VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 02.02.2021 - 3 K 349/20 A - asyl.net: M29480
https://www.asyl.net/rsdb/m29480
Leitsatz:

Zur Belehrung vor Einstellung des Asylverfahrens nach § 33 AsylG:

"1. Empfangsbestätigung im Sinne des § 33 Abs. 4 AsylG kann auch eine Postzustellungsurkunde sein, in der eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Zustellung nach § 3 VwZG dokumentiert ist.

2. Der Asylantragsteller ist bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung des § 33 Abs. 4 AsylG auch im Falle der Vertretung durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt persönlich über seine Mitwirkungs­pflichten und die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG zu belehren.

3. Soweit ein Ausländer geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, ist die Hinweispflicht des § 33 Abs. 4 AsylG auf eine Belehrung des gesetzlichen Vertreters gerichtet. Dasselbe gilt, wenn für den Ausländer ein Betreuer bestellt ist, dessen Aufgabenkreis die Vertretung gegenüber dem Bundesamt umfasst.

4. An den Inhalt der Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG sind mit Blick auf deren Bedeutung für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen. Fehlerhafte Angaben und Unklarheiten, die geeignet sind beim Adressaten Fehlvorstellungen bezüglich der geltenden Rechtslage hervorzurufen, führen grundsätzlich dazu, dass die Belehrung nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen entspricht und die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG nicht eintreten kann."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Zustellung, Belehrung, Hinweispflicht, Anhörung, Asylverfahren, Betreuer, Rechtsanwalt, geschäftsunfähig, Rücknahmefiktion, Einstellung,
Normen: AsylG § 33
Auszüge:

[...]

41 a. Die Übersendung der "Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten" mit Schreiben vom 15. Januar 2020 genügt den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG nicht, da sie nicht gegen Empfangsbestätigung erfolgte.

42 aa. Entgegen der Ansicht der Klägerin setzt eine wirksame Empfangsbestätigung allerdings nicht voraus, dass der Antragsteller den Erhalt der Belehrung mit eigenhändiger Unterschrift quittiert. Ein solches Erfordernis ist § 33 Abs. 4 AsylG nicht zu entnehmen. Soweit in der Rechtsprechung der Kammer hierzu bislang eine andere Auffassung vertreten wurde (VG Berlin, Beschluss vom 27. Februar 2017 – VG 3 L 98.17 A –, juris Rn. 10 und Urteil vom 8. Mai 2017 – VG 3 K 99.17 A –; ebenso VG Berlin, Urteil vom 16. April 2020 – VG 19 K 596.19 A –, juris Rn. 29) wird hieran nicht mehr festgehalten. Vielmehr kann auch eine Postzustellungsurkunde, in der eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Zustellung nach § 3 VwZG dokumentiert ist, eine Empfangsbestätigung im Sinne des § 33 Abs. 4 AsylG sein (so auch schon VG Düsseldorf, Beschluss vom 10. März 2017 – 17 L 212/17.A –, juris Rn. 37; VG Hannover, Urteil vom 17.
September 2019 – 7 A 3887/17 –, juris Rn. 44 ff.; VG Augsburg, Beschluss vom 05. Januar 2018 – Au 8 S 17.35699 –, juris Rn. 24). [...]

49 Das Bundesamt durfte auch nicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 VwZG anstelle der Klägerin die Klinik als Zustellungsadressaten bezeichnen. Danach können Zustellungen an den allgemeinen oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Bevollmächtigten gerichtet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die entsprechende Vollmacht auf das konkrete Verwaltungsverfahren bezieht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05. September 2013 – 10 B 16/13 –, juris Rn. 3; Engelhardt/App/Schlatmann, 11. Auflage, § 7 VwZG Rn. 3). Die Klinik war im Hinblick auf das Asylverfahren jedoch nicht Bevollmächtigte der Klägerin. Der formelle Asylantrag wurde nicht durch die Klinik im Namen der Klägerin, sondern durch die Klägerin im eigenen Namen gestellt. Dies zeigt sich bereits an der Formulierung des Antrags ("hiermit stelle ich einen formlosen Antrag auf Asyl") sowie an der Tatsache, dass die Klägerin den Antrag eigenhändig unterschrieben hat. Auch aus der von der Klägerin unterzeichneten Schweigepflichtentbindung folgt keine Zustellungsbevollmächtigung der Klinik. Zwar heißt es darin, der Klinik dürften "alle Informationen und Entscheidungen per Fax oder Mail zugestellt" werden. Dies kann jedoch nicht als Erteilung einer allgemein auf das Asylverfahren bezogenen Zustellungsbevollmächtigung verstanden werden. [...]

