OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2021 - 6 S 32/21 - asyl.net: M30861
https://www.asyl.net/rsdb/m30861
Leitsatz:

Kein Visum im Eilverfahren für Ehefrau und vier minderjährige Kinder eines in Deutschland anerkannten Flüchtlings aus Afghanistan:

1. Die betroffenen Familienangehörigen müssen persönlich einen Antrag auf ein Visum zur Familienzusammenführung zu ihrem in Deutschland als Flüchtling anerkannten Ehemann und Vater stellen und ihre Identitätsdokumente vorlegen, da nur so ihre Identität und die Echtheit ihrer Dokumente überprüft werden kann. Das Einreichen von Kopien der Unterlagen ist nicht ausreichend.

2. Der Vortrag der Betroffenen, es liege ein strukturelles Organisationsversagen vor, welches zum Anspruch auf einstweiligen Rechtsschurz führen würde, bleibt ohne Erfolg.

3. Es ist keine einzelfallbezogene Notlage anzunehmen, die die Vergabe eines vorzeitigen Vorsprachetermins gebieten würde.

4. Es besteht kein (zu hohes) Risiko für die Familienangehörigen, obwohl ihr Ehemann und Vater für die US-Streitkräfte gearbeitet hat, jedenfalls wenn er keine besonders hervorgehobene Position hatte.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Afghanistan, Familienzusammenführung, Visum, persönliche Vorsprache, Taliban, Frauen, Visumsverfahren, Vorwegnahme der Hauptsache, Identitätsklärung, Identitätsfeststellung, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AufenthG § 29, AufenthG § 25 Abs. 2, AufenthG § 30, AufenthG § 32,
Auszüge:

[...]

Die aus Afghanistan stammenden Antragsteller, eine Mutter und ihre vier Kinder im Alter von sechs, acht, zehn und elf Jahren, begehren, im Wege einstweiliger Anordnung die Erteilung von Visa zum Zwecke des Nachzugs zu ihrem Ehemann bzw. Vater, der in der Bundesrepublik als anerkannter Flüchtling lebt und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG ist. Hilfsweise begehren sie die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Vergabe eines (möglichst zeitnahen) Vorsprachetermins bei der Deutschen Botschaft in Islamabad durch einstweilige Anordnung. Das Verwaltungsgericht hat diese Begehren zurückgewiesen.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg. [...]

Gemessen daran haben die Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren einen Anordnungsanspruch zur Erteilung der begehrten Visa nicht glaubhaft gemacht.

1. Ihr Einwand, dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des erkennenden Gerichts vom 5. März 2019 - OVG 3 L 67.17 - lasse sich nicht entnehmen, dass eine Vorsprache bei der Botschaft zur Visa-Erteilung zwingend erforderlich wäre, greift zu kurz. Denn das Verwaltungsgericht hat weiter ausgeführt, es sei nicht glaubhaft gemacht, dass von dem Erfordernis der persönlichen Vorsprache ausnahmsweise abgesehen werden könne, weil die lediglich in abfotografierter Form vorgelegten Identitätsdokumente nicht die erforderliche ausreichende Gewissheit über die Identität der Antragsteller vermittele. [...]

2. Ohne Erfolg bleibt weiter der Vortrag, es liege ein strukturelles Organisationsdefizit bei der Antragsgegnerin vor, das der Erteilung der begehrten Visa im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes mit Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht entgegengehalten werden könne. [...]

Im Übrigen zeigen die Antragsteller auch nicht auf, dass die von ihnen selbst angenommene Wartezeit zur Vorsprache bei der Visa-Stelle von 2 ¼ Jahren angesichts der dargelegten besonderen Umstände auf ein strukturelles Organisationsdefizit der Antragsgegnerin schließen lässt. Ihre umfangreichen Hinweise auf zahlreiche gerichtliche Entscheidungen zur Zumutbarkeit der Dauer von Visa-Verfahren sind unbehelflich, weil sie nicht darlegen, dass diesen ein Sachverhalt zugrunde gelegen hätte, der der vorliegend in mehrfacher Hinsicht zur gewärtigenden Ausnahmesituation entsprach.

II. Auch hinsichtlich des hilfsweisen Begehrens zur Vergabe eines (möglichst zeitnahen) Vorsprachetermins bei der Deutschen Botschaft in Islamabad hat die Beschwerde keinen Erfolg.

1. [...]

2. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass die Verpflichtung zur Vergabe eines zeitnahen Vorsprachetermins zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus sonstigen Gründen nötig erscheine, die Antragsgegnerin räume zeitnah Sondertermine zur Vorsprache im Rahmen des Familiennachzuges ein, wenn besondere Umstände vorlägen, die eine unverzügliche sachliche Prüfung des Visumbegehrens erforderten und eine solche besondere Notlage lasse sich den Akten und dem Vorbringen der Antragsteller nicht mit der nötigen Gewissheit entnehmen, wird durch das Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend erschüttert. [...]

Ebenso wenig setzt sich das Beschwerdevorbringen mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander, wonach nicht zu erkennen sei, dass sich die Antragsteller individuell in einer Gefahr befänden, die sie in beachtlicher Weise von der geschilderten allgemeinen Gefährdungslage abhebe. [...]