OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.03.2021 - 2 M 14/21 - asyl.net: M29880
https://www.asyl.net/rsdb/m29880
Leitsatz:

Keine Ausbildungsduldung bei einem der Ausbildung vorgelagertem Arbeitsverhältnis:

"1. § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004) setzt die Aufnahme einer in § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) genannten Berufsausbildung - sei es in Gestalt einer qualifizierten Berufsausbildung oder in Gestalt einer Assistenz- oder Helferausbildung - voraus; ein "Vorbereitungs­arbeitsverhältnis" bzw. "vorgelagertes Arbeitsverhältnis" genügt nicht (Rn. 35).

2. Mit der Regelung in § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG (juris: AufenthG 2004) wollte der Gesetzgeber verdeutlichen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen von konkret bevorstehenden Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung der Zeitpunkt der Antragstellung auf eine Ausbildungsduldung ist (Rn. 46).

3. Bei einem Ausbildungsverhältnis, das nicht unter § 60c AufenthG (juris: AufenthG 2004) fällt, ist eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (juris: AufenthG 2004) nicht von vornherein ausgeschlossen, so dass etwa eine Qualifizierungsmaßnahme von einer Ermessensduldung erfasst werden kann (vgl. VGH BW, Beschluss vom 4. Januar 2017 - 11 S 2301/16 - juris Rn. 24) (Rn. 50).

4. Es liegt kein Anordnungsgrund nach § 123 Abs. 1 VwGO vor, wenn das der Behörde gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (juris: AufenthG 2004) eingeräumte Ermessen nicht dahin reduziert ist, dass nur die derzeitige Unterlassung der Abschiebung in Betracht kommt. Das der Behörde nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (juris: AufenthG 2004) eingeräumte Ermessen ist grundsätzlich weit (Rn. 53)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Vorbereitung, Vorbereitungsarbeitsverhältnis, Beurteilungszeitpunkt, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, einstweilige Anordnung,
Normen: AufenthG § 60 c, AufenthG § 60a Abs. 2,
Auszüge:

[...]

35 [...]Zutreffend hat das Verwaltungsgericht die derzeitige Tätigkeit der Antragstellerin als Einstiegsqualifizierung angesehen. Der Senat vermag der Antragstellerin nicht darin zu folgen, dass die fehlende Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses dem Anspruch nach § 60c AufenthG nicht entgegenstehe. § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG setzt vielmehr die Aufnahme einer in Nummer 1 genannten Berufsausbildung - sei es in Gestalt einer qualifizierten Berufsausbildung oder in Gestalt einer Assistenz- oder Helferausbildung - voraus. Ein "Vorbereitungsarbeitsverhältnis" bzw. "vorgelagertes Arbeitsverhältnis" genügt entgegen der Annahme der Antragstellerin nicht. [...]

45 Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf verwiesen, dass im hiernach maßgeblichen Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Erteilung der Ausbildungsduldung am 5. Februar 2021 bereits konkrete Maßnahmen zur Beendigung des Aufenthalts der Antragstellerin im Bundesgebiet eingeleitet waren. Nach dem Schreiben der Bundespolizei vom 18. Dezember 2020 (Bl. 841 des Verwaltungsvorgangs) an das Zentrale Rückkehrmanagement beim Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt wurde das Rückführungsersuchen an diesem Tag an die "BPOLI IV Rückführung FH Frankfurt/Main" verfügt. Laut handschriftlichem Vermerk stand der Rückführungstermin fest. Es ist auch nicht von vornherein absehbar, dass die Vorbereitungsmaßnahmen nicht zum Erfolg führen, insbesondere wurde der Antragstellerin am 10. Juli 2017 ein bis zum 9. Juli 2022 gültiger Pass ausgestellt (vgl. Bl. 129 des Verwaltungsvorgangs).

46 Soweit die Antragstellerin meint, es komme nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses bzw. der Vorlage des Arbeitsvertrages vom 27. August 2020 an, weil nach dem Willen des Gesetzgebers die Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses ein Vollstreckungshindernis darstelle, widerspricht dies nicht nur dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, sondern auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. OVG RP, Beschluss vom 2. November 2020 - 7 B 11114/20 - juris Rn. 13). [...]

