VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 17.06.2021 - A 13 K 6550/17 - asyl.net: M29934
https://www.asyl.net/rsdb/m29934
Leitsatz:

Keine Erledigung der Unzulässigkeitsentscheidung durch Dublin-Abschiebung:

"1. Durch die tatsächliche Abschiebung eines Asylantragstellers auf der Grundlage eines sog. Dublin-Bescheids (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG) erledigt sich die in Ziffer 3 dieses Bescheids getroffene Abschiebungsanordnung, nicht hingegen die in Ziffer 1 dieses Bescheids getroffene Unzulässigkeits­entscheidung (entgegen OVG NRW, Urteil vom 22.09.2016 - 13 A 2448/15.A - juris).

2. Einem Asylantragsteller fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung einer Unzulässigkeits­entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wenn das Bundesamt im weiteren Verlauf des Asylverfahrens (nach Überführung des Asylsuchenden in das nationale Verfahren aufgrund zwischenzeitlich abgelaufener Überstellungsfrist) eine weitere, etwa auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gestützte Unzulässigkeitsentscheidung getroffen hat."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Unzulässigkeit, Zweitantrag, Rechtsschutzinteresse, Wiedereinreise, Rückkehrerfälle, Erledigung, Regelungswirkung,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5,
Auszüge:

[...]

27 a) Anders als das Bundesamt meint, hat sich die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheids zwar nicht bereits durch die Rücküberstellung des Klägers nach Dänemark erledigt (wie hier Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG § 29 Rn. 22, 48 mit zutreffendem Hinweis auf EuGH, Urteil vom 25.01.2018 - C-360/16 - Hasan - NVwZ 2018, 560; falsch bzw. jedenfalls ungenau BeckOK AuslR/Pietzsch, 29. Ed. 1.4.2021, AsylG § 34a Rn. 29; zutreffend nur in Bezug auf die Unzulässigkeitsentscheidung GK-AsylG-Funke-Kaiser, § 34a Rn. 68). Denn die Unzulässigkeitsentscheidung hinderte (weiterhin) die Durchführung eines nationalen Verfahrens. Von ihr geht mithin weiterhin eine Regelungswirkung für die Zukunft aus. [...]

29 b) Allerdings fehlt dem Kläger im Hinblick auf diesen Streitgegenstand das erforderliche Rechtschutzbedürfnis. Denn das Bundesamt hat mit Bescheid vom 03.03.2020 eine – auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gestützte – erneute Unzulässigkeitsentscheidung getroffen, welche zwischenzeitlich bestandskräftig geworden ist. Diese zweite Unzulässigkeitsentscheidung hat die hier streitgegenständliche Unzulässigkeitsentscheidung zeitlich wie rechtlich überholt. Mit der vorliegend begehrten Aufhebung der ersten, hier streitgegenständlichen Unzulässigkeitsentscheidung könnte der Kläger daher keine Verbesserung seiner Rechtsposition (mehr) erreichen.

30 Dies ergibt sich auch aus folgender Kontrollerwägung: Würde dem Klageantrag hinsichtlich Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheids entsprochen und die erste Unzulässigkeitsentscheidung mithin aufgehoben, wäre der Kläger dessen ungeachtet gezwungen, einen neuen Asylantrag zu stellen, da sein erster (und bisher einziger) Asylantrag zwischenzeitlich mit Bescheid vom 03.03.2020 bestandskräftig (als unzulässig) abgelehnt wurde. Diese Bestandskraft steht in jedem Fall, d.h. ungeachtet des Ausgangs des vorliegenden Verfahrens, einer Durchführung eines weiteren Asylverfahrens entgegen und würde etwaig einen Asylfolgeantrag erforderlich machen.

31 2. Demgegenüber hat sich die Abschiebungsanordnung in Ziff. 3 des streitgegenständlichen Bescheids durch die Abschiebung des Klägers nach Dänemark zwischenzeitlich tatsächlich erledigt. Von dieser gehen keine Rechtswirkungen mehr aus (wie hier Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG § 29 Rn. 48). Unzutreffend ist die vielfach geteilte Annahme der Gegenauffassung, aus § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG ergebe sich, dass die Abschiebungsanordnung weiterhin Grundlage für eine erneute Abschiebung sein könne. Ein solcher Regelungsgehalt ist § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG bei korrekter Auslegung nicht zu entnehmen: § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG nimmt undifferenziert gleichermaßen die Abschiebungsandrohung (welche sich durch die tatsächliche Abschiebung nicht erledigt) sowie die Abschiebungsanordnung in den Blick. Im Hinblick auf die Abschiebungsanordnung geht der Regelungsgehalt von § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG richtigerweise aber nur dahin, dass es einer solchen nur dann nicht (erneut) bedarf, wenn die erste nicht bereits vollzogen wurde. § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG ist daher kein stichhaltiges Argument für die These, die Abschiebungsanordnung sei durch die tatsächlich erfolgte Abschiebung nicht erledigt (a. A. die wohl h. M., vgl. etwa Huber/Mantel AufenthG/Broscheit, 3. Aufl. 2021, AsylG § 34a Rn. 20; BeckOK AuslR/Pietzsch, 29. Ed. 1.4.2021, AsylG § 34a Rn. 29; GK-AsylG-Funke-Kaiser, § 34a Rn. 68; allerdings etwaige Folgeprobleme aus der vertretenen Rechtsauffassung erkennend ders., § 71 Rn. 319; OVG NRW, Urteil vom 22.09.2016 - 13 A 2448/15.A - BeckRS 2016, 52566 Rn. 20). [...]