LG Wiesbaden

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Zitieren als:
LG Wiesbaden, Beschluss vom 09.04.2018 - 4 T 21/18 - asyl.net: M26502
https://www.asyl.net/rsdb/M26502
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft wegen Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes: 

Befindet sich eine Person 18 Monate in Strafhaft und nutzt die Ausländerbehörde nur die letzten zwei Monate der Haft, um die Abschiebung vorzubereiten, so dass diese letztendlich nicht bei Haftende durchgeführt werden kann, so ist eine anschließende Anordnung der Abschiebungshaft rechtswidrig.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Strafhaft, Überhaft, Beschleunigungsgebot, Abschiebung, Fluchtgefahr,
Normen: FamFG § 58, FamFG § 62 Abs. 1, AufenthG § 62 Abs. 2,
Auszüge:

[…]

Der Haftantrag enthielt zwar die erforderlichen formalen Angaben nach § 417 Abs. 2 FamFG zur Identität des Betroffenen, seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort, der Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung, der erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung sowie die Verlassenspflicht mit den Voraussetzungen und der Durchführbarkeit der Abschiebung.

Der angefochtene Beschluss ist dennoch rechtswidrig ergangen. […]

Die Ausländerbehörde hat nämlich jedenfalls das Beschleunigungsgebot verletzt. Das Beschleunigungsgebot verpflichtet die Behörden, alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 1996 - V ZB 14196, BGHZ 133, 235, 239). Die Gerichte müssen, wenn sie auf Grund eines Rechtsmittels oder eines Aufhebungsantrags mit einer nach § 62 Abs. 2 AufenthG erlassenen Haftanordnung befasst sind, stets prüfen, ob die Behörde die Zurück- oder Abschiebung des Ausländers ernstlich und mit der größtmöglichen Beschleunigung betreibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2010 - V ZB 204/09, NVwZ 2010, 1172, 1173 Rn. 21, vom 18. August 2010 - V ZB 119/10, Rn. 18, juris und vom 28.10.2010 FGPrax 2011,41). Zu prüfen ist insbesondere auch, ob die Ausländerbehörde eine bestehende Straftat genutzt hat, die Abschiebung so vorzubereiten, dass im Idealfall die Abschiebungshaft nicht nötig wird (BGH FGPrax 2010, 97 Rz. 11). Dies war vorliegend nicht der Fall. […] Die Ausländerbehörde musste ohne weiteres damit rechnen, dass es aus organisatorischen Gründen zu Verzögerungen kommen kann. Sie hat die zur Verfügung stehende Zeit ab April 2017 nicht genutzt, um die Abschiebung unmittelbar nach Verbüßung der Strafhaft zu gewährleisten. Dies wäre ohne weiteres möglich gewesen. Hätte sie entsprechende Bemühungen nicht erst im Oktober 2017 sondern, nach Prüfung der vollständigen Verbüßung der Strafe über den 2/3 Zeitablauf hinaus, mindestens 3 Monate vor dem vorgesehenen Strafende entfaltet, wäre aller Voraussicht nach eine Abschiebehaft zur Sicherung der Abschiebung nach Strafende nicht mehr erforderlich gewesen. […]