VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Beschluss vom 06.08.2020 - 6a L 601/20 (Asylmagazin 9/2020, S. 315) - asyl.net: M28718
https://www.asyl.net/rsdb/M28718
Leitsatz:

Anspruch auf Entlassung aus Aufnahmeeinrichtung auch bei Klage gegen einfach unbegründete Asylantragsablehnung:

1. Eine Person ist nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG aus der Aufnahmeeinrichtung im Sinne des § 47 AsylG zu entlassen, wenn das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet oder unzulässig nach § 30 Abs. 1 Nr. 3, 4 oder 5 AsylG angeordnet hat.

2. Einer Klage gegen die Ablehnung des Asylantrags als unbegründet kommt gemäß § 75 Abs. 1 S. 1 AsylG kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung zu. In diesem Fall ist die Regelung des § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG analog anzuwenden. In der Folge besteht auch dann ein Entlassungsanspruch, wenn das BAMF einen Asylantrag als einfach unbegründet ablehnt und hiergegen Klage erhoben wird.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Erstaufnahmeeinrichtung, Aufnahmeeinrichtung, dezentrale Unterbringung, Suspensiveffekt, offensichtlich unbegründet, Unzulässigkeit, Ablehnungsbescheid, Analogie, Entlassung aus der Aufnahmeeinrichtung,
Normen: AsylG § 47, AsylG § 48, AsylG § 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AsylG § 75,
Auszüge:

[...]

Es drängt sich jedoch auf, § 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG in den Fällen, in denen - wie hier - die Klage gemäß § 75 Abs. 1 S. 1 AsylG aufschiebende Wirkung hat, entsprechend anzuwenden. [...]

Eine Regelungslücke besteht, weil die Vorschriften der §§ 48 bis 50 AsylG über die (vorzeitige) Beendigung der Verpflichtung, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, bzw. über die Entlassung aus der Aufnahmeeinrichtung die Fälle von Ausländern, deren Asylantrag - wie im Fall der Antragsteller - im Sinne von § 38 Abs. 1 AsylG abgelehnt worden ist und deren Klage gegen diese Entscheidung gemäß § 75 Abs. 1 S. 1 AsylG aufschiebende Wirkung hat, nicht erfassen. Diese Gesetzeslücke ist auch planwidrig. Die Regelung des § 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG lässt erkennen, dass der Gesetzgeber den weiteren Aufenthalt in der Aufnahmeeinrichtung bis zu der in § 47 Abs. 1 AsylG bestimmten Höchstdauer nicht für angemessen erachtet, wenn der Klage des betreffenden Ausländers gegen die Ablehnung seines Asylantrages aufschiebende Wirkung zukommt. Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber den weiteren Aufenthalt in der Aufnahmeeinrichtung offensichtlich auch dann (erst recht) nicht für angemessen erachtet, wenn der Klage des Ausländers bereits von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt, weil der Asylantrag in der einfachen Form, also im Sinne von § 38 Abs. 1 AsylG lediglich als (einfach) unbegründet, abgelehnt worden ist (vgl. zu § 50 AsylG a.F.: Marx, AsylG, 9. Auflage 2017, § 50, Rn. 8). [...]

Die Antragsteller haben auch den nach den eingangs genannten Vorschriften erforderlichen besonderen Grund für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes, insbesondere für die Vorwegnahme der Hauptsache, glaubhaft gemacht. Der nach dem eingangs Ausgeführten hierfür erforderliche schwere und unzumutbare Nachteil für die Antragsteller liegt in der irreversiblen Nichterfüllung ihres Anspruchs auf unverzügliche Entlassung aus der Zentralen Unterbringungseinrichtung in Münster und Verteilung innerhalb des Landes Nordrhein Westfalen. Dieser Anspruch erledigt sich zunehmend mit jedem weiteren Tag des Aufenthalts der Antragsteller in der Zentralen Unterbringungseinrichtung in Münster. [...]