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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 29.03.2018 - XII ZB 423/17 - Asylmagazin 6/2018, S. 225 f. - asyl.net: M26124
https://www.asyl.net/rsdb/M26124
Leitsatz:

Zur Ermittlung des Volljährigkeitseintritts nach ausländischem Recht im Vormundschaftsverfahren:

1. Die Volljährigkeit tritt in Guinea nach Art. 168 des Code de l´Enfant der Republik Guinea aus dem Jahr 2008 mit Vollendung des 18. Lebensjahrs ein und nicht entsprechend früherer Regelungen mit Vollendung des 21. Lebensjahres.

2. Bei der Frage, mit welchem Alter die Volljährigkeit nach anzuwendendem ausländischem Recht eintritt, muss das Tatsachengericht die dortigen Rechtsgrundlagen ermitteln und bewerten. An die Ermittlungspflicht sind dabei umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer und je fremder im Vergleich zum deutschen das anzuwendende Recht ist.

3. In Fällen, in denen die Rechtsprechung zum Volljährigkeitsalter unterschiedlich ist und auch die Botschaft unterschiedliche Auskünfte hierzu gibt, muss ein Sachverständigengutachten eingeholt werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Guinea, Volljährigkeit, Vormundschaft, Sachverständigengutachten, Amtsermittlung, Sachaufklärungspflicht,
Normen: EGBGB Art. 24 Abs. 1 Satz 1, EGBGB Art. 7, GFK Art. 12,
Auszüge:

[...]

Das Rechtsbeschwerdegericht überprüft insoweit auf entsprechende Verfahrensrüge nur, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbesondere die sich anbietenden Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hinreichend ausgeschöpft hat. An die Ermittlungspflicht sind dabei umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer und je fremder im Vergleich zum deutschen das anzuwendende Recht ist. Bei Anwendung einer dem deutschen Recht verwandten Rechtsordnung und bei klaren Rechtsnormen sind die Anforderungen geringer (Senatsbeschluss vom 24. Mai 2017 XII ZB 337/15 FamRZ 2017, 1209 Rn. 13 f. mwN).

(b) Gemessen hieran ist das Oberlandesgericht ohne ausreichende Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Volljährigkeit (auch) nach dem Recht der Republik Guinea mit der Vollendung des 18. Lebensjahres eintrete.

Welches Volljährigkeitsalter nach dem Recht der Republik Guinea gilt, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung uneinheitlich beantwortet. Während einige Oberlandesgerichte von der Volljährigkeit erst mit Vollendung des 21. Lebensjahres ausgehen, stimmen andere mit der angefochtenen Entscheidung überein. Dabei ist der Ausgangspunkt jeweils identisch, wonach gemäß dem bislang nicht ausdrücklich aufgehobenen Art. 443 des Code Civil der Republik Guinea die Volljährigkeit auf das vollendete 21. Lebensjahr festgesetzt wird. Unterschiedlich wird hingegen eingeschätzt, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus dem im Jahr 2008 eingeführten Code de l´Enfant der Republik Guinea und insbesondere aus dessen Art. 168 ergeben, der nach den tatrichterlichen Feststellungen besagt, dass ein Kind unter 18 Jahren nur mit Zustimmung seiner Eltern bzw. des Inhabers der elterlichen Sorge Verträge abschließen kann. Teilweise wird der Code de l´Enfant allein als Gesetzeswerk gesehen, das die Rechte von Kindern in Guinea näher regele, nur Anwendung auf Personen unter 18 Jahren finde und keine Regelungen über den Eintritt der Volljährigkeit enthalte. Demgegenüber wird zur Begründung einer mit diesem Gesetzeswerk verbundenen nach Art. 6 Code Civil möglichen stillschweigenden Änderung des Volljährigkeitsalters darauf verwiesen, dass das Gesetz unter anderem in Art. 271 ff. Bestimmungen zur Entlassung aus der elterlichen Sorge enthalte, die diejenigen im Code Civil zu dieser Materie ersetzten und zum Teil von ihnen abwichen (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Dezember 2017 XII ZB 333/17 zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt Rn. 28 mwN).

Das Oberlandesgericht hat sich auf die Mitteilungen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Guinea vom 3. Mai 2016 (mit Bezugnahme auf die Auskunft des Justizministeriums der Republik Guinea vom 19. April 2016) und der Botschaft der Republik Guinea vom 30. September 2016 gestützt. Allerdings hatte Letztere noch unter dem 19. September 2016 erklärt, die Volljährigkeit werde "laut Zivilgesetzbuch mit 21 Jahren erreicht". Angesichts dieser aus sich heraus unklaren Gesetzeslage, die zu divergieren-den Beurteilungen in der obergerichtlichen Rechtsprechung geführt hat, und den unterschiedlichen Auskünften der Behörden Guineas sind an die Ermittlungspflicht höhere Anforderungen zu stellen. Das Oberlandesgericht hätte da-her hier nicht von der Einholung eines aussagekräftigen Sachverständigengutachtens absehen dürfen (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Dezember 2017 XII ZB 333/17 zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt Rn. 27 ff.). [...]