VG Koblenz

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Zitieren als:
VG Koblenz, Beschluss vom 29.08.2019 - 3 N 930/19.KO - Asylmagazin 10-11/2019, S. 378 f. - asyl.net: M27613
https://www.asyl.net/rsdb/M27613
Leitsatz:

Keine Durchsuchungserlaubnis zur Nachtzeit zum Zwecke der Abschiebung:

Für eine Durchsuchungserlaubnis zur Nachzeit zum Zwecke der Abschiebung gilt nach der neuen Gesetzeslage § 58 Abs. 7 AufenthG als bundeseinheitliches Mindestmaß. Die Länder können gem. § 58 Abs. 10 AufenthG hiervon abweichende Regelungen treffen, diese müssen aber auch konkret einen von der neuen Regelung im Bundesgesetz abweichenden materiell-rechtlichen Regelungsgehalt aufweisen. Daran fehlt es zumindest im rheinland-pfälzischen Landesrecht.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Wohnungsdurchsuchung, Abschiebung, Nachtzeit, Verwaltungsvollstreckungsrecht, Organisation der Abschiebung,
Normen: AufenthG § 58 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 58 Abs. 7 S. 2, AufenthG § 58 Abs. 10, LVwVG § 8,
Auszüge:

[...]

Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der begehrten Durchsuchungsanordnung ist Art. 13 Abs. 2 Grundgesetz in Verbindung mit § 58 Absätze 6, 8 und 10 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der ab dem 21. August 2019 geltenden Fassung sowie den Bestimmungen des rheinland-pfälzischen Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes (LVwVG).

Soweit der Vollstreckungsgläubiger eine Ermächtigung zur Durchsuchung bereits in der Nachtzeit, konkret ..., beantragt hat, war sein Antrag abzulehnen. Einer solchen Ermächtigung steht der durch Art.1 Nr. 15 des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294) mit Wirkung vom 21. August 2019 in § 58 AufenthG eingefügte neue Absatz 7 entgegen. Gemäß Satz 1 dieses Absatzes darf die Wohnung zur Nachtzeit nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Satz 2 desselben Absatzes bestimmt ergänzend, dass die Organisation der Abschiebung keine Tatsache im Sinne von Satz 1 ist. Im vorliegenden Fall sind aber keine Tatsachen vorgetragen oder sonst ersichtlich, die unabhängig von der Organisation der Abschiebung den Schluss rechtfertigen, dass ohne den Beginn der Durchsuchung bereits um ... statt um ... Uhr und damit hier noch zur Nachtzeit (vgl. § 8 Abs. 2 LVwVG) die beabsichtigte Abschiebung vereitelt würde.

Der mit dem genannten Änderungsgesetz ebenfalls mit Wirkung vom 21. August 2019 in § 58 AufenthG eingefügte neue Absatz 10 ändert an der Unzulässigkeit der Durchsuchung zur Nachtzeit im vorliegenden Fall nichts. Gemäß diesem Absatz bleiben weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, unberührt. Absatz 10 wurde ebenso wie Absatz 7 im Gesetzgebungsverfahren aufgrund der Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drs. 19/10047, 19/10506 - betreffend ein Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht eingefügt (vgl. BT-Dts.19/10706 vom 5. Juni 2019). In der Begründung der Empfehlung des Ausschusses heißt es dazu: "Durch den Satz 'Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt' wird geregelt, dass durch die Absätze 5 bis 9 bundeseinheitlich ein Mindestmaß für Betretensrechte bei Abschiebungen vorgesehen wird. Bestehende Regelungen der Länder, die weitergehende Befugnisse geben, gelten fort, ohne dass hierzu ein Rechtsakt der Länder notwendig wäre." Dem lässt sich zwar auch entnehmen, dass - soweit Abs. 7 der Neuregelung betroffen ist - bestehende Regelungen in Bundesländern, die weiter gehende Befugnisse geben, weiterhin gelten sollen. Nach Auffassung der Kammer gilt dies indessen nur, soweit die landesrechtliche Regelung auch konkret einen von der neuen Regelung im Bundesgesetz abweichenden Regelungsgehalt aufweisen. Daran fehltes hier. § 8 LVwVG, der in seinem Abs. 1 unter anderem bestimmt, dass zur Nachtzeit der Vollstreckungsbeamte eine Vollstreckungshandlung nur mit schriftlicher Erlaubnis der Vollstreckungsbehörde durchführen darf und dass die Erlaubnis bei der Vollstreckung vorzuzeigen ist, enthält lediglich eine nähere Regelung dazu, dass die Vollstreckungsbehörde selbst den Vollstreckungsbeamten schriftlich zur Vollstreckung zur Nachtzeit ermächtigen darf. Voraussetzungen für eine Durchsuchung zur Nachtzeit zum Zwecke einer beabsichtigten Abschiebung von Ausländern sind in § 8 Abs. 1 LVwVG nicht geregelt. Gleiches gilt für § 8 Abs. 2 LVwVG, der lediglich eine nähere Bestimmung der Nachtzeit enthält. Ob eine Durchsuchung auch zur Nachtzeit materiell-rechtlich zulässig war, ergab sich bisher nach der Rechtsprechung der Kammer lediglich unter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles. Insoweit hat aber die Neuregelung in § 58 Abs. 10 konkrete und engere Vorausetzungen für das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen zur Nachtzeit zum Zwecke der Abschiebung in das Gesetz eingefügt, in Bezug auf die eine konkrete abweichende landesrechtliche Regelung im Sinne von § 58 Abs. 10 AufenthG fehlt. Insbesondere enthalten die landesrechtlichen Vorschriften keine Bestimmungen darüber, ob aus Gründen der Organisation der Abschiebung eine Durchsuchung zur Nachtzeit zulässig ist. [...]