VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2022 - 11 S 1142/21 (Asylmagazin 9/2022, S. 329 ff.) - asyl.net: M30607
https://www.asyl.net/rsdb/m30607
Leitsatz:

Keine Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Zuerkennung subsidiären Schutzes in Italien:

1. Ein wegen der Zuerkennung internationalen Schutzes in einem anderen EU-Mitgliedstaat gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnter Asylantrag löst die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 1 AufenthG aus.

2. Die Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Zuerkennung des subsidiären Schutzes durch das BAMF nach § 25 Abs. 2 S. 1 AufenthG, liegen nicht vor, wenn ein anderer Staat den subsidiären Schutz zuerkannt hat. Diese Vorschrift ist in einer solchen Fallgestaltung auch nicht entsprechend anzuwenden.

3. Die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß Art. 18 QualifikationsRL 2011/95/EU erfüllt die Anforderungen des Abschiebungsverbots für im Ausland anerkannte Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht. Diese Vorschrift ist auf subsidiär Schutzberechtigte auch nicht entsprechend anzuwenden.

4. Die Regelungen des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge (EATRR, auch: "Straßburger Übereinkommen") beschränken sich auf anerkannte GFK-Flüchtlinge. Die Regelungen dieses völkerrechtlichen Abkommens können nicht durch entsprechende Auslegung auf subsidiär Schutzberechtigte übertragen werden.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: internationaler Schutz in EU-Staat, subsidiärer Schutz, Aufenthaltsrecht, Aufenthaltstitel, Straßburger Übereinkommen, Europäisches Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge,
Normen: AufenthG § 10 Abs. 1, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 25 Abs. 2, RL 2011/95/EU Art. 18, AufenthG § 60 Abs. 1 S. 2, EATRR Art. 2, EATRR Art. 1 Bst. a
Auszüge:

[...]

1. Die Voraussetzungen der Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 1 AufenthG sind hier erfüllt, weil der Kläger nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 3. Dezember 2013 beim Bundesamt einen Asylantrag i. S. des § 13 Abs. 1 AsylG gestellt hat, über den noch nicht insgesamt bestandskräftig entschieden worden ist.

a) Anders als der Kläger wohl meint, steht der Annahme eines die Rechtsfolgen des § 10 Abs. 1 AufenthG auslösenden Asylantrages nicht entgegen, dass das Bundesamt seinen Asylantrag vom 3. Dezember 2013 mit Bescheid vom 26. Februar 2018 als gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig abgelehnt hat.

aa) Dabei kommt es nicht darauf an, ob dieser Einschätzung des Bundesamts hier angesichts des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges des Ablehnungsbescheides (§ 75 Abs. 1 AsylG) trotz der gegen diesen erhobenen Klage Bindungswirkung gemäß § 6 AsylG zukommt (vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, a. a. O., § 6 AsylG Rn. 9; Preisner, in: BeckOK, Ausländerrecht, Stand 01.10.2021, § 6 AsylG Rn. 6).

bb) Denn der Frage der Zulässigkeit des vom Kläger im Bundesgebiet gestellten Asylantrages kommt bezogen auf das vorliegende Verfahren schon deshalb keine Bedeutung zu, weil auch ein gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässiger Asylantrag die Sperrwirkung des § 10 Abs. 1 AufenthG auszulösen vermag. So ergibt sich weder aus § 13 AsylG noch aus § 29 Abs. 1 AsylG ein Grund für die Annahme, ein unzulässiger Antrag sei nicht als Asylantrag i. S. des § 10 Abs. 1 AufenthG anzusehen. Vielmehr sprechen der Wortlaut des § 29 Abs. 1 AsylG, der auch den unzulässigen Antrag als Asylantrag bezeichnet, sowie der Umstand, dass die Einstufung eines Asylantrages als unzulässig der Einleitung und Durchführung eines Asylverfahrens i. S. des § 10 Abs. 1 AufenthG nicht entgegensteht, ohne Weiteres dafür, auch unzulässigen Asylanträgen die in Rede stehende Sperrwirkung beizumessen. Dies gilt umso mehr, als selbst Folge- und Zweitanträge als Asylanträge i. S. des § 10 Abs. 1 AufenthG anzusehen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2016, a. a. O., Rn. 12) und dass ebenso wie bei diesen Anträgen auch im Falle eines unzulässigen Asylantrages keine Gründe dafür bestehen, den Asylantragsteller hinsichtlich der Sperrwirkung des § 10 Abs. 1 AufenthG gegenüber einem Erstantragsteller zu privilegieren (vgl. zu diesem Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Anwendbarkeit des § 10 AufenthG auf Folge- und Zweitanträge BVerwG, Urteil vom 12. 07.2016, a. a. O.). [...]

