OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 03.05.2019 - 1 B 81/19 - asyl.net: M27276
https://www.asyl.net/rsdb/M27276
Leitsatz:

Annulierung eines Schengen-Visums wegen Täuschung:

"Die Annullierung eines Visums nach Art. 34 Abs. 1 Visakodex setzt hinsichtlich des Vorliegens der arglistigen Täuschung keine volle Gewissheit voraus. Vielmehr reicht eine hohe Wahrscheinlichkeit aus."

(Amtlicher Leitsatz, Anschluss an OVG Sachsen, Beschluss vom 18.07.2012 - 3 B 151/12 - asyl.net: M19941)

Schlagwörter: Schengen-Visum, Annullierung, arglistige Täuschung, vorsätzliche Täuschung,
Normen: VO 810/2009 Art. 34,
Auszüge:

[...]

Entgegen der Auffassung des Antragstellers bedarf es zwar hinsichtlich der arglistigen Täuschung keiner vollen Gewissheit. Nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 Visakodex wird ein Visum annulliert, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für seine Erteilung zum Ausstellungszeitpunkt nicht erfüllt waren, insbesondere wenn es ernsthafte Gründe für die Annahme gibt, dass das Visum durch arglistige Täuschung erlangt wurde. Der Begriff der "ernsthaften Gründe", die zu der "Annahme" Anlass geben, dass das Visum durch arglistige Täuschung erlangt wurde, wird in den Begriffsbestimmungen des Visakodex nicht definiert. Doch folgt aus der Formulierung des Verordnungsgebers, dass er keine vollständige Gewissheit über das Vorliegen einer arglistigen Täuschung voraussetzt, sondern bereits eine – wenn auch hohe – Wahrscheinlichkeit für diese Annahme genügen lässt (Sächsisches OVG, Beschl. v. 18.07.2012 – 3 B 151/12 – juris Rn. 4; Stahmann/Schild, Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 6 Rn. 72).

Ein bloßer Anfangsverdacht genügt jedoch nicht schon, um den für "ernsthafte Gründe" i.S.v. Art. 34 Abs. 1 Satz 1 Visakodex erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad zu rechtfertigen (Sächsisches OVG, Beschl. v. 18.07.2012 – 3 B 151/12 – juris Rn. 4; Stahmann/Schild, Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 6 Rn. 72). In einem solchen Fall ist vielmehr der Sachverhalt zunächst weiter aufzuklären. Über einen solchen Anfangsverdacht gehen die Ermittlungsergebnisse der Antragsgegnerin – soweit aus ihrem Vortrag sowie der Behördenakte ersichtlich – bislang nicht hinaus.

Allein die Tatsache, dass der Antragsteller mit einem litauischen Touristenvisum (u.a.) nach Deutschland eingereist ist und sich hier nach seiner Einreise sogleich in medizinische Behandlung begeben hat, lässt jedenfalls nicht bereits mit der für Art. 34 Abs. 1 Visakodex erforderlichen Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass der Antragsteller das litauische Touristenvisum durch arglistige Täuschung erlangt hat. Eine solche arglistige Täuschung würde voraussetzen, dass der Antragsteller bei den zuständigen litauischen Behörden bewusst falsche Angaben gemacht hat, und dass diese Täuschung für die Erteilung des Visums auch kausal gewesen ist. Der Umstand, dass Litauen kein Touristenvisum hätte ausstellen dürfen, wenn der Antragsteller sich lediglich in Deutschland in medizinische Behandlung begeben wollte, lässt noch nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, dass der Antragsteller gegenüber den zuständigen litauischen Behörden auch bewusst falsche Angaben gemacht hat. Jedenfalls ohne konkrete Kenntnis darüber, welche Angaben der Antragsteller bei der Beantragung des Visums tatsächlich gemacht hat, bleibt hier lediglich ein Anfangsverdacht, dem noch weiter nachzugehen ist. [...]