OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23.06.2021 - 2 M 28/20 - asyl.net: M29973
https://www.asyl.net/rsdb/m29973
Leitsatz:

Richtiger Antragsgegner bei vorläufigem Rechtsschutz gegen Abschiebungsandrohung:

"1. Die Erklärungen eines Antragstellers sind regelmäßig darauf gerichtet, das Ziel gegenüber dem richtigen Antragsgegner zu erreichen; sie sind insoweit einer Auslegung bzw. Umdeutung hinsichtlich des Passivrubrums fähig (vgl. OVG BBg, Beschluss vom 12. Februar 2015 - OVG 9 S 9.14 - juris Rn. 12), (Rn.12).

2. Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit dem Ziel, dass nach einer konkretisierten Abschiebungsandrohung des Bundesamts eine Abschiebung des Ausländers unterbleibt, ist jedenfalls dann unmittelbar gegen die Ausländerbehörde zu richten, wenn zu befürchten ist, dass das Bundesamt den Vollzug der Abschiebung durch eine Mitteilung an die Ausländerbehörde, dass der betroffene Ausländer nicht abgeschoben werden darf, nicht mehr rechtzeitig verhindern kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Ausländer (auch) ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis geltend macht (Rn.13)."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Abschiebungsandrohung, Antragsgegner, sachliche Zuständigkeit, Ausländerbehörde, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, vorläufiger Rechtsschutz,
Normen: AufenthG § 58,
Auszüge:

[...]

12 Gemessen daran kann das auf die Verhinderung der Abschiebung gerichtete Antragsbegehren dahingehend ausgelegt oder zumindest umgedeutet werden, dass der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet werden soll, Abschiebemaßnahmen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 11. Februar 2020 zu unterlassen. Die Erklärungen eines Antragstellers sind regelmäßig darauf gerichtet, das Ziel gegenüber dem richtigen Antragsgegner zu erreichen; sie sind insoweit einer Auslegung bzw. Umdeutung hinsichtlich des Passivrubrums fähig (vgl. OVG BBg, Beschluss vom 12. Februar 2015 - OVG 9 S 9.14 - juris Rn. 12). Einer solchen Auslegung oder Umdeutung des Antrages steht hier nicht entgegen, dass der Antragsgegner nicht dem Rechtsträger (Bundesrepublik Deutschland) angehört, den der Antragsteller in seiner Antragsschrift als Antragsgegner bezeichnet hat. Maßgeblich ist allein, welche Behörde oder welcher Rechtsträger zu verpflichten ist, damit der Antragsteller das von ihm angestrebte Rechtsschutzziel effektiv erreichen kann.

13 Hier war es geboten, dem Antragsgegner aufzugeben, Abschiebemaßnahmen gegenüber dem Antragsteller zu unterlassen. Dabei bedarf keiner Vertiefung, ob in der hier gegebenen Fallkonstellation (Konkretisierung einer Abschiebungsandrohung) im Regelfall (nur) die Verpflichtung des Bundesamts in Betracht kommt, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der betroffene Ausländer nicht abgeschoben werden darf, wie dies gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG bei einem abgelehnten Asylfolgeantrag der Fall ist (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 2. März 2011 - 2 M 28/11 - juris Rn. 6 ff.). Jedenfalls in einer Situation, in der zu befürchten ist, dass das Bundesamt den Vollzug der Abschiebung nicht mehr rechtzeitig durch eine solche Mitteilung an die für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde verhindern kann, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung unmittelbar gegenüber der Ausländerbehörde in Betracht, weil sonst der Anspruch des Ausländers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes gefährdet wäre (vgl. Beschluss des Senats vom 2. März 2011, a.a.O., Rn 8). Eine solche Fallkonstellation war hier gegeben. Da nach den vom Antragsgegner nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts das Flugzeug, mit dem der Antragsteller abgeschoben werden sollte, bereits am Tag des Antragseingangs um 17.40 Uhr starten sollte und das Verwaltungsgericht für die Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit des um 12.49 Uhr eingegangenen Antrages noch eine gewisse Zeit benötige (der Beschlusstenor wurde dem Antragsgegner um 17.32 Uhr per Telefax bekanntgegeben), ist zumindest zweifelhaft, ob die Abschiebung durch eine Verpflichtung des Bundesamtes zur Mitteilung an den Antragsgegner über die Unzulässigkeit einer Abschiebung noch hätte verhindert werden können. Unabhängig davon hat der Antragsteller in seiner Antragsschrift ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis (faktischer Inländer) geltend gemacht, auf welches das Verwaltungsgericht seine Entscheidung zwar nicht gestützt hat, für dessen Prüfung aber der Antragsgegner und nicht das Bundesamt zuständig ist. Eine Festlegung, dass als Antragsgegner einzig die Bundesrepublik Deutschland in Betracht komme, war dem Vorbringen des Antragstellers in der Antragsschrift nicht zu entnehmen. In der Beschwerdeerwiderung hat er vielmehr die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung bzw. Umdeutung gebilligt. Ob die Möglichkeit bestanden und noch genügend Zeit zur Verfügung gestanden hat, den Prozessbevollmächtigten telefonisch darauf hinzuweisen, dass der Antrag bezüglich des Unterlassens von Abschiebemaßnahmen gegen den Antragsgegner zu richten ist, bedarf keiner Vertiefung. Denn ein solcher Hinweis und eine entsprechende Antragsumstellung hätten im Ergebnis zu keiner anderen Entscheidung geführt. Vor diesem Hintergrund stehen der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung oder einer Umdeutung des Antrags auch keine schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners entgegen. [...]