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass der Begriff des gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in § 10 Abs. 1 AufenthG allein den strikten Rechtsanspruch, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und der voraussetzt, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, bezeichnet. Denn nur dann hat der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen. [...]

a) Ein derartiger strikter Rechtsanspruch ergibt sich für den Kläger zunächst nicht unmittelbar aus § 25 Abs. 2 AufenthG. Nach dieser Vorschrift ist einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder subsidiären Schutz i. S. des § 4 Abs. 1 AsylG zuerkannt hat.

Eine solche Fallgestaltung liegt aber hier nicht vor. Denn die Zuerkennung subsidiären Schutzes (i. S. des Art. 18 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 [ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 - RL 2011/95/EU - Qualifikations- bzw. Anerkennungsrichtlinie]) zu Gunsten des Klägers ist nicht - wie von § 25 Abs. 2 AufenthG gefordert - durch das Bundesamt, sondern bereits vor seiner Einreise in das Bundesgebiet durch die hierfür zuständigen Behörden des damaligen Aufnahmestaats Italien erfolgt.

b) Ein Rechtsanspruch des Klägers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht auch nicht in Anwendung des § 60 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG.

Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG genießen auch außerhalb der Bundesrepublik anerkannte Flüchtlinge Schutz vor Abschiebung in den Verfolgerstaat, ohne dass es hierfür einer - durch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG sogar explizit ausgeschlossenen - inländischen (erneuten) Zuerkennung oder Überprüfung der Flüchtlingseigenschaft bedarf. Hieraus wird gefolgert, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG auch an Ausländer, die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Abkommen vom 28. Juli 1951 [BGBl. 1953 II, S. 559] - Genfer Flüchtlingskonvention), möglich ist (vgl. zu alledem Fränkel, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 25 AufenthG Rn. 15). Indes ist dem Kläger kein Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern (nur) subsidiärer Schutz i. S. des Art. 18 der RL 2011/95/EU zuerkannt worden und unterfällt er mithin schon nicht dem Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AufenthG.

c) Der dem Kläger in Italien zuerkannte subsidiäre Schutzstatus vermag ihm auch nicht aus Gründen des internationalen Rechts einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu vermitteln. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich ein solcher Anspruch im Ergebnis aus einer entsprechenden Anwendung des § 25 Abs. 2 AufenthG oder unmittelbar aus Völker- bzw. Völkervertragsrecht ergäbe.

aa) Die Anerkennung eines Ausländers als Flüchtling und - wie vorliegend maßgeblich - als subsidiär Schutzberechtigter in einem anderen Staat wirkt völkerrechtlich nicht wie eine Statusentscheidung durch deutsche Behörden und hat in diesem Sinne keine umfassende Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland. Zwar ermächtigt Art. 78 Abs. 2 Buchst. a und b des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu Gesetzgebungsmaßnahmen, die einen in der ganzen Union gültigen einheitlichen Asylstatus und einen einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige vorsehen. Die maßgebliche Richtlinie 2011/95/EU regelt jedoch keine in der ganzen Union gültige Statusentscheidung. Von der nach Völker- und Unionsrecht bestehenden Möglichkeit, durch eine nationale Regelung den Anerkennungsentscheidungen anderer Staaten in begrenztem Umfang Rechtswirkungen auch im eigenen Land beizumessen, hat die Bundesrepublik Deutschland lediglich durch die bereits oben angeführte Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG Gebrauch gemacht; ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in Anknüpfung an eine im Ausland erfolgte Feststellung subsidiären Schutzes besteht nach dieser Vorschrift aber gerade nicht [...]

bb) Nicht anders verhält es sich vorliegend mit Blick auf Art. 2 EATRR.

Zwar gilt nach dieser Vertragsregelung die Verantwortung nicht nur zur Neuausstellung eines (Konventions-)Passes, sondern auch zur Wahrung weiterer Rechte und Vorteile (von Flüchtlingen; vgl. Fränkel, a. a. O., § 25 AufenthG Rn. 15) als vom Erststaat (dem Vertragsstaat, der den Reiseausweis des Flüchtlings ausgestellt hat - Art. 1 Buchst. c EATRR) auf den Zweitstaat (den anderen Vertragsstaat, in dem ein Flüchtling, der einen vom Erststaat ausgestellten Reiseausweis besitzt, anwesend ist - Art. 1 Buchst. d EATRR) übergegangen, wenn zwei Jahre des tatsächlichen und dauernden Aufenthalts im Zweitstaat mit Zustimmung von dessen Behörden abgelaufen sind, oder, zu einem früheren Zeitpunkt, wenn der Zweitstaat dem Flüchtling gestattet hat, entweder dauernd oder länger als für die Gültigkeitsdauer des Reiseausweises in seinem Hoheitsgebiet zu bleiben. Jedoch beschränkt sich der Anwendungsbereich des Übereinkommens vom 16. Oktober 1980 schon nach seinem Wortlaut (vgl. Art. 1 Buchst. a EATRR) auf Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Für eine Erstreckung des völkerrechtlichen Übereinkommens auf subsidiär Schutzberechtigte im Auslegungswege besteht kein Raum. [...]