EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 14.03.2019 - C-557/17 Niederlande gg. Y.Z. u.a. - asyl.net: M27337
https://www.asyl.net/rsdb/m27337
Leitsatz:

Europarechtliche Rahmenbedingungen für den nachträglichen Entzug eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug:

Ein zur Familienzusammenführung erteilter Aufenthaltstitel, der aufgrund gefälschter Dokumente erlangt wurde, kann auch dann entzogen werden, wenn die nachgezogenen Familienmitglieder von der Fälschung nichts wussten. Es müssen jedoch die verschiedenen Interessen gegeneinander abgewogen werden. Ebenso kann auch eine später erteilte langfristige Aufenthaltsberechtigung der nachgezogenen Familienmitglieder entzogen werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familienzusammenführung, Achtung des Familienlebens, Fälschung, gefälschte Dokumente, Aufenthaltstitel, Rücknahme, vorsätzliche Täuschung, Daueraufenthalt, Ermessen, Niederlande, Y.Z.,
Normen: RL 2003/86/EG Art. 16 Abs. 2, RL 2003/109/EG Art. 9
Auszüge:

[...]

42 In Art. 16 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten den Aufenthaltstitel eines Familienangehörigen entziehen können, wenn feststeht, dass falsche oder irreführende Angaben gemacht wurden, ge- oder verfälschte Dokumente verwendet wurden, auf andere Weise eine Täuschung verübt wurde oder andere ungesetzliche Mittel angewandt wurden.

43 Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten diesen Aufenthaltstitel grundsätzlich entziehen können, wenn zu seiner Erlangung gefälschte Dokumente vorgelegt wurden oder wenn auf andere Weise eine Täuschung verübt wurde. In dieser Bestimmung wird weder klargestellt, wer diese Dokumente vorgelegt bzw. verwendet oder diese Täuschung verübt hat, noch setzt diese Bestimmung voraus, dass der betreffende Familienangehörige von der Täuschung wusste. Aus ihrem Wortlaut ergibt sich ebenfalls, dass die einfache Verwendung von falschen Angaben oder falschen Dokumenten zu diesen Zwecken, insbesondere, um zu der – irrigen – Annahme zu verleiten, dass der Zusammenführende über feste, regelmäßige und ausreichende Einkünfte im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie verfüge, zur Stützung einer Entscheidung über den Entzug des Aufenthaltstitels der Familienangehörigen ausreicht, ohne dass Art. 16 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 den Nachweis einer betrügerischen Absicht dieser Familienangehörigen oder ihrer Kenntnis von der Unrichtigkeit dieser Angaben bzw. Dokumente erforderte. [...]

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 16 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ist dahin auszulegen, dass dann, wenn zum Zweck der Ausstellung von Aufenthaltstiteln für die Familienangehörigen eines Drittstaatsangehörigen gefälschte Dokumente vorgelegt wurden, der Umstand, dass diese Familienangehörigen nichts vom betrügerischen Charakter dieser Dokumente wussten, nicht dem entgegensteht, dass der betreffende Mitgliedstaat diese Titel nach dieser Bestimmung entzieht. Gemäß Art. 17 dieser Richtlinie haben die zuständigen nationalen Behörden gleichwohl vorab eine individualisierte Prüfung der Situation dieser Familienangehörigen vorzunehmen und dabei alle zu berücksichtigenden Interessen ausgewogen und sachgerecht zu bewerten.

2. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ist dahin auszulegen, dass dann, wenn Drittstaatsangehörigen auf der Grundlage gefälschter Dokumente die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt wurde, der Umstand, dass sie nichts vom betrügerischen Charakter dieser Dokumente wussten, nicht dem entgegensteht, dass der betreffende Mitgliedstaat die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nach dieser Bestimmung entzieht. [...]