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG, gilt gemäß § 38 Abs. 1 AsylG, dass eine Ausreisefrist von 30 Tagen zu setzen ist. Da die Ausreisefrist ein untrennbarer Bestandteil des Regelungskomplexes der Abschiebungsandrohung ist (vgl. § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, VG München, Urteil vom 03.02.2017 - M 17 K 16.35318 -, juris), zieht ihre rechtswidrige Bestimmung die Rechtswidrigkeit der Gesamtregelung nach sich (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 26.04.2017 - 5 B 7267/16 -, juris). [...]