49 a) Zwar ist die Erteilung einer Duldung im Ermessenswege nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG bei Fehlen der Voraussetzungen des § 60c AufenthG nicht ausgeschlossen. Gemäß § 60c Abs. 8 AufenthG bleibt § 60a AufenthG im Übrigen unberührt. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf (a.a.O., S. 17) dient die Regelung der Klarstellung, dass im Vorfeld einer Ausbildungsduldung oder zusätzlich zu ihr Duldungen nach § 60a AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen oder aus anderen dringenden humanitären oder persönlichen Gründen beispielsweise wegen Krankheit, oder erheblichen öffentlichen Interessen weiterhin erteilt werden können. Da die Erteilung einer Duldung zum Zweck der Berufsausbildung nunmehr in § 60c AufenthG geregelt ist, kann das Absolvieren einer Berufsausbildung allein jedoch kein Grund für die Erteilung einer Duldung nach § 60a Absatz 2 Satz 3 AufenthG sein. Dies gilt auch dann, wenn die Ausbildungsduldung aus Ausschluss- oder Versagungsgründen nach § 60c nicht erteilt werden kann. Dem steht jedoch nicht entgegen, im Fall der Duldung nach § 60a AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen oder aus anderen dringenden humanitären oder persönlichen Gründen oder erheblichen öffentlichen Interessen eine Beschäftigungserlaubnis für eine Ausbildung zu erteilen, wenn kein Versagungsgrund nach § 60a Absatz 6 vorliegt. Diese Duldung kann jedoch nicht mit den besonderen Rechten der Ausbildungsduldung, insbesondere dem langfristigen Erteilungszeitraum verbunden werden (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf, a.a.O., S. 17).

50 Dies bedeutet, dass die allgemeine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG subsidiär gegenüber der besonderen Ausbildungsduldung und in deren Anwendungsbereich durch § 60c Abs. 1 bis 7 AufenthG als lex specialis gesperrt ist, so dass mit ihr die Erteilungsvoraussetzungen der Ausbildungsduldung nicht umgangen werden können; im Übrigen aber ist sie anwendbar (Dietz, a.a.O., Rn. 107). In Betracht kommt insbesondere eine Duldung aus wichtigem persönlichen Grund in den von § 60c AufenthG nicht erfassten Fällen der Einstiegsqualifizierungen in oder zur Überbrückung von Zeiträumen von mehr als sechs Monaten (§ 60c Abs. 3 Satz 2 AufenthG) bis zum Beginn einer qualifizierten Berufsausbildung (Breidenbach, in: BeckOK Ausländerrecht, § 60c Rn. 40, m.w.N.; vgl. auch Dietz, a.a.O.). Bei einem Ausbildungsverhältnis, das nicht unter § 60c AufenthG fällt, ist eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG nicht von vornherein ausgeschlossen, so dass etwa ein (weiterer) Schulbesuch oder eine Qualifizierungsmaßnahme von einer Ermessensduldung erfasst werden können (vgl. VGH BW, Beschluss vom 4. Januar 2017 - 11 S 2301/16 - juris Rn. 24).

51 Hiernach spricht einiges dafür, dass in der Person der Antragstellerin aufgrund ihrer Beschäftigung bei der ... GmbH und der bereits vertraglich vereinbarten Ausbildung zur Pflegefachfrau ab August 2021 dringende persönliche Gründe im Sinne § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG vorliegen. Auch mag wegen des Mangels an Personal in den Pflegeberufen ein öffentliches Interesse am vorübergehenden Verbleib der Antragstellerin im Bundesgebiet zum Zwecke der Ausübung einer Tätigkeit im Bereich der Krankenpflege und anschließender Ausbildung zur Pflegefachfrau bestehen. Schließlich mag der von der Antragstellerin angeführte Umstand, dass sie sich bereit seit 10 Jahren (straffrei) seit ihrem 13. Lebensjahr im Bundesgebiet aufhält und nach ihren Angaben keine familiären Kontakte in ihrem Heimatland bestehen, als dringender humanitärer Grund im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG angesehen werden können.

52 b) Dies rechtfertigt aber nicht den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung, weil der Antragsgegnerin auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG ein Ermessensspielraum verbleibt und das ihr eingeräumte Ermessen nicht auf Null reduziert ist.

53 Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 31. März 2015 - 2 M 17/15 - juris Rn. 8, m.w.N.) liegt kein Anordnungsgrund nach § 123 Abs. 1 VwGO vor, wenn das der Behörde gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG eingeräumte Ermessen nicht dahin reduziert ist, dass nur die derzeitige Unterlassung der Abschiebung in Betracht kommt. Das der Behörde nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG eingeräumte Ermessen ist grundsätzlich weit (vgl. auch VGH BW, Beschluss vom 4. Januar 2017, a.a.O.). [...]