50 cc. Es kann offen bleiben, ob die "Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten" der Klägerin oder dem Betreuer ungeachtet der vorstehend beschriebenen Zustellungsmängel tatsächlich zuging. Denn die in § 8 VwZG vorgesehene Heilung eines Zustellungsmangels findet auf die Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG keine Anwendung. Der Begriff der Empfangsbestätigung als Zugangsnachweis eigener Art schließt einen anderweitigen Zugangsnachweis aus. Eine analoge Anwendung der Heilungsvorschrift kommt mangels planwidriger Regelungslücke ebenfalls nicht in Betracht. Eine solche Regelungslücke besteht schon deshalb nicht, weil der Antragsteller den tatsächlichen Zugang der Belehrung im Einzelfall gegen sich gelten lassen kann oder es ihm nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt sein kann, sich auf das Fehlen einer Empfangsbestätigung zu berufen, etwa wenn er die Entgegennahme der Belehrung oder deren Bestätigung verweigert. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. [...]

52 aa. Der Umstand, dass die Klägerin in dem Asylverfahren seit dem 20. Januar 2020 anwaltlich vertreten war, ließ das Belehrungserfordernis weder entfallen, noch führte er dazu, dass die Belehrung der Klägerin durch eine Belehrung ihrer Verfahrensbevollmächtigten ersetzt werden konnte. Vielmehr ist der Asylantragsteller nach § 33 Abs. 4 AsylG – vorbehaltlich der Besonderheiten einer gesetzlichen Vertretung oder Betreuung (hierzu sogleich) – auch im Falle anwaltlicher Vertretung persönlich über seine Mitwirkungspflichten und die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG zu belehren (a.A. BayVGH, Beschluss vom 24. April 2018 – 6 ZB 17.31593 –, juris Rn. 5; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 27. März 2017 – 1 LZ 92/17 –, juris Rn. 14; VG Berlin, Urteil vom 16. April 2020 – VG 19 K 596.19 A –, juris Rn. 35). [...]

53 bb. Von den vorstehend beschriebenen Grundsätzen abweichende Besonderheiten gelten allerdings für geschäftsunfähige Asylantragsteller sowie im Falle der Bestellung eines Betreuers. Soweit ein Ausländer geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, ist die Hinweispflicht des § 33 Abs. 4 AsylG auf eine Belehrung des gesetzlichen Vertreters gerichtet. Dasselbe gilt, wenn für den Ausländer ein Betreuer bestellt ist, dessen Aufgabenkreis die Vertretung gegenüber dem Bundesamt umfasst (vgl. für den Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots VG München, Beschluss vom 23. Oktober 2020 – M 18 S 20.32512 –, juris Rn. 22). Zwar ergibt sich dies nicht unmittelbar aus § 33 Abs. 4 AsylG. Insoweit muss jedoch die Regelung des § 6 Abs. 1 VwZG analoge Anwendung finden, wonach bei Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsfähigen an ihre gesetzlichen Vertreter zuzustellen ist und gleiches bei Personen gilt, für die ein Betreuer bestellt ist, soweit der Aufgabenkreis des Betreuers reicht. Denn das AsylG ist entsprechend allgemeinen Rechtsgrundsätzen von dem Gedanken geprägt, dass in Asylverfahren geschäftsunfähiger Ausländer – insbesondere Minderjähriger – die gesetzlichen Vertreter an ihre Stelle treten (vgl. § 12 AsylG). [...]

55 An den Inhalt der Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG sind mit Blick auf deren Bedeutung für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen. Dem Betroffenen ist durch die erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen zu führen, welche Obliegenheiten ihn im Einzelnen treffen und welche Folgen bei der Nichtbeachtung entstehen können. Ein lediglich allgemein gehaltener Hinweis, der sich auf die Wiedergabe des Gesetzestextes beschränkt, ist nicht ausreichend. Fehlerhafte Angaben und Unklarheiten, die geeignet sind beim Adressaten Fehlvorstellungen bezüglich der geltenden Rechtslage hervorzurufen, führen grundsätzlich dazu, dass die Belehrung nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen entspricht und die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG nicht eintreten kann (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 15. April 2018 – BVerwG 1 C 46/18, juris Rn. 30; VG Berlin, Urteil vom 16. April 2020 – VG 19 K 596.19 A –, juris Rn. 29). [...]